Ernst Lissauer (1882-1937) stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Berliner Fabrikantenfamilie und war der Sohn von Hugo Lissauer und dessen Ehefrau Zerline Friedeberger. Sein Vater gehörte bei der Revolution von 1848 zur Berliner Bürgerwehr und war Mitbegründer der Berliner Jüdischen Reformgemeinde. Diese Vereinigung setzte sich für die vollständige Anpassung an die deutsche Kultur ein und vertrat die damit einhergehende Enthebraisierung des Judentums. Lissauer wurde in diesem Sinne erzogen, lehnte aber als 15-Jähriger den Wunsch der Eltern ab, sich christlich taufen zu lassen. Er begründete dies anfänglich damit, er wolle den Glauben nicht um gesellschaftlicher Vorteile willen wechseln. Später meinte er, er hätte einen Wechsel als „Verrat am Judentum“ empfunden. Trotz dieses Festhaltens am jüdischen Glauben war Lissauer ein Kind der wilhelminischen Zeit und ein glühender Anhänger der „treudeutschen Euphorie" jener Zeit. Nach dem Besuch des Gymnasiums und einigen Semestern Literaturgeschichte an den Universitäten Leipzig und München kehrte Lissauer nach Berlin zurück und ließ sich dort als Literaturkritiker und freier Schriftsteller nieder. Der Verleger Eugen Diederichs berichtete, nachdem er die ersten Manuskripte Lissauers gelesen hatte, er habe „den größten deutschen Dichter der Gegenwart“ entdeckt. Lissauer begeisterte sich für die preußische Geschichte, für Friedrich den Großen und die Freiheitskriege, was sich 1913 in dem Zyklus „1813“ zur 100-Jahr-Feier der Befreiungskriege ausdrückte. Sein Erstlingswerk „Der Acker“ war 1907 erschienen. Weiter gab er die Zeitschrift „Front“ heraus. Ganz im Sinne vieler deutsch-jüdischer Vereine und seiner eigenen Überzeugung meldete sich Lissauer bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum Kriegsdienst, wurde jedoch als untauglich ausgemustert. Daher versuchte er, mit anderen Mitteln „der Sache zu dienen“ und verfasste national gestimmte Gedichte wie den „Hassgesang gegen England“ (1914). Einzelne Verse wurden von der deutschen Kriegspropaganda aufgegriffen, erreichten eine enorme Popularität und brachten Lissauer schließlich die Verleihung des „Roten Adlerordens“ durch den Kaiser ein. Aus dem Hassgesang entstand während des Krieges ein Schlachtruf des deutschen Heeres: „Gott strafe England“. Dieser dt. Kriegsslogan in Weltkrieg I. wird Lissauer zugeschrieben. Mit jüdischer Instinktsicherheit, gepaart mit der ebenso jüdischen Fähigkeit zum leidenschaftlichen Hass, schuf Ernst Lissauer ein historisch höchst berechtigtes Zeitdokument, denn am engstirnigen englischen Hass gegen die deutsche Brudernation, wurde im Dreißigjährigen Krieg (1914-1945) des British Commonwealth, das II. sowie das III. aufstrebende Deutsche Reich zerschlagen, damit aber Europa seines Herzens und seiner Hauptschutzmacht beraubt. Denn weder England noch Frankreich waren in den letzten 1.000 Jahren in der Lage, noch willens, den „Weißen Kontinent“ in seiner materiellen und geistigen Kontinuität, zu beschützen ! Das schmutzige Ende des Weltkrieges 1918 und der dadurch sinkende nationale Abwehrwillen und die damit einhergehende Schmähung nationaler Begeisterung, durch das Aufkommen linksradikal-antideutscher Kräfte, wirkten sich negativ auf Ernst Lissauers Karriere aus. Ihm wurde von dem jüdischen Anarchisten/Kommunisten Robert Bodanzky, eigentlich Isidor Bodanskie (1879-1923), vorgeworfen, den „Hassgesang“ nicht als patriotischen Text, sondern bewusst als Hetze und Kriegspropaganda verfasst zu haben. Aus dem ehemals „größten deutschen Dichter der Gegenwart“ wurde fortan ein „jüdischer Dichter“, der kritisch beobachtet und auch antisemitisch reflektiert wurde. Lissauer und sein Hassgesang werden in Stefan Zweigs autobiografischem Werk „Die Welt von Gestern“ beschrieben. Vielen seiner Zeitgenossen galt Lissauer als „deutschester aller jüdischen Dichter“. Der Jude Stefan Zweig (1881-1942) versuchte den Dichter E. Lissauer so zu beschreiben: „der preußischste oder preußisch-assimilierteste Jude, den ich kannte“ und „der gutmütigste Mensch, den man sich denken konnte ... ein behäbiges Männchen, übersprudelnd vor Eifer und Selbstgefühl, sich überstotternd im Wort, besessen vom Gedicht und durch keine Gegenwehr abzuhalten, seine Verse immer wieder zu zitieren und zu rezitieren. Mit allen seinen Lächerlichkeiten musste man ihn doch lieb gewinnen, weil er warmherzig war, kameradschaftlich, ehrlich und von einer fast dämonischen Hingabe an seine Kunst.“
 
HASSGESANG GEGEN ENGLAND
 
Was schiert uns Russe und Franzos' ?
Schuss wider Schuss und Stoß um Stoß !
Wir lieben sie nicht,
Wir hassen sie nicht,
Wir schützen Weichsel und Wasgaupass, -
Wir haben nur einen einzigen Hass,
Wir lieben vereint, wir hassen vereint,
Wir haben nur einen einzigen Feind:
 
Den ihr alle wisst, den ihr alle wisst,
Er sitzt geduckt hinter der grauen Flut,
Voll Neid, voll Wut, voll Schläue, voll List,
Durch Wasser getrennt, die sind dicker als Blut.
Wir wollen treten in ein Gericht,
Einen Schwur zu schwören, Gesicht in Gesicht,
Einen Schwur von Erz, den verbläst kein Wind,
Einen Schwur für Kind und für Kindeskind,
Vernehmt das Wort, sagt nach das Wort,
Es wälzt sich durch ganz Deutschland fort:
Wir wollen nicht lassen von unserem Hass,
Wir haben alle nur einen Hass,
Wir lieben vereint, wir hassen vereint,
Wir alle haben nur einen Feind:
England !
 
In der Bordkajüte, im Feiersaal,
Saßen Schiffsoffiziere beim Liebesmahl,
Wie ein Säbelhieb, wie ein Segelschwung,
Einer riss grüssend empor den Trunk,
Knapp hinknallend wie Ruderschlag,
Drei Worte sprach er: „Auf den Tag !“
Wem galt das Glas ?
Sie hatten alle nur einen Hass.
Wer war gemeint ?
Sie hatten alle nur einen Feind:
England !
 
Nimm du die Völker der Erde in Sold,
Baue Wälle aus Barren von Gold,
Bedecke die Meerflut mit Bug bei Bug,
Du rechnetest klug, doch nicht klug genug.
Was schiert uns Russe und Franzos' ?
Schuss wider Schuss, und Stoß um Stoß !
Wir kämpfen den Kampf mit Bronze und Stahl,
Und schliessen den Frieden irgend einmal, -
Dich werden wir hassen mit langem Hass,
Wir werden nicht lassen von unserem Hass,
Hass zu Wasser und Hass zu Land,
Hass des Hauptes und Hass der Hand,
Hass der Hämmer und Hass der Kronen,
Drosselnder Hass von siebzig Millionen,
Sie lieben vereint, sie hassen vereint,
Sie alle haben nur einen Feind:
England !