GEISTWANDERUNG

Ob ich erwacht bin oder schlief,
an Dich nur denk’ ich intensiv -;
ich zähl’ zu den verliebten Spinnern,
ich seh’ Dein Bild in meinem Innern.

Ich hört’ seit langem nichts von Dir,
steh’ sinnend an der Hafen-Pier.
Es breitet sich ein Meer der Trennung,
der trüben, wachsenden Verkennung.

Ich möchte leiblich zu Dir geh’n,
mich Dir erinnernd vor Dir steh’n,
und fragen: „Hast Du mich vergessen,
gilt nichts von dem was wir besessen ?“


Drum drängt es mich zum Experiment,
wie’s längst die Esoterik kennt -;
um Mitternacht zu Vollmondzeiten,
zu Dir den Geistweg zu beschreiten.

Ich schließ’ die Augen und ich richt’
in Deine Richtung mein Gesicht,
lasse vom Mondschein mich durchtränken,
von seinem Strahl zu Dir mich lenken.

Die Mondeslichtbahn siehst auch Du,
ich eil’ auf wahrem Pfad Dir zu -;
es liegt auf Weg und Steg der Schimmer,
ich finde leicht zu Dir ins Zimmer.

Bald steh’ ich dort, geliebte Frau,
ich harre vor Dir nur und schau’ -,
schau’ Dir in Deine Traumeswogen,
bis sanft ich Dich hinauf gezogen.

Auch Du, auch Du bist somnambul,
es hebt Dich aus der Kissen Pfuhl -;
lässt fahren alle Zucht und Zäume,
nachtwandelst schlafend durch die Räume.

Du suchst die Kraft die Dich umfasst,
die nach Dir ruft als geistiger Gast -,
die dem Magneten gleich Dich wittert,
dass willenlos die Seel’ Dir zittert.

Und magisch zieht’s Dich zu mir hin,
wirst meiner Sehnsucht Dienerin -;
wenn wir dann aufeinander prallen,
bist Du gerad’ wie ich Dir verfallen.

Der Mondglanz überspült uns lind -;
wer liebt lebt wie im Labyrinth,
in einem Meer von Mondlichtwellen,
wo Witz und Wahn zusammenquellen.
 
PS: „Witz“ = im ursprünglichen Sinne wie „gewitzt“ = weise, wissend, intelligent