BEGEGNUNG MIT ISIS
 
Auf stieg Stern Sirius, da meine Nacht
erblasste scheu vor seiner milden Pracht.
Es schien auf meine dunkle Kammerwand,
gleich wie aus unerschöpflicher Phiole
durchflossen Silberadern die Konsole
die schwarz und lange leer im Winkel stand.
 
Auf einmal fing da eine Säule an, zu beben
und eine Frau erhob sich aus dem Glanz,
die trug im blonden Haupthaar einen Kranz
von gelben Rosen zwischen grünen Reben.
 
Ihr Morgenkleid von weißen Daunen glänzte
sanft wie die schaumbedeckte Heimatbucht,
die Rüsche aber, die den Hals begrenzte,
so blutig rot wie die
Margramapfelfrucht.
 
Und ihre Augen funkten in blaugrüner Tiefe,
als ob da Sehnsucht nach dem Weltmeer riefe.
Sie reckte mir die weißen Arme zu.
Ich sah erstaunt an ihren Handgelenken
die wilden Pulse springen und sich senken.
 
Da nickte lächelnd sie und sagte zu mir: Du !
Du bist mühselig und beladen, komm:
Wer viel geliebt, dem wird auch viel verziehen.
Du brauchst das starke Leben nie zu fliehen,
durch das dein kleines lebt, o komm, sei fromm !
 
Und schweigend lüpfte sie die rote Rüsche,
sie nestelte an ihren seidenen Litzen,
sie öffnete das Kleid von weißem Plüsche
und zeigte mir mit ihren Fingerspitzen,
die zart das blanke Licht des Mondes küsste,
die Rosenknospen ihrer weißen Brüste.
 
Dann sprach sie: Sieh, dies Fleisch und Blut,
das einst den kleinen Horus selig machte,
bevor ich ihm den Todespfeil erdachte,
ich Isis, die aller Erd und Himmel Herrin.

Du sieh, es ist desselben Fleisches Glut,
für das der helle Heros sich erregte,
bevor ich in sein düsteres Grab ihn legte,
ich Isis ich, der Weltenwunder Närrin.

Komm, stehe auf, sieh auch meine Wunden
und lerne dich erlösen und gesunden !
Und lächelnd ließ sie alle Schleier fallen
und dehnte sich in ihrer nackten Kraft.
Wie Hieroglyphen standen auf der prallen
Bauchhaut die Narben ihrer Mutterschaft.

In Linien, die verliefen wundersam
bis tief ins goldene Seidenhaar der Scham.
Da sprach sie wieder und trat her zu mir:
Willst du mir nicht auch in die Augen sehn ?
Und mein Verlangen badete in ihr,
wie eine Sehnsucht, hin zum Untergehn.

Umarmt, durch tiefe Meere schweben,
sah ich mich selig immer tiefer streben,
glaubt‘ ich den Grund der Welt zu sehn.
Weh, schüttelt mich ein nie erlebtes Weben
und ihren Kranz von Rosen und von Reben
umklammernd, während wir verbeben,
schreit es in mir nach ewigem Auferstehn !
 
(überarbeitet nach unbekanntem Dichter)