24.12.2024
Eiben-Baum und Irmin-Säule in Michaels-Krypta/Fulda, die als Zentralsäule die gesamte Kapelle über sich trägt. Sie wird „Christussäule“ geheißen.
Yggdrasil und Irminsul
Unter heutigen Neuheiden herrscht eine nachhaltige Verwirrung über zwei Begriffe, die sie zumeist unfähig sind, auseinander zu halten: Irminsul und Yggdrasil. So kommt es zu Fehldeutungen folgender Art: https://www.goabase.net/de/festival/irminsul-der-weltenbaum/53043
Unter der Überschrift „Irminsul - Der Weltenbaum“, eines Andreas Kempf/Hamburg, findet sich folgender Text im Netz: „Die Irminsul symbolisiert nach den Quellen den Weltenbaum der germanischen Mythologie und steht im Zusammenhang mit der Weltesche Yggdrasil aus der Edda und dem immergrünen Kultbaum beim wikingerzeitlichen Tempel von Uppsala. Man verehrte unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Baumstamm, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf lateinisch ,columna universalis‘ (dtsch. All-Säule) bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.“ Geht man von der Funktion der Irminsul, das ganze All zu tragen, aus, so erweist sie sich als eine spezielle Form der sogenannten Weltsäule. Sie erhob sich vom Boden aus bis zum Himmel. Bei den Lappen hat sich die Sitte, Weltsäulen aufzustellen bis ins 17. Jahrhundert erhalten und bei den Schamanen Nordasiens noch bis ins 20. Jahrhundert. Damit wird der Weltenbaum, der Himmel und Erde trennt, zugleich der, der sie wieder verbindet. Die an diesem Stamm in neun oder sieben oder zwölf Stufen Aufsteigenden, erleben die verschiedenen Bereiche der Himmelswelt. Die Schamanen im Polargürtel der Kontinente rund um das Nordpolarmeer haben diese Initiationsverfahren bis ins 20. Jahrhundert ausgeführt. Ursprünglich war nicht die Irminsul selbst der Gegenstand der Verehrung, sondern sie stand als ein Symbol für einen höheren Wert. Es ist vermutet worden, dass sie auch einen zentralen Thingplatz markiert habe. Man versammelte sich aber im Schatten des Heiligtums, weil man dort auf ein gesitteteres Verhalten und auf den Schutz der Götter rechnete. Die Irminsul war jedoch so wenig eine Markierung des Thingplatzes wie der mittelalterliche Kirchturm eine Markierung des Wochenmarktes. „Neun Welten kenn ich, neun Äste weiß ich, am starken Stamm im Staub der Erde...“ Greetings RMX & FreiGeister
Ebenso der etwas schwer verständliche Bernhard Schulz/Berlin (Ordensname: Frodi), armanischer Heide, in beiden heutigen Mails, anlässlich eines Gedankenaustauschs: „Deine Einstellung zum Thema Irminsul kenne ich ja. Aber die der ,personenbezogene' Weltenbaum in der Edda entspricht der Irminsul im menschlichen Gesicht und nicht mehr der Irminsul auf nordischen Felsritzungen. Und die Solmen (Sonnensteine) und Menhire (Steine der Hohen) waren wie die Colomen (Versammlungssteine) die auf den Sonnentempelplätzen standen und der Kalendertechnik dienten, auch Irminsulen, was eigentlich ,Hohe, Erhabene Sonne' bedeutet.“ Und: „Es gibt keine Trennung zwischen Weltenbaum und Tempel (Zeit-Pfahl) - nur ein Gleichnis: 1. Der mythische Weltenbaum mit der Krone im zum Himmel erhobenen Walhall, dem Stamm in Midgart, der Wurzel in Utgart, 2. der reale Kultbaum im Heiligtum (Wodanseiche, Donareiche, Tanzlinde, Thinglinde u.s.w.), 3. die Sonnensäule = Tempel = Zeit-Pfahl auf dem Tempelplatz, 4. der Lebensbaum der Menschenart, 5. der Stammbaum der Sippen, 6. der Lebensbaum im menschlichen Gesicht (Ich = Eiche!).“ Deshalb rate ich Dir, Dich von Deinem ,Palmetten'-Irrtum zu lösen, ...“
Viel dauerhaften geistigen Schaden hat Hans Wilhelm Hammerbacher (1903-1980) angerichtet, der Vater der Armanen-Chefin Sigrun Schleipfer, der das geradezu schrecklich dumme Buch über „Irminsul“ schrieb, in dem er dem Leser zumutet, die altsächsisch-germanische Weltsäule in jedem Baum und Strauch sehen zu sollen. Zu dem absoluten Unsinn des Buch-Inhaltes heißt es bei seiner unseriösen Anpreisung schon in den ersten Worten zum Grundirrtum: „Das germanische Lebensbaum-Symbol, die „Heilige Irminsul“, unsterbliches Bild unserer Seele, wir scharen uns um Dich, wie einst in Schlichtheit und Treue, wir werfen Schmach und Schande von uns und einen uns in reinem Wollen als Freie zu höherer Gemeinsamkeit.“ (H.W. Hammerbacher) Hammerbachers Büchlein „Der Runen ewiger Sinn“ (1970) ist vom gleichen gutgemeinten Ignoranten-Niveau der aber wissenschaftlich untersten Schublade.
