Die Bildersprache des Horns von Wismar - Meine Ziereinfärbung ist ohne symbolische Bedeutung.
 
Das über 3.000 Jahre alte bronzezeitliche Horn von Wismar wurde im Jahr 1836 in einem Moor bei Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) gefunden und trägt reich verzierte, bronzene Beschlagteile. Die kunstsinnig mit feinen Linien gezogenen Figuren stellen einen geheimnisvollen Bilderfries dar. Was wohl wollen uns die Sonnenräder, Schiffe und Speerträger erzählen. Der Speerträger mit Schild vor dem Oberkörper ist die älteste Kriegerdarstellung des Raumes. Er muss keineswegs ein Hinweis auf Gewaltkonflikte in der Bronzezeit meinen, vielmehr erscheint er als eine in der skandianvischen Bronzezeit bzw. ihrer Felsbildkunst vielgeschaute Metapher aus dem Sonnenkult. In den frühen Fundberichten liest man, dass der Beschlag des Horns in einer Grube des wismarschen Torfmoors ungefähr 6 Fuß tief gefunden worden sei. Es war bei der Auffindung „ohne allen Rost“, wie es bei Bronzefunden aus den Mooren ganz natürlich ist. Ein aufmerksamer Herr sah die Hornreste „zufällig unter andern Metallen bei dem dortigen Glockengießer, der ihn zum Einschmelzen bestimmt hatte, und brachte ihn sogleich eigenthümlich an sich, um ihn dem Vereine zum Geschenke zu überreichen. Der Fund besteht aus drei Stücken, welche den Beschlag gebildet haben: Mundstück, Mittelring und Schallmündung; von dem Horne selbst, welches entweder aus einem natürlichen Horn oder aus Holz bestanden haben wird, war keine Spur vorhanden, da es vermodert sein muß. Die drei Metallstücke sind aus der bekannten Bronze gegossen, aus welcher vorherrschend alle Gegenstände bestehen, welche sich in den (germanischen) Kegelgräbern finden.“ Es heißt dort weiter: „Die Hauptgruppe der Verzierungen dieses Feldes bilden vier Schiffe … Darstellungen von Schiffen sind auf Alterthümern in Deutschland unsers Wissens noch nicht bemerkt worden; in den nordischen Reichen kommen sie häufig vor. Sie sind redende Zeichen für den Seeverkehr der ältesten Ostseebewohner und deuten, namentlich auf unserm Horne aus dem Seeufer eines bequemen Hafens, bedeutsam auf die Wikingerfahrten der alten germanischen Völkerschaften; klar wird es, wie das Horn einer so großen Weite bedurfte: sein Schall mußte durch das Tosen der empörten Elemente dringen ! - Die Schiffe sind gravirt; die Bezeichnung der Ruderer scheint mit Stempeln eingeschlagen zu sein. Merkwürdig ist es, daß auf jedem Schiffe nach dem Vordertheile hin eine Stelle durch einen emporstehenden, gebogenen Strich ausgezeichnet ist, vielleicht zur Bezeichnung des Befehlshabers. Aber auch die einzelnen Schiffe sind verschieden durch gewisse Auszeichnungen: die beiden vordern sind größer als die beiden hintern, und die beiden vordern haben Verzierungen an dem Vorder- und Hintertheil, welche darin bestehen, daß diese Theile stark gebogen sind; namentlich hat der Vordertheil des ersten Schiffes einen sehr gebogenen Hals und an dem Ende desselben eine Gravirung, wie einen Thierkopf, so daß die beiden kleinen Striche auf der Biegung des Halses vor dem Kopfe zwei Ohren zu gleichen scheinen. Dies erinnert lebhaft an die alten nordischen Bezeichnungen der Schiffe mit den Wörtern: Drache, Schnecke u.s.w., welche den Schiffen wohl unbezweifelt von den Verzierungen ihres Vordertheils beigelegt wurden. Die beiden hintern, kleinem Schiffe haben nur erhöhete Vorder- und Hintertheile. - Diese Schiffgruppe ist umher von einer Reihe eingeschlagener Punkte eingefaßt. - An jeder Seite dieser Schiffgruppe ist eine Gruppe von eingegrabenen Spitzen, welche durch Zusammenstellung mehrerer paralleler und convergirender Linien gebildet sind; diese Spitzen stehen abwechselnd gegen einander gerichtet neben einander, rechts 10, links 8, jedoch ist in der Gruppe zur Linken noch für 2 Platz. Diese gravirten Spitzen finden sich überraschender Weise auch auf dem Bronze-Gefäße von Bochin und erscheinen in ähnlicher Gestalt sehr häufig als Verzierungen der ehernen Armringe - Zwischen den beiden Gruppen von Spitzen erscheinen zwei Gruppen sich kreuzender Linien (wie Andreaskreuze), aus eingeschlagenen Punkten gebildet, an jeder Seite durch drei ähnlich gebildete Linien begrenzt.“ Von den fortlaufenden Spiralwindungen heißt es im altenText: „Spiralwindungen sind die unabweisbaren Kennzeichen für die (germanische) Zeit der Kegelgräber und erscheinen auf Bronze nicht nur häufig im nördlichen Deutschland, sondern noch häufiger in den nordischen Reichen. Die Zahl der auf diesem Felde eingegrabenen Spiralen beläuf sich auf vierzehn.