SELBSTERKENNTNIS-SAMMLUNGEN

Ich fand eine Erkenntnis, gestern,
war beisammen mit den Schwestern
und hörte, was die alles sammeln -;
die eine sichtet gerne Schrammeln.

Die andere, feine Häkeldeckchen
und selbstgestrickte Babyjäckchen.
Dazu auch Püppchen aller Arten
und Zuckerstückchen von den Fahrten.

Ihr Ehemann der sammelt Pfeifen,
ein Bauer alte Autoreifen
und Sohnemann, der junge Hüpfer,
versessen ist auf Damenschlüpfer.
 
Der Opa liebt die Schweinelendchen
und Oma sammelt Elefäntchen.
Wenn Menschen Rüsseltiere lieben,
sind Wünsche unerfüllt geblieben ?
 
Die Hausfrau sammelt Kochrezepte,
ein Banker, Leute die er neppte -,
ein Chef, getreue Mitarbeiter -,
und so weiter und so weiter.

 Sag’ mir, was einer sammeln tut,
ich sag’ Dir, wonach steht sein Mut,
ich künde Dir, was sein Gelüst’,
was seiner Seele Hoffnung ist.

Ich, zum Beispiel, sammele Leitern -
ihr mögt euch ruhig dran erheitern -
ich sammelte auch Futtertröge,
man tuschelt, dass ich Ferkel möge.

Die Lampensammlung sei erwähnt,
auf Kerzen scheint sie ausgedehnt;
dazu spür’ ich die Leidenschaft,
die zahllos Bücher an sich rafft.

Die Selbsterkenntnis ist gar leicht,
zwar ist der Kerl mitnichten seicht,
will Licht in Dunkelheiten bringen,
auf Leitern sich in Höhen ringen.

Doch horte ich auch Wagenräder
und Salze für Gesundheitsbäder;
das deutet klar, ich will von dannen
und hoffe auf Verjüngungs-Wannen.

Will dieser Mensch aus seiner Haut,
weil es ihm vor dem Altern graut ?
Ein jede Sammlung ist Symptom,
so war’s wohl schon im alten Rom.

 
PS: Worterklärung: „Schrammeln“ = Notenblätter der Wiener Volksmusik bzw. Wienerliedern von den Geigern und Komponisten Johann und Josef Schrammel. In sieben Jahren komponierten die Gebrüder Schrammel über 200 Lieder und Musikstücke; mit diesen setzten sie der Wiener Musik einen Höhepunkt. Die Brüder starben 1893 und 1895, beide im Alter von 43 Jahren.