Die Thüringer
Auf welche Weise dieses frühe, in der Mitte Germaniens liegende, protogermanische Reich seinen Untergang erfuhr, wissen wir nicht, doch der Thüringer-Stamm des Raumes muss von seiner würdevollen Erinnerung provitiert haben. Die Thüringer (Thuringi, Tueringi oder Thoringi) galten als das hoch geehrte Germanenvolk in der Spätantike. Aufgrund einer Untersuchung von Belege des Wortes hält der Germanist und Namensforscher Wolfgang Haubrichs die Stammesbezeichnung von einer germ. Basis „þur-“ abgeleitet, mit der Bedeutung: „stark, machtvoll, groß, reich“. Die Schreibungen mit „th“, „t“ und „d“ sind Übertragungen aus dem germ. „þ“. Es gab immer mal wieder Kräfte- und Stammesverschiebungen in der Großgermania. Um 100 v.0 drangen artverwandte Hermunduren aus dem Gebiet der unteren Elbe nach Thüringen ein und überlagerten und vermischten sich mit dortigen Landsassen. Im Jahr 3 n.0 vereinigte der Fürst Marbot die Markomannen vom Maingebiet, mit Hermunduren, Turonen, Quaden, Langobarden und Semnonen in einem gewaltigen Bund. Im Jahre 8 v.0 wurde er König der suebischen Markomannen und versuchte sich mit dem Römerreich gut zu stellen, was ihm letztlich übel ausging, im Gegensatz zum Cheruskerfürsten Armin, der die Römer, unter Oberbefehl des Feldherrn Varus, 9 n.0, in der sog. „Schlacht im Teutoburger Wald“ besiegen konnte. Marbot blieb in Opposition zum Cheruskerfürsten, dem „Befreier vom Römerjoch“. Armin bot Marbot ein antiröm. Bündnis an, und sandte ihm daher das Haupt des Varus zu. Marbot erwies sich - in seinem Friedenswahn - als hartnäckiger „Volksverräter“, er lieferte den Kopf des Germanenfeindes an den Rom-Kaiser Augustus aus. Auch blieb er schändlich neutral, als in den folgenden Jahren Rom seine grausamen, massenmörderischen Unterjochungszüge gegen Armin unternahm („Germanicus-Feldzüge“). Im 4./5. Jahrhundert n.0 wanderten Nordgermanen, Angeln und Warnen, in Siedlungsgebiet der elbgermanischen Hermunduren ein, woraus sich schließlich der Stammesverband der Thüringer bildete. Frankenkönig „Karl der Großen“, also im 8. Jh., ließ das überlieferte Stammesrecht der Thüringer, das „Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum“, aufschreiben, das für die von den Stämmen der Angeln und Warnen bewohnten Gebiete in Thüringen Geltung besaß. Die Angeln siedelten im südlich der Unstrut im „Gau Engilin“ (fränkisch: Englehem), während die Warnen im Lande „Werinofeld“, zwischen Saale und Elster, wohnten. Ihr gemeinsames nordisches Erbe, die vielen gewaltigen Hügelgräber aus dem protogermanischen Reich Bronzezeit, die vielen unvergessenen Kultstätten, zusammen mit den dort weitergereichten Urzeitsagen, schufen ein elitär-thüringisches Bewusstsein. Schließlich kam den Thüringern die Ehre zu, dass einer von ihnen, aus politisch einflussreicher Sippe kommend, Odoaker/Odovakar (der Od-Wackere), Sohn des Edekon und einer Skirin, die Regierung von Westrom übernahm. Seiner Tatkraft ist es zu verdanken, dass das verhasste Rom erstmalig in germanische Hände griet. Die Mehrheit der germanischen Legionäre in Italien wählte am 23. August 476 Odoaker zu ihrem Anführer, d.h. zu ihrem „rex“ bzw. König. Der gotische Historiker Jordanes berichtet in seiner „Getica“ (Gotengeschichte), Odoaker sei „Torcilingorum rex habens sicum Sciros, Heruls diversarumque gentium auxiliarios“, d.h. „König der Torcilingi“, also der Toringi (Thüringer), welcher zur Unterstützung auch über Skiren, Heruler und weitere Völkerschaften geboten habe. Er beseitigte den röm. Schattenkaiser General Flavius Orestes und erhob sich zum „rex Italiae“ („König von Italien“).
