Ausschnitt aus dem Hauptbild des Wittenberger Reformationsaltars. Während des „Abendmahls“ reicht Lucas Cranach d. J. dem Junker Jörg, also Martin Luther, einen Becher. Luther wendet sich vom links sitzenden Jesus ab und schaut zu Cranach auf, dieser sieht Luther an ! Keiner der beiden schaut zur angeblich wichtigsten Figur hin, dem „Erlöser“, wie man es erwarten dürfte. Die beiden Männer verkörpern die deutschen Giganten ihrer Zeit, den gewaltigsten Reformator und den reformatorischen Vertreter der fruchtbarsten und schnellsten der damaligen Malerwerkstätten.
 
 
DEUTSCHE GIGANTEN
 
Im Erstaunen, voll Ehrfurcht und Liebe
beschauen wir Deutsche die Ahnen,
Jahrhunderte geht unser Blick zurück
auf der stolzen Erinnerung Bahnen.
 
Ein Reigen der Kraft und des Schönen,
so zeigt sich die altdeutsche Fülle,
vom mächtigen Landvolk zum Adel,
in buntester, schmuckvoller Hülle.
 
Die „Reformation“, ein Gigantenwerk,
Befreiung aus päpstlichen Ketten,
der herrlichen Frauen und Männer,
die Freiheit des Geistes zu retten.
 
Männerbünde wurden geschmiedet,
harter Fäuste und vornehmer Geister,
wie jener des Mönchs Martin Luther,
und Lukas Cranach, dem Meister.
 
Dazu Friedrich III. von Sachsen,
den nannte man redlich „den Weisen“,
es schützte seine friedliebende Hand
das Werk, wir wollen ihn preisen.
 
Das Große Aufatmen fuhr durchs Land,
hunderttausende deutscher Seelen,
sie witterten inbrünstig Morgenluft
wollten Neues, das Bessere wählen.
 
Und fauchten auch die Dunkelmänner -
katholische, päpstliche Schergen -
sie glichen neben deutschen Titanen
unterirdischen, niederen Zwergen.
 
In Wittenberg der Hochschulkreis
er formte entscheidend das Frische,
da saßen wie auf dem Cranach-Bild
beim „Abendmahl“ Männer zu Tische.
 
Schaut diese deutschen Häupter an,
des „Wittenbergischen Altares“,
vom fruchtbarsten aller Maler gemalt,
er schöpfte Schönes und Wahres.
 
Das war die deutsche „Renaissance“
der wahrhaftigen „Wiedergeburten“.
Männer der besten, altdeutschen Art
verhalfen zum Fortschritt die Furten.
 
Was wollte Lucas Cranach d.Ä. damit ausdrücken ? Links vorne Judas mit dem Geldbeutel, rechts über seiner Schulter der rote Abendmahlskelch, nächster ist Paulus im roten Mantel.
 
