29.09.2025
SMS „VATERLAND“ WURDE GESTOHLEN
Die deutsche SMS „Vaterland“ war einst das größtes Passagierschiff der Welt. Sie bot Platz für 3.909 Passagiere. Im Jahre 1913 wurde die „Vaterland“ in Hamburg getauft. Mehr als 15.000 geladene Gäste und rund 40.000 Schaulustige drängen sich am 03.04.1913 auf dem Gelände der Hamburger Werft „Blohm + Voss“ und an den Landungsbrücken. Auch die Ehefrauen der Werftarbeiter hatten Ehrenkarten bekommen. Sie alle warten auf ein besonderes Ereignis: die Taufe der „Vaterland“, des größten Passagierschiffs der Welt. (SMS bedeutet: „Seiner Majestät Schiff“)
Dann taufte der bayerische Kronprinz Rupprecht den stolzen 55.000-Tonnen-Dampfer. Was die wartenden Massen nicht ahnen: Die Verantwortlichen bangen lange, ob die Taufe überhaupt stattfinden kann. Der Grund: Starker Ostwind hat viel Wasser aus dem Hafen gedrängt. Doch dann flaut der Wind ab und mit der Flut füllt sich der Hafen mit genug Wasser. Die Gefahr, dass die „Vaterland“ auf Grund läuft, war also gebannt. Für die Taufe hatte sich hoher Besuch aus Bayern angekündigt: Kronprinz Rupprecht gab dem 55.000-Tonnen-Dampfer seinen Namen.
Der jüdische Reeder Albert Ballin (1857-1918) machte als Generaldirektor die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (HAPAG) zur größten Schifffahrtslinie der Welt. Er will mit grandiosen Schiffen auf der Nordatlantikroute neue Maßstäbe setzen. Die „Vaterland“ ist das zweite Schiff der sogenannten „Imperator“-Klasse. Zwei Monate zuvor war der „Imperator“ zu seiner Jungfernfahrt aufgebrochen. Folgen soll noch die „Bismarck“. Auftraggeber der drei Schiffe war der bewundernswerte Albert Ballin, der neue Maßstäbe gegenüber der britischen Konkurrenz zu setzen beabsichtigte. Die Schiffe sollen mehr Komfort bieten. Während die herkömmlichen Dampfer spärlich und eher funktional ausgestattet sind, will Ballin schwimmende Luxus-Hotels bauen. Er setzt darauf, dass zufriedene Kunden erneut bei der „Hapag“ buchen werden. Unterstützung für seine Idee bekommt er von Kaiser Wilhelm II. Kaiser und der innovative Geldgeber Ballin arbeiteten harmonisch zusammen, was ein schönes Beispiel war für gedeihliche deutsch-jüdische Wirtschaftsunternehmungen war.
Für den Bau der „Vaterland“ reichten die Bauplätze, die sogenannten Hellinganlagen, bei „Blohm + Voss“ nicht aus. Es musste eine neue Helling eingerichtet werden. Fünf Bücher - mit bis zu 242 Seiten - ist die Baubeschreibung für den Koloss dick. Tausende Tonnen Stahl, Gusseisen und Holz wurden benötigt. Rund 1.800 Arbeiter waren täglich im Einsatz. Beim Stapellauf war das Schiff schwerer als ein voll ausgerüstetes deutsches Schlachtschiff der damaligen Zeit.
Das Schiff war ein schwimmendes Luxushotel. Die 1. Klasse speist im Ritz-Carlton-Restaurant. Das Schiff war in Bereiche für vier Passagierklassen eingeteilt. Insgesamt fanden 3.909 Passagiere Platz. Die Besatzung bestand noch einmal aus 1.234 Personen. Zum Vergleich: Die englische „Titanic“ bot nur Platz für 2.400 Passagiere, die „Queen Mary 2“ von 2004 kann 3.090 Reisende beherbergen. Die „Icon of the Seas“ und die „Star of the Seas“, die 2024 bzw. 2025 in Dienst gestellt wurden, kommen auf eine zugelassene Passagierzahl bei Doppelbelegung der Kabinen von 5.610.
