DIE NIXE

Die Nixe saß auf einem Stein,
sie kreuzte weder Schwanz noch Bein
und fluchte weinend des Geschicks,
sie hatte doch zu kreuzen nix.

Da wo normal die Beine sprossen,
trug sie diesen Schwanz mit Flossen -;
was waren das für dumme Sachen,
wie sollte sie auch Pipi machen ?

Wie gern hätt’ sie das Bein geteilt,
das abwärts ihres Leibes weilt’,
das nicht mal man als Bein erkennt,
ein jeder nur als Schwanz benennt.

Sie war als Weib wohl selbstbewusst,
und stolz auf ihre schöne Brust,
allein der Schwanz missfiel ihr sehr,
der schmerzte ihre Frauen-Ehr’.

Wie sollt’ sie einen Nix-Mann reizen,
konnt’ sie doch keine Beine spreizen.
Die Nix-Frau dachte hin und her,
das Nixenherzlein wurd’ ihr schwer.

Der Schöpfer hat sie nie befragt,
ob ihr als Weib ein Schwanz behagt.
Sie hätte ihm gesagt vielleicht,
dass ihr ein kleiner durchaus reicht.

Den hätt’ sie gerne angenommen,
wär’ gut mit ihm zurechtgekommen,
und dankbar, liebevoll gedrückt -;
so wär’ ihr Glück zurechtgerückt.

Das konnte nun doch nimmer sein,
ganz grausam wuchs die Seelenpein;
und als die Hoffnung sie verließ,
starb sie und kam ins Paradies.

Nur notgedrungen blieb sie züchtig,
das gilt dem Himmel wenig wichtig,
dort gilt für Frau’n als höchstes Glück,
geh’n ungeöffnet sie zurück.

Weil sie deshalb als „heilig“ galt,
schuf man ein Denkmal der Gestalt.
Wer es nicht glaubt, der sollte fragen -,
es steht noch heut’ in Kopenhagen.

Der Bronze-Künstler war galant,
hat’ gut der Nixe Not erkannt,
er schuf ihr, sitzend auf dem Steine,
zwei wunderschöne Flossenbeine.
 
Bild: Die Kleine Meerjungfrau (dänisch Den lille Havfrue) ist die Bronzefigur an der Uferpromenade Kopenhagen. Ein Märchen von Hans C. Andersen war die Vorlage. Die Figur entstand nach dem Entwurf von Edvard Eriksen.