Es ist nur verwunderlich, dass es Menschen gibt, die Baum und Säule nicht auseinander zu halten verstehen. Der Baum ist das Sinnbild der erdmütterlichen Wuchskraft, während die Säule, namentlich die Weltsäule, ein Sinnbild der Welterhaltung sein will.
Nun ist es zwar so, dass Säule und Baum tatsächlich zu verbinden sind, was im alten orientalischen Kunstschaffen tatsächlich geschah, aber nur deshalb, weil es dort einen Baum gibt der säulenartig wächst, nämlich die hohe, schlanke Dattelpalme ! Im antiken Germanien war dieser Baum unbekannt, gehörte nicht zu den Erlebnismustern der germanischen Menschen und darf mithin aus dem hier relevanten Betrachtungsfokus ausgeschlossen werden. Der Weltenbaum der Kelten und Germanen war die mysteriöse Eibe, ein Baumgewächs ohne die geringste Ähnlichkeit mit einer Säule bzw. Himmelsstütze. Auch in das Sinnzeichen der Eibe, die Eiben-Rune () kann keine Säule hineingedacht bzw. herausgelesen werden. Sehr wohl aber aus dem runischen Symbol für den Himmlsgott Tiu/Tyr
(und bis heute unser Buchstabe T, t), welches schon in vorrunischen Zypern-Schriften ein Zeichen für die Sibe „di“ (Ur-Silbe für indogerm. „hell, licht, brennen“ = für Zeus, Dyaus, Ju(piter), Tiu) gewesen ist.
Yggdrasil, altnord. Yggdrasill, die „Weltenesche“ der Edda, ist in der nordischen Mythologie der Name des Weltenbaums der den gesamten Kosmos verkörpert. Andere Namen dieses Baums waren Mimameid oder Lärad. Der Begriff setzt sich typisch doppelsinnig zusammen aus altnordisch yggr = „Furcht/Schrecken“, „Schrecklicher“ und altnordisch drasill = „Pferd/Träger“. Und ebenso bedeutet Yggdrasil „Eibensäule“. Altnordisch yggia wäre von germanisch -igwja = „Eibe“ und altnordisch drasill von indogermanisch dher- = „stützen“ abzuleiten. An einigen Eddastellen wird berichtet, dass die „Weltesche“ immergrün sei und keine Blätter sondern Nadeln trägt. Deshalb geht die Forschung davon aus, dass der westnordische Weltenbaum in früherer Zeit ursprünglich keine Esche, sondern eine Eibe (Taxus sp.) war und auf Island nur deswegen zur Esche wurde, weil dort keine Eiben wuchsen. Diese Meinung stützt sich auch auf die Schilderung Adams von Bremen aus dem 11. Jahrhundert über den heiligen Baum, der im Tempelbezirk von Uppsala in Schweden stand: „Nahe bei diesem Tempel steht ein sehr großer Baum, der seine Zweige weithin ausbreitet und im Winter wie im Sommer immer grün ist. Welcher Art derselbe ist, weiß niemand. Dort ist auch eine Quelle […]“ – Adam von Bremen: „Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum“, IV 26, Scholion 134 (138). Die fast deckungsgleiche Beschreibung des mythischen Weltenbaums in der Lieder-Edda legt nahe, dass der heilige Baum zu Uppsala den mythischen Weltenbaum verkörperte. So heißt es über Yggdrasil in der Lieder-Edda: „Eine Esche weiß ich stehen, sie heißt Yggdrasil, ein hoher Baum […] Immergrün steht sie über dem Brunnen der Urd.“ - Völuspá, Vers 19.