 
Der Reformationsaltar in der Wittenberger Stadtkirche St. Marien zeigt das „Abendmalbild“ von Lukas Cranach aus Kronach (1472-1553) welcher der schnellste und bedeutendste Maler seiner Zeit war, auch hinsichtlich der modernen Festigungsweisen in seiner Großmalerwerkstätte zu Wittenberg. Sein gleichnamiger Sohn führte die Firma tatkräftig fort. Um 5.000 Werke blieben erhalten. 1505 bekam Cranach eine Anstellung als Hofmaler beim Kurfürsten „Friedrich III. dem Weisen von Sachsen und Wittenberg“ im Wittenberger Schloss. Cranach wurde wohlhabend, er kaufte sich ein Stadthaus, wurde Besitzer einer Gaststätte mit „Kurfürstlichem Weinschankprivileg“, einer Apotheke, eines Papier- und Buchhandels. Seine Druckgrafiken von Holzschnitter usw. vertrieb er selbst. Als Grundeigentümer und Verleger war er eine hoch angesehene, einflussreiche Persönlichkeit, erwarb den Ratsstuhl von Wittenberg als Kämmerer. Unfassbar war Cranachs Vielseitigkeit und Schaffenskraft. 1524 traf er Albrecht Dürer (1471-1528) in Nürnberg, wobei Dürer ein Silberstiftporträt Cranachs anfertigte. Er war ein enger Freund Martin Luthers (1483-1546), dessen Theologie, Kirchenpolitik und von Cranach wunderschön farbig ausgestaltete „Lutherbibel“ zu den tiefgreifenden Veränderungen der europäischen Gesellschaft und Kultur führte. Die von Kurfürst Friedrich III. 1502 gegründete humanistische Universität Wittenberg wurde zu einem Zentrum der erwachenden Intellektualität, frei von romkirchlichen Bevormundungen. Zu Lebzeiten Friedrichs III. lag ihre Bedeutung vor allem in der von ihm unterstützen Zuwendung zum Renaissance-Humanismus, später erlangte sie internationale Bedeutung als Ausgangspunkt und Lehrstätte der Reformation. Cranach entwickelte sich nicht nur zu dem charakteristischen Maler der deutschen Reformation er wirkte auch mithilfe seiner Grafiken in reformatorischen Schriften landesweit in der geistigen Auseinandersetzung seiner Zeit. Er war jedoch nicht so fanatisch, dass er nur reformatorisch gesinnte Auftraggeber akzeptiert hätte, vielmehr war er Geschäftsmann genug, um auch Aufträge von Altgläubigen anzunehmen. So schuf er beispielsweise den umfangreichen Altarzyklus für Kardinal Albrechts neue Stiftskirche in Halle. Das gemalte Altarretabel („Reformationsaltar“), das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Cranach-Werkstatt angefertigt und im Chorraum der Stadt- und Pfarrkirche St. Marien aufgestellt wurde, gilt als eines der wichtigsten Kunstwerke der Reformationszeit. Erst 1547, ein Jahr nach Luthers Tod, stellte die Gemeinde den von Lucas Cranach dem Jüngeren (1515-1586) vollendeten dreiflügeligen Reformationsaltar im Altarraum der Stadtkirche auf. Hier versammeln sich nun die Gläubigen, die Getauften am „Tisch des Herrn zum Abendmahl“. Sie empfangen Brot und Wein. Nichts trennt sie mehr von dem durch Saul-Paulus verkündeten „Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen“, welchen Luther im Bild der Predella predigte und von dem über dem Altar das Bibelwort geschrieben steht: „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“, (1Kor 3,11). Dabei stellt doch Martin Luther mit dem Satz aus dem „Großen Katechismus“ gerade das in Frage, indem er uns sagte: „Woran du nun ,sage ich, dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“
 