“ Dieses 4. Feld bietet „unstreitig die interessanteste Parthie der Verzierungen, wenn auch die dunkelste, und damit reichlichen Stoff zu ausgedehnten Forschungen. Wir wagen es nicht, hier irgendwo etwas erläutern zu wollen und unhaltbare Vermuthungen aufzustellen, sondern begnügen uns mit einer einfachen Beschreibung, bis andere Forschungen oder ein glücklicher Fund uns lehren, was wir nicht wissen. - Die Hauptgruppe scheint über dem angelötheten Oehr zu stehen: ein Kreis, um welchen sechs fächerförmige Zeichnungen, wie Strahlen stehen. Links davon sind vier concentrische Kreise, in deren jedem ein Kreuz steht, eingravirt; rechts davon stehen zwei Vierecke von eingeschlagenen Punkten, in deren jedem zwei Schlangenlinien eingegraben sind. Dann folgen zwei Schiffe über einander, deren oberem das emporstehende kleine Häkchen zu fehlen scheint. Diese größere Gruppirung wird durch drei Querbänder von Verzierungen aus senkrechten Linien und eingeschlagenen Dreiecken beschlossen, wie sie damit begann; in dem dritten Querbande sind die Banen der Dreiecke aufeinander gesetzt, so daß hiedurch viereckige Stempeleinschläge vorhanden zu sein scheinen. - Es folgt eine zweite größere Gruppirung von Zeichen, bestehend aus drei kleinern Gruppen, welche durch schmalere Querbänder geschieden sind; die Zeichen der drei Gruppen sind gravirt. Die mittlere Parthie besteht aus drei doppelten Schlangenlinien; an jeder Seite steht eine Gruppe von concentrischen Kreisen mit eingelegten Kreuzen; die Kreise rechts sind größer, als die Kreise links, dagegen haben die Kreise links im Mittelpunct der Kreuze einen Kreisförmig gestalteten Punct, welcher den Kreisen rechts fehlt. - Diese zweite größere Gruppirung wird durch vier Querbänder aus senkrechten Linien und eingeschlagenen Dreiecken geschlossen, von denen die erste die aus zwei Dreiecken entstandenen Vierecke am klarsten zeigt, die dritte aber die Dreiecke so enthält, daß die dadurch stehen bleibenden, erhabenen Zickzacklinien genau die Verzierungen auf dem Gefäße von Bochin wiedergeben. Das vierte Querband, welches zugleich die ganze Darstellung beginnt, besteht, auf diesem Beschlage allein, aus eingegrabenen, rhombisch gesetzten Kreuzstrichen. Bei Betrachtung der verschiedenen Zeichen auf diesem Felde kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß diese Zeichen Schriftzeichen oder symbolische, religiöse Charactere zu bedeuten haben mögen; eine Vermuthung, als könnten sie Himmelszeichen oder Jahreszeiten andeuten, soll für nichts weiter, als eine Vermuthung gelten. Feld 5. Dieses Feld ist oben unter dem Reifen mit dem Oehr durch eine Reihe eingeschlagener Dreiecke, unten am begrenzenden Reifen durch eine Reihe eingeschlagener Punkte begrenzt. Das Feld selbst füllt eine Reihe zusammenhängender Spiralwindungen (wie das Feld 3.), deren elf an der Zahl sind. Die Spirale unter dem Oehr hat, sei es aus Versehen oder aus Vorsatz, in der Mitte eine kurze geschwungene Linie zu viel, so daß es scheint, als liefen 3 Spirallinien von einem Mittelpuncte aus. Feld 6. Dieses Feld wird oben am Reifen durch vier parallele Kreise von eingeschlagenen Dreiecken begrenzt; auf diese folgen drei einfache Linien. Den größern Theil dieses Feldes füllt eine Reihe nach unten gekehrter Bogen, welche aus einfachen, eingegrabenen Linien bestehen, die im Innern der Bogen mit eingeschlagenen Punkten besetzt sind. Die Nietlöcher, welche sich schon auf diesem Felde befinden, haben keine Verzierungen in ihren Begrenzungen. Feld 7. Dieses Feld ist an den beiden Grenzen von Reihen einfacher Bogenlinien eingefaßt. Das Innere des Feldes hat nur auf der Oehrseite des Beschlages, welche für die Abbildung gewählt ist, bedeutungsvolle Zeichen. Auf dieser Seite ist jedes der vier Nietlöcher mit vier eingegrabenen concentrischen Kreisen eingefaßt. Auf das erste verzierte Nietloch, über welchem in der obern Bogenreihe eine Lücke für 4 bis 5 Bogen ist, folgt rechts hin ein (auf der Abbildung ganz dargestelltes) Schiff, rechts hin fahrend, welches weiter keine Verzierungen hat, als leise Andeutungen wie von Wimpeln am Vorder- und Hintertheil. Dann folgen zwei der verzierten Nietlöcher und zwischen beiden ein Andreaskreuz aus eingeschlagenen Punkten. Auf das dritte Nietloch folgt ein zweites Schiff (das voraufgehende im Weiterfahren gedacht), welches an Vorder- und Hintertheil die Verzierungen der oben dargestellten größern Schiffe hat. Die Reihe beschließt ein mit concentrischen Kreisen umgebenes Nietloch. - Auf der andern Seite sind weiter keine Verzierungen, als daß die vier Nietlöcher in Rhomben von eingeschlagenen Punkten stehen, welche je zwei und zwei mit den Spitzen zusammenstoßen und paarweise durch horizontale Punktlinien verbunden sind.
 
