GEFALLENER ENGEL
 
Ich war ein Engel, lieb und fromm,
die höchste Reinheit ich erklomm,
stand nahe dran an Jahwes Thron,
und sang dort immer gleichen Ton.
 
Wir mussten auch auf gold’nen Tröten,
tagein, tagaus „Hosianna“ flöten;
obwohl der Song nur darum kreist,
kein Engel wusste was das heißt.
 
Das Denken wird beim Himmelsherrn
nicht honoriert, er sieht’s nicht gern.
Er hielt uns lieber etwas blöde,
so passten wir zur Himmels-Öde.
 
Vor allem sollten wir vergessen,
dass wir je ein Geschlecht besessen;
beim Schlafengeh’n, zu Ruhestunden,
hat man die Händchen uns gebunden.
 
Wir durften nie beim Pipimachen,
verstohlen gucken in die Lachen;
und niemals nach geglücktem Pichen,
die Muschi wieder trocken wischen.
 
Ich fand das reichlich übertrieben,
so war ich recht zurückgeblieben,
und fand erst als ich mich verliebt’,
dass es zwei Sorten Engel gibt.
 
Ich meinte erst, er sei `ne Schwester,
da wurd’ im Schritt er etwas fester
und klärte mich dann richtig auf,
das Glück nahm seinen tollen Lauf.
 
Doch hatte ich zu lang’ gedarbt,
die Wunde war mir nie vernarbt,
ich wurde viel zu streng kasteit,
drum werd’ ich nie gebenedeit.
 
Ein Engel konnte mir nicht reichen,
so fing ich an, umher zu streichen,
ich trieb’s mit manchem argen Bengel,
Hauptsache war, er hat 'nen Schwengel.
 
Ich nahm bald jeden als Galan,
ich wurde schließlich nymphoman,
ich ziehe schon von Stadt zu Stadt,
ich fühl' mich nie und nimmer satt.
 
Wenn ich es mir so recht bedenk’,
ist meine Sexgier ein Geschenk,
der allzu frommen Unterdrückung,
der christlich-irren Triebverschüttung.
 
Ich mag nicht ruhen, kann nicht dösen,
welcher Kerl kann mich erlösen ?
Ein Feuer brennt in meinen Därmen,
liebessüchtig muss ich schwärmen.
 
Sollt’ ich zum Psychiater gehen,
könnt’ der mir meine Seele drehen ?
Doch was mir fehlte weiß ich schon:
Natürlichkeit als Religion !