Der Begriff „Irminsul“ ist keineswegs ein nur norddeutscher Ausdruck. In zwei Predigten aus Bayern des 12. Jhs. wurden Bekenner des Glaubens als „Fürsten und Irminsule der Christenheit“ und „boume und irminsule der Christenheit“ bezeichnet (Zitate von Herta Kollenz, Graz, in „Festschrift f. Frh. Bolko v. Richthofen“, 1974). Weiter kommt „irmansuli“ zweimal in der „Kaiserchronik“ des 12. Jh. vor, als „hohe Säule“. Irmin, irmana- scheint, wie anhand des Sprachmaterials erkennbar, die Bedeutung von „groß / erhaben / gewaltig“ besessen zu haben.
Der Mönch Rudolf von Fulda gab der Nachwelt verwirrende Kunde von der altsächsischen heiligen Irmin-Säule in einem zum Jahr 863 gefertigten Text, in „De miraculis sancti Alexandri“ (Kap. 3), wo er schrieb: „Truncum quoque ligni non parvae magnitudinis in altum erectum sub divo colebant, patria eum lingua Irminsul appellantes, quod Latine dicitur universalis columna, quasi sustinens omnia.“ Das heißt deutsch: „Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Holzstamm von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf Lateinisch ,columna universalis‘ [deutsch: All-Säule] bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.“
Die Begriffe „truncum-ligni“ wurden in der Regel als „Holz-Rumpf“ bzw. als „Baumstamm“ übersetzt, was wohl schon im schmähenden Sinne des Rudolf von Fulda lag, der bewusst nicht von einer Säule sprach, sodass wir annehmen sollen, dass es sich nur um ein primitives, aus Holz gefertigtes Weltsäulen-Idol gehandelt habe. Fraglich ist, ob das Latein des Rudolf so gut war, dass er die Texte des Vitruv kannte, dem röm. Architekten und Ingenieur des 1. Jh. v.0, welcher „truncus“ sehr wohl im Sinne eines Säulenschaftes gebrauchte. Nachweislich konnte „truncus“ im Lateinischen nicht allein für hölzerne Formungen der Art in Anwendung kommen. Sowieso wird eine Säule die, wenn auch nur symbolisch, das All tagen soll, in der sächsischen Zentralkultstätte nicht aus dem vergänglichen Material Holz geschaffen worden sein, sondern viel eher aus einem feuerbeständigen und doch leicht zu bearbeitenden Sandstein. Zum Glück kennen wir die schlüssigere Schilderung eines im Kloster Corvy um 888/891 wirkenden Geschichtsschreibers, Poeta Saxo, der die „Annales de gestis Caroli Magni imperatoris“ verfasste. Er informierte über den Charakter der Kultsäule, dass es kein unstrukturierter, glatter Stamm gewesen ist, er schrieb: „Irminsul benannte das Volk und verehrte als heilig ein in Säulengestalt gen Himmel ragendes Bildwerk trefflicher Arbeit fürwahr und auch gar herrlich gezieret. Diese zerstörte der Krieg und blieb selbst drei Tage in einem daneben errichteten Lager. Damals, als die Hitze des Sommers lange fortdauerte, und der Himmel heiter war, brannten die Felder und in den Quellen selbst war kein Wasser; von vielem Staub starrten die Flüsse.“
Zum weiteren Schicksal der altsächsischen Irminsul, und wie sie als Rest unter die Michaels-Kapelle zu Fulda gelangte, lese meinen Beitrag: „Schicksal der altsächsischen Allsäule“, unter der Rubrik „Irminsul-Irrtum“.