Ein Kenner schreibt: „Es ist einmalig nicht nur in Hinblick auf seinen hohen künstlerischen Wert, sondern auch auf die Rolle, die es während der Ausformung der evangelisch-lutherischen Konfessionsidentität erfüllte und heute noch erfüllt. … Der Betrachter wird so zum Abendmahl eingeladen. Der weite, lichte Raum ist in den Hintergrund geöffnet und zeigt symbolisch einen Baum (Leben) und eine Burg (Eine feste Burg...). Das neue an der kompositorischen Bildfindung der Cranachs in der Einbeziehung des Betrachters zeigt sich im Vergleich zwischen der Abendmahldarstellung des Wittenberger Reformationsaltars und dem berühmten Abendmahlbild von Leonardo da Vinci (1452-1519). Alles in diesem Bild ist auf die optische und geometrische Mitte bezogen, den Kopf Christi, in dem auch die Perspektivlinien des Bildes zusammenlaufen. Auf Christus ist die Gestik der Jünger im Bild ausgerichtet.“ Was aber auffallend ist, dass sowohl der in einen roten Mantel gehüllte Paulus, mit seiner für ihn typischen Glatze, wie auch der große Reformator Luther sich von Jesus völlig abwenden und sich letzterer mit dem jüngeren Cranach unterhält. Auf diesem Bild sind Luther und der jüngere Cranach in den Apostelkreis aufgenommen worden, um die aktuelle Bedeutung der Reformation zu unterstreichen. Luther und Chranach schauen nicht zum sog. Heilbringer hin ! Hatte sich Luther, in vertrauten Diskussionsgesprächen mit Vater und/oder Sohn Cranach von der kirchlichen Erlösergestalt des Jesus bereits innerlich abgewandt, sollte die Reformation, in Form einer Entjudaisierung der Heilsgeschichte, möglicherweise in einer Lösung von der übermächtigen Fixation und willkürlichen bzw. seit Markion von Sinope (ca. 90-160) umstrittenen Bezogenheit des „Neuen Testaments“ auf den „Mosaismus“ weiter gehen, was, wie man munkelt, Phillip Melanchthon (1497-1560) verhindert haben soll ? Er machte bekanntlich den Päpstlichen bzw. dem Katholizismus gegenüber manches Zugeständnis - weil er unbedingt die große, friedliche Einheit einer reformierten Kirche anstrebte - was nicht unbedingt in des radikaleren Martin Luthers Sinne lag. Ein zweites Abendmalbild des Chranach-Sohnes ist das von Dessau. Auf ihm sind nun bereits sämtliche Apostel ersetzt durch die mitteldeutschen Reformatorenhäupter. Es handelt sich um das Grab-Gemälde für den Dessauer Fürsten Joachim (1509–1561) in der Johanniskirche in Dessau-Roßlau, das 1565 von Lucas Cranach dem Jüngeren (1515–1586) gemalt wurde. Das Bild befand sich ursprünglich in der Residenzkirche St. Marien. Der Wittenberger Reformationsaltar von Lukas Cranach d. Ä. unterscheidet sich vom Dessauer Reformationsaltar von Lucas Cranach d. J. in vielerlei Hinsicht und Details. Anstelle der Apostel sind die wichtigsten avantgardistischen Reformatoren dargestellt, wodurch sie zu den wahren Nachfolgern der Apostel erklärt werden. Auf der Dessauer Tafel stehen zwei Trinkgläser und eine kleine Schale, ein weiteres Glas steht auf der Schale des Oster-Lammes, ein Glas mit Rotwein hält Justus Jonas in der Hand, ein Glas mit Weißwein steht links vom Ellenbogen des Judas mit dem Geldbeutel (der Nichtdeutsche, „Fläz“/Querulant Matthias Flacius/Frankovich), ein Glas mit Rotwein reicht Cranach d.J. dem vor ihm sitzenden Georg Helt. Der eigentliche spitzglasige Abendmalkelch steht zwischen Melanchthon und Jesus ! Ein kirchlicher Autor, der Theologe Jochen Teuffel (1964-), versucht irrtumsträchtig zu erklären, dass „wer die Mitteltafel des Wittenberger Reformationsaltar betrachtet, erkennt es mit eigenen Augen. Beim Abendmahl Christi wird Weißwein ausgeschenkt. Und es ist Martin Luther als Junker Jörg, dem ein junger, dolchgegürteter Mann den Weißweinbecher reicht. So sind wir es ja in der evangelischen Kirche zumindest in Bayern gewohnt: kein Rotwein, sondern Weißwein. Dabei hat ja Jesus das letzte Abendmahl als Passamahl unstrittig mit Rotwein gefeiert. Und auch in der Ostkirche wird bis heute nur Rotwein zur Kommunion gereicht.“ Ich schrieb ihm: „Was Sie meinen ist nicht haltbar, die Gemeinde hätte nie Weißwein als Herrenblut-Symbol akzeptiert. Der jüngere Cranach reicht auf dem Wittenberger Abendmalbild auch nicht den ,Abendmalkelch‘ (mit Weißwein) an Luther, vielmehr steht der würdige rote Abendmalkelch rechts vom Judas auf dem Tisch. Der Humpen den Luther annimmt ist mit einem bräunlichen Gebräu - eher Bier oder Met - gefüllt; ein ähnlicher Becher hat ein weiterer Gast in der Hand. Auffällig ist auch, dass wenn Luther den ,Abendmahlkelch‘ trinken würde, er sich niemals von Jesus vollends abgewendet hätte ! Der Symbolismus Lukas Cranachs (im Bild) ist noch nicht entschlüsselt ! Denken Sie darüber nach und kommen Sie zu treffenderen Schlüssen !“
 
 
Warum wendet M. Luther auf dem berühmten Wittenberger Altarbild seinen Kopf von Jesus weg ?
 
 
Lucas Chranach reicht Martin Luther keinen Abendmahlskelch sondern einen derben Becher mit braunem Gebräu. Auf beiden Gemälden - zu Wittenberg und Dessau - haben die Abendmahlsgefäße gleiche, würdige Spitzkelch-Formen, bei denen das Glas zum Boden hin in einer Spitze ausläuft.
 
