17.02.2016  
                  
 
ZAUBER-WEIHE AM GULLFOSS

Am Gullfoss in Island traf ich ein Weib,
  da ich dran denk‘ und darüber schreib‘,
seh‘ ich ihr Bildnis mit flatterndem Haar -,
werde den Vollmond am Himmel gewahr.

Sie stand an den Klippen im nassen Gestein,
wir hörten im Tosen die Nachtvögel schrei’n;
der Gullfoss brauste sein ewiges Lied,
darein sang sie Runen die Odin ihr riet.

Da färbte das Nordlicht den Flammendom,
zum Gnom schrumpft darunter der Petersdom.
Wer käme ihr gleich, der Göttin Natur,
  mitsamt ihren Hexen in Wald und Flur ?!

Sie lösen die Rätsel, sie wissen den Pfad,
sie kennen des Runenwurfs redlichen Rat.
„Du Seidkona, sage“, so sprach ich sie an,
„wo ist das was Wahrheit mir sagen kann ?“

Sie wandt‘ ihre Augen und sah mir zu:
„Wage sie nur, denn die Wahrheit weißt Du,
am Gullfoss hast Du mit mir durchwacht,
drum nimm meine Gabe für diese Nacht.“

Sie kramte den Beutel aus ihrem Gewand,
ich spürte den Strich ihrer schenkenden Hand
und wie eines Nachtfalters Flügel-Gehauch',
erfühlte ich Lippen auf meinen auch.

Am folgenden Morgen, im frostigen Zelt,
hat das Zauberzeug Islands sich vorgestellt:
Der Bocks-Beutel hütet sein Galster-Besteck,
zu bannen und lösen zu jeglichem Zweck.

Lang‘ ist das her, bin wieder daheim,
fand längst der Runen vergessenen Reim,
und sinne zurück, als mir alles begann,
wie ich Weibes Weihe auf Island gewann
.

Am Gullfoss / Island, 1985
 
PS: Der Gullfoss (isl. gull = „Gold“, foss = „Wasserfall“) ist ein großer Wasserfall des Flusses Hvítá im Süden Islands.
 
Bild: Zauberbesteck einer isländischen Seidkona (seiðkona = Zauberfrau) zum Galstern (Galster = Zaubergesang): getrockneter Hodensack eines Schafbockes, Deckel aus getrocknetem Radieschen, Völu-Orakel-Wirbelknochen, Blutstein, Ammonit, Belemnit, Lochsteinchen, Bernsteine, hornige Eikapsel vom Rochen, Mandragora (Alraunenstrunk), Krabbenschere, versteinerter Seelilienstengel.
 
Die isländische Völu-Wahrsagung (völva = Seherin + spá = Prophezeiung) geht so vor sich, dass man ein Schafs-Völu (Wirbelkörper) in die Hand nimmt und damit die Wange leicht berührt und ihn dann in der Hand rotieren lässt, während man spricht: „Frage ich dich Wala mein, mit Gold werde ich dich erfragen, mit Silber werde ich dich sättigen, sagst du mir die Wahrheit, aber wehe dir wenn du lügst.“ Danach fragt man was man wissen will und lässt den Völu auf einen Tisch fallen. Wenn der Buckel des Völu oben ist, sagt die Wala nein, wenn die Vertiefung nach oben kommt, sagt die Wala ja. Wenn die Wala auf der Seite gelandet ist, dann lautet die Antwort: ,Ich weiß es nicht’, oder die Wala will es nicht voraussagen.