Über das wismarsche Horn und dessen Verzierungen hat der damalige Ausschuß die Ansicht eines bewährten Kenners, des Hrn. Canzleiraths Thomsen zu Kopenhagen, eingeholt: „Das Horn stimmt auf das genaueste mit den nordischen Alterthümern aus der reinen Bronzezeit überein und zwar mit den ältern aus dieser Zeit; ganz ähnlich sind die Darstellungen und Zierrathen auf alten nordischen Altertümern. Die Ringe oder Oehren deuten auf ein Blasehorn. Nichts ist im Norden gewöhnlicher, als die Darstellung von Schiffen auf Bronzesachen, auch auf sehr alten Messern von Bronze; die Schiffe auf dem Horne sind von der ältesten Art, nämlich lang und zum Rudern, oft mit Drachenköpfen als Verzierungen; die aufwärts gerichteten Linien bedeuten die Mannschaft oder die Ruderer. - Schwieriger ist die Entzifferung der Kreise mit den übergelegten Kreuzen. Diese Darstellungen kommen neben Schiffen auch auf alten nordischen Monumenten vor. In Beziehung hierauf ist das berühmte Kivik-Monument in Schonen an einer antiquarisch reichen Stelle sehr belehrend: das Monument besteht in einem Steinhügel aus einer langen Steinkiste von großen glatten Steinen, auf welchen alte bildliche Darstellungen eingegraben sind, abgebildet in Suhm Historie af Danmark, I. S. 529, Tab. I und II. Hier finden sich auch Männer, welche auf eben solchen großen, gekrümmten, weit geöffneten Hörnern blasen, wie das unsrige gewesen ist. [Hier irrt der Autor, es handelt sich beim Blasinstrument-Bild der Kivik-Grabsteinplatte - wegen ihrer Länge - um eine Lure und kein Hifthorn] Ferner finden sich Schiffe und die fraglichen gespeichten oder bekreuzten Kreise. Diese bedeuten hier offenbar Räder; sie finden sich auf dem Kivik-Monument nicht allein paarweise zusammengestellt, sondern ein Paar ist auch an einer Deichsel verbunden, an welche zwei Pferde gespannt sind, die ein, vor der Deichsel stehender Mann antreibt. Diese Schiffe und Räder kommen zusammen auch auf andern Grabmonumenten im Norden vor: vergl. Nordiskr Tidskrift I. p. 181. Daher möchten diese Kreise oder Räder auf Wagen oder Fahren deuten. [Das Studium der nordischen Symbolsprache erbrachte die sichere Erkenntnis, dass mit dem vierspeichigen Rad die Sonne gemeint ist bzw. das Fortbewegungsmittel der Sonne, der pferdebespannte Sonnenwagen.] Was der mit den Pfeilen umgebene Kreis und die Schlangenlinien bedeuten, ist noch zweifelhaft; sie haben eine gewisse Aehnlichkeit mit Figurenschrift anderer Völker auf niederer Stufe gesellschaftlicher Cultur.“
 