 
Was will Lucas Cranach d. Ä. mit seiner symbolistischen Bildsprache ausdrücken ? Paulus und Luther wenden sich von Jesus ab. Das ist historisch korrekt, denn Paulus machte Jeshua-Jesus zum Gottessohn, ohne ihn je gesehen und gehört, also recht verstanden zu haben. Besaß der ältere Cranach ein sublimeres Christusbild, von dem er meinte, dass sich auch Luther abwenden würde, indem er, nicht auf Jesus schauend, sich von einem Bewaffneten den Brudertrunk reichen lässt ?  
 
In seinen maßlosen Zornreden unterschied er sich nicht vom Galiläer Jesus. Aus Luthers Tischreden ist bekannt: „Ich habe ... keine bessere Arznei als den Zorn. Denn wenn ich gut schreiben, beten und predigen will, dann muss ich zornig sein; da erfrischt sich mein ganz Geblüt, mein Verstand wird geschärft, und alle Anfechtungen weichen.“ Wie fürchterlich vermochte Luther zu verdammen; z.B. in den Tischreden: „Aus Abraham und den Erzvätern kamen die, die Christus ans Kreuz schlugen, aus der römischen Kirche ging der Antichrist hervor, aus den Aposteln kamen Judas und die Pseudoapostel, ... aus Konstantinopel die Türken, aus den Einsiedlern Arabiens - Mohammed, aus dem Weib - der Ehebruch, aus der Jungfrau - die Hure ... aus der Kirche kommen die Ketzer. Aus Speise wird Kot, aus Wein Urin, aus Blut Eiter. Aus Luther kommen Müntzer und die Aufrührerischen - also was Wunder, wenn Böse unter uns sind und von uns ausgehen ?“ Bei Luther heißt es sogar genau wie in Mohammeds „Koran“, in „Zur Frage, ob man auch als Soldat in einem Gott wohlgefälligen Stand lebt“: „Denn die Hand, die das Schwert führt und tötet, ist dann auch nicht mehr eines Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott henkt, rädert, enthauptet, tötet und führt den Krieg. Das alles sind seine Werke und sein Gericht“. Als die aufständischen deutschen Bauern ihr Bürgerrecht forderten (1524 bis 1526) - allerdings unter zunehmenden Gewalttaten - berechtigt Luther die Fürsten z.B. in „Wider die stürmenden Bauern“ die Aufständischen niederzumachen: „Solch wunderliche Zeiten sind jetzt, dass ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser denn andere mit Beten ... Steche, schlage, würge hie, wer da kann. Bleibst du drüber tot, wohl dir, seliglicheren Tod kannst du nimmermehr überkommen. Denn du stirbst im Gehorsam göttlichen Wortes und Befehls.“ Luther bekannte sich klar und eindeutig zum Schwert. Das war, so muss es scheinen, L. Cranachs d. Ä. Bildaussage. 
 
