Nachschnitzungen, um einen Eindruck vom Urzustand zu gewinnen.
Abb. 2 - Alemannisch-wodanischer Herrenstuhl
Aus dem Alemannengrab von Seitingen-Oberflacht (Lkr. Tuttlingen) Nr. 92 stammt ein außergewöhnlicher Stuhl (Abb. 2), zu dem zwei reich mit Kerbschnittmustern verzierte Vogelköpfe gehören. Sie lagen zu beiden Seiten des Hauptes des Bestatteten. Der reich geschnitzte Herrenstuhl mit den beiden Vogelköpfen des wodingläubigen Alemannen war so gestaltet, dass sich der Adelige - vielleicht ein Gaufürst - wie sein göttliches Vorbild fühlen durfte, mit den Köpfen von Hugin und Munin, den Raben des Göttervaters Wodin in Schulterhöhe. („Die Alamannen“, 1997, S. 382, Abb. 433) Die Seelen-Vögel Hugin und Munin sind nach der nordischen Mythologie die beiden Inkarnationen Wodins, der deshalb auch den Beinamen Hrafnáss („Rabengott“) trägt. Der Name Hugin („der Gedanke“) leitet sich ab von altnord. huga = „denken“, Substantiv hugi = Gedanke / Sinn. Munin gehört zum altnordischen Verb muna „denken an / sich erinnern“, der Name Munin bedeutet mithin „die Erinnerung“.
Wodin mit Raben von Dan Mills
Abb. 3 - Runensprache im Rabenkopf
Die beiden nicht völlig identischen Rabenköpfe sprechen eine eindringliche Runensprache. Das eine Rabenauge zeigt das ornamentale Sonnenkreuz, das andere die ornamentalen Odal-Schlingen. Ich habe nicht sämtliche Runen und Himmelsbögen angerötet, nur einige der besseren Sichtbarkeit wegen. Das Auge besitzt eine 17 Strahlen zählende Zackenumrandung, das macht eine Quersumme von 8 und weist somit auf den Himmelsvater Tiu/Tyr hin, dem die 8. ODING-Rune (T-Rune) zugehört. Im Augenzentrum spricht das mittige Malkreuz von der Sonne. Die Kerbschnitt-Gestaltung ist derart geschehen, dass sowohl das rechts- wie das linsläufige solare Hakenkreuz herausgelesen werden kann. Links unten sind 6 Sonnenlauf-Bögen zu zählen, die den Sonnen-Jahresgang versinnbildlichen sollen. Insgesamt sind über den Vogelkopf 15 Sonnen-Sieg-Runen (S-Runen) verteilt = Quersumme 6. 15 S-Runen x ihre Runenzahl 9 = 135 mit Quersumme 9. Weiter sind 11 Perðo-Runen (P-Runen) im Kopf verteilt, deren Bedeutung die Hoffnung auf Wiedergeburt meint. Diese Rune steht an 11. Stelle der ODING-Runenreihung. - 11 P-Runen x ihre Runenzahl 11 = 121 mit Quersumme 4. Die 4 meint die L-Rune bzw. „Wasser und Lauch“ des Lebens (4. Rune = Lagu-Lauka). Auch diese 4 ist als zusätzliche Bitte um körperlich-wiedergeburtliche Gesundheit zu verstehen.
Was summa summarum aus dieser Runensprache hervorgeht sind drei Aspekte:1.) der solare Glaubensmoment in Gestalt des Hakenkreuzes - 2.) Die Hoffnung auf Sieg im Diesseits in Gestalt der Sonnen-Sieg-Rune, die auf 9. Position im runisch-germanischen ODING-Kalendarium auf dem Zeitort des frühjährlichen Siegfestes steht, bei dessen festlicher Gelegenheit für erhoffte Triumphe geopfert wurde, für den gesamten folgenden Jahreslauf. 3.) Mit den 11 Perðo-Runen wird die Bitte um Wiedergeburt an die numinosen Mächte betont. Aus der Hoffnung auf Sieg in dieser Welt und Hoffnung auf heile Wiedergeburt in diese Welt, aus diesen beiden Grundpfeilern bestand der Glaubenskanon der germanischen Volksreligiosität.