In der 1. und 2. Klasse der „Vaterland“ reiste das gutbetuchte Publikum - Politiker, Industrielle oder Künstler. Mehrere Speisesäle, Raucherzimmer und ein Salon für die Damen standen zur Verfügung, den Passagieren der 1. Klasse zudem das Ritz-Carlton Restaurant, einen Fest- und Ballsaal, Schwimmbad und Suiten. Die Räumlichkeiten der 3. und 4. Klasse waren bescheidener, aber im Vergleich zu anderen Schiffen doch großzügiger. Es gab Zwei-, Vier- und Sechs-Bett-Kammern und auch die sanitären Anlagen waren besser. Die Großzügigkeit der Räumlichkeiten war unter anderem auf eine Neuheit im Schiffbau zurückzuführen: Die Abgasschächte (Rauchfänge) der Kessel führen nicht in der Mitte des Schiffs zu den Schornsteinen, sondern wurden an die Außenseiten des Schiffes gelegt und unter den Schornsteinen wieder zusammengeführt. Auf den oberen Decks können so größere Räume gebaut werden. Erstmals ist es sogar möglich, Autos zu transportieren.
Noch während des Baues kam es zum bekannten Unglück der „Titanic“. Daraufhin verstärkt man die Sicherheitsmaßnahmen auf der „Vaterland“: Platz für mehr Rettungsboote wird eingeplant. Zudem wurde ein Scheinwerfer am vorderen Mast angebracht, um die Sicht auf mögliche Eisberge bei Nacht zu verbessern. Am 14.05.1914 war es dann so weit: Das größte Passagierschiff der Welt brach zur Jungfernfahrt auf, mit über 3.000 Passagieren an Bord, nach New Yock. Zwischenstopps erfolgten in Southampton und Cherbourg. Am 21. Mai erreichte die „Vaterland“ unter den Augen vieler Schaulustiger ihr Ziel. Dann bremste der Erste Weltkrieg das Balin-Unternehmen und sein Schiff jäh aus. Bereits startklar für die Rückfahrt, wurde den Verantwortlichen am 31. Juli von der deutschen Militärführung mitgeteilt, zunächst in New York zu bleiben. Die Besatzung musste es hinnehmen, das Schiff wurde sogar Treffpunkt der feinen New Yorker Gesellschaft.
Dann beschlagnahmt die US-Navy das Schiff. Ein Teil der Besatzung war zuvor bereits in Teilen nach Deutschland zurückgekehrt, ein Teil entschied sich, in den USA zu bleiben. Kommandant Hans Ruser und 49 Offiziere werden bis zum Kriegsende 1918 interniert. Die USA setzten das Schiff ab 1917 für den Transport von US-Soldaten ein. Aus „Vaterland“ wurde „Leviathan“, mit der Bedeutung „Ungeheuer“. Im jüdischen sog. „Alten Testament“ wird der Leviathan als ein gewaltiges, drachen- oder schlangenartiges Meeresmonster beschrieben. Es ist ein Wesen des Chaos und des Urmeeres, das der Judengott bezwingen muss, um die Schöpfung zu beginnen.
Nach Kriegsende bleibt das Schiff als eine der vielen erzwungenen „Reparationsleistung“ in den Händen der USA. Es wird in Newport für mehrere Millionen Dollar wieder als Passagierschiff hergerichtet und galt bis 1934 als „größtes Passagierschiff der Welt“ für die „United States Line“ auf dem Nordatlantik im Einsatz. In den 1930er-Jahren nahmen neue und moderne Schiffe den Fährdienst über den Atlantik auf. Die „Leviathan“ hatte endgültig ausgedient. 1938 wurde das Schiff in Schottland verschrottet. Es blieb bis heute das größte jemals unter deutscher Flagge gefahrene Passagierschiff und das weltweit größte mit Kohle betriebene Dampfschiff.