Luthers zunehmende Ablehnung des Judentums im Alter ist mit seiner 150-seitigen Schrift „Von den Jüden und iren Lügen“ (Januar 1543) dokumentiert. Autor Uwe Lehnert kommentiert den Text: Luther will seinen „treuen Rath“ geben und schlägt gegen die „verbösten“ und „vergifteten“ Juden vor, „daß man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke“, „daß man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre“, „daß man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Talmudisten“, „daß man ihren Rabbinen bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren“, „daß man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe“, „daß man ihnen den Wucher verbiete, … und nehme ihnen alle Baarschaft und Kleinod an Silber und Gold“, schließlich „daß man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brod verdienen im Schweiß der Nasen“. Autorin Ulrike Schrader schreibt in „4. Historischer Kontext: Die Situation der Juden zur Zeit des Reformationszeitalters: „Frühling 1537 erreichte nach langer Wanderung ein betagter Reisender die sächsische Landesgrenze. Es war der 60-jährige Rabbi Josel, der aus dem elsässischen Rosheim gekommen war, um dem berühmten Reformator Martin Luther einen Brief zu übergeben. Den Juden des Kurfürstentums Sachsen war nämlich Aufenthalt, Erwerbstätigkeit und Durchreise verboten worden. Josel glaubte und hoffte, dass Luther sich persönlich für eine Rücknahme dieser Verbote einsetzen würde. Wie enttäuscht muss er gewesen sein, als er die Antwort des Reformators erhielt ! Luther schrieb:Mein lieber Josel ! Ich wollte wohl gerne bei meinem gnädigsten Herrn für Euch handeln, beides mit Worten und Schriften, wie denn auch meine Schrift [„Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“, 1523] der ganzen Judenheit gar viel gedient hat; aber dieweil die Euren solchen meinen Dienst so schändlich missbrauchen und solche Dinge vornehmen, die uns Christen von ihnen nicht zu leiden sind, haben sie selbst damit mir genommen alle Forderung, die ich sonst hätte bei Fürsten und Herren können tun. [...] Darum wollet doch uns Christen nicht für Narren und Gänse halten und Euch doch einmal besinnen, dass euch Gott wollte dermaleinst aus dem Elende [hier: Exil], das nun über fünfzehnhundert Jahre lang gewährte, helfen, was nicht geschehen wird, Ihr nehmet denn Euren Vetter und Herrn, den lieben gekreuzigten Jesus, mit uns Heiden an. [...] Darum mögt Ihr Eure Briefe an meinen gnädigsten Herrn durch andere vorbringen. Hiermit Gott befohlen. Mit dieser Verweigerung drückte Martin Luther seinen Missmut über die seiner Meinung nach undankbaren Juden aus, die sich zu Jesus als den Christus nicht bekennen wollten. Zugleich bringt er damit auf den Punkt, was die christliche Bevölkerung seit dem Mittelalter so sehr an den Juden gereizt hat, dass diese vor keiner Gewalt zurückschreckte.“ Mit einer Warnung vor den Juden auf den Lippen gewissermaßen stirbt Martin Luther. In seiner „Letzten Kanzelabkündigung vom 15. Februar 1546“, drei Tage vor seinem Tod in Eisleben, meint er (zitiert nach Walther Bienert, „Martin Luther und die Juden“, 1982, S. 174-177: Der „verböste Jude“ wird „nicht ablassen“, „dich auszusaugen und [wo er kann] dich zu töten.“ Die Juden können Arzneien verabreichen, „davon er [der Patient] in einer Stunde, in einem Monat, in einem Jahr, ja in zehn oder zwanzig Jahren sterben muss. Die Kunst können sie.“
 
Diese Sprache klingt entsetzlich, aber es ist in der Tendenz eine Gesinnungs- und Wortwahl die dem Bibelübersetzer Luther aus dem „Alten Testament“ wie dem „Jüngeren Testament“, mit der wahnsinnigen und bluttriefenden „Offenbarung des Johannes“, absolut vertraut sein musste. Die gegenseitigen Verteufelungen waren in den Texten gang und gäbe. Über die Teufelskindschaft „der Juden“ spekulierte bereits der griechische Autor Plutarch (um 45-125) in seinem Werk „De Iside et Osiride“ (Isis und Osiris). In den Evangelien ist man auch nicht zimperlich was bösartigste Unterstellungen anbelangt. Schonungslos sind die gegenseitigen verbalen Angriffe. Johannes 8:48,52: „Da antworteten die Juden und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel ?“ Johannes 7:20: „Das Volk antwortete und sprach: Du hast den Teufel; wer versucht dich zu töten ?“ Johannes 10:20: „Viele unter ihnen sprachen: Er hat den Teufel und ist unsinnig; was höret ihr ihm zu ?“ Und Jesus in Johannes 8:44: „Ihr habt zum Vater den Teufel, und eures Vaters Gelüste wollt ihr vollbringen. Der war ein Menschenmörder von Anfang, und ist nicht in der Wahrheit bestanden, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, redet er aus seinem Eigentum, weil er ein Lügner ist und der Vater davon.“ Luther mochte sich in seinem antijüdischen Zorn auf der Seite Jesu empfunden haben.
 