Rituelle Kultkreise der Licht- bzw. Sonnen-Mond-Verehrung
 
 
Wir vergleichen die diversen Abbildungen der nordischen Bronzezeit und kommen zu dem Schluss, dass es sich bei den linearen Zeichen die sich um Kreise gruppieren, um anbetende oder sich segnen lassende Menschen handelt; möglicherweise im Vollmondschein oder unter dem strahlenden Tagesgestirn ?
 
Abb. 1 vom Wismar-Horn zeigt recht deutlich 6 Menschen - anhand ihrer Köpfe erkennbar - die im Kreise stehen. Links davon sind 4 „Sonnenräder“ platziert, welche den vierrädrigen Sonnenwagen meinen könnten.
 
Abb. 2. ist ein Felsbild von Aspeberget in Tanumshede/Bohuslän/Schweden. Dieses sehr bekannte Aspeberget-Hellbild führt rechts der Kreisfläche zwei Frauen vor, die sich an ihren langen Nackenhaaren - wir würden heute von „Pferdeschwänzen“ reden - zu erkennen geben. Sie sind die markantesten, am deutlichsten gezeichneten Gestalten im Rund. Was ihre Beschäftigung ist, bleibt leider offen. Sie scheinen die „Scheibe“ beidhändig berühren zu wollen. Oder handelt es sich um einen Verehrungsgestus ? Wäre mit dem Kreis tatsächlich die Sonne angedacht, ist es ebenso vorstellbar, dass gemeint ist, die beiden Frauen könnten sinnbildhaft aus der Lichtkraft ihre Befähigung zum Gebären bzw. zur Lebensschöpfung ziehen. Dann bedeuteten die bis zum Rund vorgestreckten Arme weniger eine Huldigungsgeste, sondern mehr eine Art Lichtkraftauftankung. Den zwei Frauen zur Rechten stehen zur Linken zwei weniger aufmerksam ausgebildete männliche Wesen gegenüber. Auch sie berühren die wahrscheinlich gemeinte „Sonnenscheibe“. Oberhalb und unterhalb des Kreises sehen wir jeweils drei Adoranten, was eine Symetrie zum Ausdruck bringt, also ein rituelles Ordnungsprinzig erkennen lässt.
 
Abb. 3. gehört ebenso zur Felsplatte von Aspeberget. Man erkennt 7 Menschengestalten bzw. Adoraten, also Leute die die altgläubige Gebetshaltung einnehmen, mit emporgehaltenen Armen. Mit der sog. Algiz-Rune könnte also ein anbetender Mensch gemeint sein. Naheliegenderweise ebenso einer der Alken, der Hirschbrüder und Gottessöhne (lat. Dioskuren). Hier sind auch solare Axtträger (ihr Thorax ist als Sonnenrad gestaltet) zu sehen, mit erigierten Lingam, als Ausdruck der lebenschaffenden Sonnenpotenz.
 
Abb. 4. zeigt ein Felsbild von der Region Fossum (Tanumshede/Bohuslän/Südwestschweden), auf dem auch menschliche tanzende Gestalten erkennbar sind. Unten links tanzt ein Paar aufeinander zu, ein anderes von einander weg. Akrobatische Tänze (Sonnentänze ?) bezeugen andere Felsbilder und Kleinbronzen - wie der von Grevensvaenge/Dänemark - der skandinavischen Bronzezeit.
 
 
Der ausgerollte Trinkrand-Bildsteifen des Wismar-Horns
Innerhalb von 10 zu unterscheidenden ornamentalen Ziersteifen
auf 7 Felder verteilt, befinden sich:
2 liegende sog. Sanduhrzeichen (bzw. „Malkreuze“)
2 „Sonnenkrieger“ mit Speer
4 Adoranten stehend um die „Sonne“
4 gepunzte Rautenzeichen
6 vierspeichige „Sonnenräder“
7 „S“-Zeichen (4 einfache u. 3 doppelt gezeichnete)
8 Schiffe, keine Schlitten wie Laien annehmen möchten
(zwei Schiffe tragen Besatzungen von um 20 Mann)
9 gestrichelte Trenn-Blöcke
10 altgläubige Heilszeichen nach oben weisend (Winkel-Chiffren)
7 gleiche Zeichen nach unten weisend
11 + 14 Kettenwirbel in zwei Bändern, also
25 Wirbel
32 nach oben offene Bögen in einer Reihe
43 nach oben offen Bögen in einer Reihe
35 nach unten offen Bögen in einer Reihe
(ob die Bogenbänder 100%ig wiedergegeben wurden bleibt offen)
Bei aller nötigen Vorsicht, erscheint mir aus diesem Zahlenfundus, ein zu rekonstruierendes Kalendarium nur schwerlich vorstellbar.
 
Symbol-Deutungsversuche
 
 
Der schwedische Goldbrakteat IK 176, Söderby-B (Uppland, bei Uppsala, 4.-5. Jh. n.0) führt einige Symbole die uns möglicherweise in der Deutung der Zeichen im Wismar-Horn hilfreich sein können: Die Flügel der beiden Seelen-Vögel auf dem Kopf Wodins-Odins sind als die bekannten keilförmigen Heilszeichen geformt. Und die beiden Seelen-Schlangen-Sinnbilder auf seiner linken Herzhand könnten den verkürzten „s“-Symbolen des Wismar-Horns entsprechen. Abb. B zeigt auf Brakteat A-76 aus Hitsum (Friesland, aber sicher Import aus Skandinavien) den Moment der Geist-Seelen-Spende des Od-Gottes; der Seelenschlangen-Hauch fährt aus Wodin-Odins Mund. Auf dem Brakteat steht eine linksläufige Runeninschrift unmittelbar vor dem hauchenden Gottesmund: „glola“. Teilen wir den Begriff in „glo“ und „la“, so bedeutet isl. glóð = Glut und glóa = glühen. An. „la“, urn. „lawo“ = Lebenswärme/-kraft und auch Haar, denn im Haarwuchs wird die Lebenskraft optisch sichtbar. Das „s“-Zeichen könnte damit naheligend in Verbindung gebracht werden und somit „Lebensfeuer“ bedeuten, womit die göttliche Belebungsenergie trefflich umschrieben ist. Auch Brakteat aus Ulvsunda (westlich von Stockholm) zeigt das Seelen-Schlängelein aus des Gottes Mund fahren. (siehe dazu Karl Hauk, „Goldbrakteaten aus Sievern - Spätantike Amulett-Bilder“, 1970). Der Bilderkanon vieler Goldbrakteaten ist als überregionales Werk der nordischen Welt erkennbar der seine traditonelle Bildsprache bis in die vorchristliche Mittelalterzeit bewahren konnte. Der zweite linksläufige runische Schriftzug des Hitsum-Brakteaten lautet „fozo“, was schwieriger zu deuten ist, denn der Lautwert der 3. Rune mit urgerm. Laut „z“ kam durch die Wirkung von „Verners Gesetz“ aus früherem „s“ (nur im In- und Auslaut gebräuchlich). Im späteren Altnordischen entwickelte sich dieser Konsonant zu einem „r“-Laut. Wir können also von einem „s“-Laut ausgehen und lesen: „foso“, „der foso“, womit im Frühmittelalter eine männliche Person gedacht sein muss. Im Schwedischen ist „foster“ die Leibesfrucht, Ausgeburt, das Geschöpf, „fosterbarn“ = Pflegekind, „fostavader, fosterfar“ = Pflegevater. Im Isländischen ist „fóstur“ = Pflege, „fóstra“ = Pflegemutter, „fósturjörd“ = Heimatland, Vaterland. Im Altnordischen meint „fóstr“ die Kinderpflegschaft, die Aufzucht der Nachkommen, ist „fóstr-fadir, fóstri“ der Pflegevater, „fóstra“ = aufziehen, erziehen, „fóstbródir“ ist der Zieh-, Schwur- und Waffenbruder. So dürfte mit dem „fozo/foso“ - aus dem germ. Wortstamm „fos“ - der ins Bild gesetzte, die Lebenskraft schenkende und hegende Göttervater Wodin-Odin gemeint sein.
 
                             
          Die Schallmündung des Horns von Wismar in der Fotografie.