Jesus war im Wesenskern ein ebenso rigoroser Empörer wie Martin Luther, doch das begriff nur Luther, der die Originalschriften übersetzte, während den schriftunkundigen Laien ein völlig anderer, nämlich ein „lammfrommer“ Jesus-Christus, gepredigt wurde. Der historische Jesus konnte und wollte sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden, nicht anpassen und un­terwerfen. Er war gegen fast alles Bestehende, gegen die recht vernünftigen Pharisäer, gegen die stren­gen Sadduzäer und letztlich ebenso gegen die hochgradig radikalen, aber asketischen Esse­ner, also die da­mali­gen Jo­hannesjünger - alle hatte er sich zu Feinden gemacht. Nur sich selbst moch­te er gelten lassen und natürlich seine Selbstprojektion, „seinen Vater im Himmel“. Er war so voller Hass ! Im „Thomasevangelium“ (NHC II,2, Logion 10) wird Jesus zitiert: „Ich habe Feuer auf die Welt geworfen und siehe, ich hüte es, bis sie lodert.“ Er verfluchte mit einem schrecklichen Weheruf ganze Ortschaften, die ihm nicht so hul­digten, wie er es sich wünschte (Mt. 11,20ff). Das einzige „Ver­bre­chen“ dieser Sied­lungen war es sicherlich, dass sie dem Nazoräertum des Johannes treu blieben. Er ver­fluchte jene, die nicht an seine Gottessohnschaft glaubten (Mt. 10,15). Er ver­fluchte das ganze Geschlecht, welches seine Größe nicht anerkannte (Mt. 12, 41f). Er ver­fluchte im cholerischen Ärger einen unschuldigen Feigenbaum zu Ba­tha­nien (Mt. 21, 19) wohl nur deshalb, weil dies die Stätte war, wo Johannes zuerst ge­predigt hatte. Wer seine Botschaft nicht hören und annehmen wollte, dem solle es er­gehen wie den Sodo­mern und Gomorrhern (Mt. 10,14 u. 15). Er verlangte den Selbst­hass und den Hass ge­gen die eigenen Hausgenossen, gegen Vater, Mutter, Brüder und Schwestern (Lk. 14,26). Die Zerstörung der Familieneinigkeit war ihm gleichgültig (Mt. 10,35ff). Er sagte: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ (Lk. 11,23). Er wollte kei­nen Frie­den bringen, sondern Entzweiung (Lk. 12,51ff); er kün­digte den Krieg um sei­netwillen an (Mt. 10, 34). Er verhieß den Pharisäern die Ausrot­tung (Mt. 15.13f) und den Un­ver­ständigen die Verbrennung im Feuerofen (Mt. 13,42+50). Er wollte ein gnadenlo­ser Richter sein (Mt. 25,41). Von Verzeihung und Vergebung mochte er nichts wissen (Mt. 7,23). Es gibt in den Berichten über ihn nicht ein einziges ernstzunehmendes Bei­spiel, wo er Feindesliebe selbst praktiziert hätte, trotz seines Wortes in Mt. 5,43. Er hielt Scheltreden von nicht zu über­bietender Maßlosigkeit, die Schärfe seines Zornes war ang­sterregend. Seine Gegner nannte er Narren, Heuchler, Blinde, übertünchte Gräber, Schlangen, Natternbrut, Otterngezücht, Fliegen, Säue, Kinder der Hölle. Er ging in sei­nem krankhaften Haß so weit, dass er hoffte, die Ver­stockten blieben ver­stockt auch bis zum Ende, damit sie grauenhaft bestraft werden dürf­ten (Mk. 4,12). Er behauptete von sich, größer und bedeutender als der Tempel zu sein (Mt. 12,6). Das Volk war entsetzt von seiner Redeweise (Mt. 7, 29; Mk. 1,22). Er wusste, dass soviel eingepeitschter Hass natürlich Gegenhass erzeugen würde; „Ihr müsst gehasst werden von jedermann um mei­nes Namens willen“ (Mt. 10,22), und „mich aber hasst die Welt, weil ich ihr sage, dass ihre Werke böse sind“ (Joh. 7,7), bekannte er sei­nen Mitläufern. Er schwelgte in schrecklichen Untergangs­phantasien aller bestehen­den Zustände; er ver­kün­dete (aus es­senischem Gedankengut) die Zer­störung des jüdischen Zen­tralheiligtums (Mk. 13,1-25). Schließlich ist es nicht verwun­derlich, dass auch das Volk ihn wider­hasste und als es die Wahl hatte, lieber einen Krimi­nellen frei ließ, ihm aber zu­rief: „Er werde ge­kreuzigt !“ (Mt. 27,23). Diesen ganz fürchterlichen Hass sowie die eigenartige Bindungslosigkeit an Familie (Mt. 12,48) und andere reale Gegebenheiten kompensierte der Psychopath Jesus seelenge­setzlich durchaus folgerichtig mit gleichzeitiger Empfehlung einer völlig irrealen fiktiven Liebeslehre, die weder er selbst vorzuleben vermochte noch irgend ein anderer nachle­ben könnte. Vielleicht erklären sich seine destruktiven Verwerfungen aus den Drangsa­len seiner eigenen Jugend, die nicht völlig unbeschwert gewesen sein dürfte, gilt er doch nach jüdischer Tradition als der aus einem Gewaltakt hervorgegangene „Sohn der Ma­ria“. Auch die Muslime nennen Jesus „Isa Bin Marjam“. Dies sind unzweifelhafte Hin­weise darauf, dass er als uneheliches, also eigentlich vaterloses Kind zur Welt kam - ein im damaligen Judentum nicht einfaches Los. Die extreme An­bindung an den von ihm visionär erschauten Geistvater im Himmel als Ersatz eines wah­ren leiblichen Vaters hätte damit ebenfalls eine sehr verständliche Erklärung gefunden. An seinen hysterischen Hass- und Rachegedanken wie auch an seiner überstrengen un­rea­listischen Tugendlehre gibt sich Jesus gleichermaßen als Essenerschüler zu erkennen. Die Essener schworen einen furchtbaren Eid, die „ungerechten“ Juden zu hassen und den „gerechten“ Volksgeschwistern beizustehen. Ihr Sektenkanon schrieb ausdrücklich Hass gegen die „Söhne des Frevels“ vor. Sie verpflichteten sich zum gnadenlosen Kampf und gleichzeitig zur selbstlosen Barmherzigkeit. Philo von Alexandrien bescheinigte ih­nen eine „Leidenschaft der Menschenliebe“, die allerdings ausschließlich innerhalb des jüdi­schen Volkstums Gültigkeit besaß. Da heißt es: „Keinem will ich vergelten das Böse, mit Gu­tem will ich den Menschen verfolgen“ (Damaskusrolle X, 17+18; X,23; XI,1-3); „Ein jeder soll seinen Bruder [nicht jedermann!] lieben wie sich selbst“ (Damaskus­rolle VI, 21). Die von Jesus gepredigte Sittenlehre deckt sich Punkt für Punkt mit dem, was Fla­vius Jose­phus über die Essener bekanntgab (Jüd. Krieg, Kap.8,2) und was wir aus ihrem Qumra­ner Sektenkanon entnehmen können. Sie waren eine konspirative, mi­litante Ge­heimorganisation (so weit Geheimhaltung möglich war) zur geistigen und poli­tischen Befreiung des jüdischen Volkes. „Sie trugen alle ein Schwert“, berichtete Jose­phus - und Jesus sagte seinen Jüngern: „Wer nichts hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert.“ (Lk. 22,36) Festzustellen ist: Auch die Qumraner wollten missionieren, geradeso wie es Johannes und Jesus unternahmen. Im Sektenkanon steht: „Alle Willigen herbeizubringen ...“ (X, 7); „Jedermann, der willig ist, ist der Gemein­schaft der Einung anzuschließen“ (VI, 13), war also bei Eignung willkommen.
 
Die ganze erschütternd hassvolle, sektenzerrissene Aufgewühltheit des jüdischen Volkes, über die der Galiläer Flavius Josephus (ca. 37-100) in seinem Werk „Geschichte des jüdischen Krieges“ schrieb, ist über die Konservierung und Tradierung der judäo-christlichen Religionsformen - der katholischen wie protestantischen - bis in die Neuzeit auf uns gekommen und hat psychotische, pseudomoralische und politische Fehlgänge ganz erschreckender Art hervorgerufen. So war und so ist die unglückliche Einbettung der deutschen Geschichte seit der teils mörderischen, teils abgefeimten Christianisierung des germanischen Europa zwar eine große Düsternis, aus der aber strahlende Helden von Mut und Kraft hervorleuchten.