Doch noch nochmals ein Rückblick: Um das Jahr 400 erwähnte der römische Schriftsteller Flavius Vegetius Renatus den Name Toringi im Zusammenhang mit weißen Pferden. Sie werden kultischen Zwecken der Zukunftsdeutung gedient haben, ein Brauch den man später auch von den Slawen berichtete. Im zweiten Jahrhundert n.0 vermerkt der Geograph Claudius Ptolemaios das „Heim der Teurier“. Der dramatische Sturz der Thüringer ist geschichtlich nachvollziehbar. Sie wurden vom Hunnenkönig Attila überrannt und mussten ihm für die „Schlacht auf den Katalaunischen Feldern“, des Jahres 451, Soldaten stellen. Die Schlacht ging, mit großen Menschenverlusten für die Verlierer, Attila und seine Koalitionäre, verloren. Diese Schwächung durch die Hunnen war der Beginn vom Ende der stolzen Thüringer. Zwar errichteten sie 453/4, nach dem Zusammenbruch der Hunnenherrschaft, im Raum zwischen Donau, Main und Elbe erneut einen eigenen Herrschaftsraum. Es gilt im 5. Jh. als das mächtigste germanische Reich außerhalb der alten römischen Reichsgrenzen. Doch die Thüringer hatten durch Hunnenherrschaft und Krieg zu viele gute Blutlinien verloren. Ihr König Herminafried war, dem friedenstiftenden innergermanischen Verschwägerungssystem folgend, mit Amalaberga einer Nichte des Ostgotenkönigs Theoderich verheiratete. Erst nach dem Tod Teoderichs im Jahr 526 nutzten die katholisch-abtrünnigen Franken die Gelegenheit und griffen an. Vielleicht aber verfügte die Allianz von Franken und Sachsen, die den Thüringer-Staat in die Zange nahmen, über absolut überlegene militärische Kräfte. Die merowingischen Franken, in Koalition mit den Sachsen, machten ihm schließlich mit der Schlacht an der Unstrut, im Jahr 531, ein Ende, in welcher der Thüringerkönig Herminafried gefallen ist. Im folgenden Jahr 532 wurde auch das Burgundenreich von den christlichen Franken zerschlagen. Das „Iring-Lied“ oder die „Iring-Sage“, deren Originaltexte bisher nicht aufzufinden waren, beschreibt die Flucht, Vertreibung und Mord der thüringischen Königsfamilie. Das Thüringer-Territorium wurde unter den Siegern aufgeteilt, wobei Gebiete nördlich des Harzes an die Sachsen gingen und der Süden an die Franken. Um die edlen Thüriger in besonderer Weise zu schmähen, wurde sie zum „Schweinezins“ gezwungen, ein Tribut, demzufolge sie dem fränkischen Königshof jährlich 500 Schweine zu liefern hatten. Und um die widerspenstige thüringische Volkssubstanz der Gebiete östlich der Saale auszudünnen, ließ man das Einsickern von Bauern aus dem Ostraum zu, so dass sie von Slawen besiedelt wurden, somit dem Germanentum verloren gingen. Die letzte Angehörige des Thüringischen Königshauses war Radegundis, die Enkelin von König Bisin(us), Tochter von Berthachar und Nichte von König Herminafrid. Der katholische, siegreich-grausame Frankenkönig Chlothar I. verschleppte sie, zwang sie im Jahr 540 zur Heirat und zum Christenglauben. Der Wüterich hatte zuvor zwei der drei hinterlassenen minderjährigen Söhne seines Bruders Chlodomer eigenhändig ermordet. Radegunde floh, wurde aber ergriffen und zurückgebracht. Vor ihr hatte Chlothar bereits vier Frauen geehelicht. Im Jahr 587 starb Radegundis in demütigender fränkischer Gefangenschaft. Das Reich der Thüringer lag zerschlagen und dem Frankenreich einverleibt, ohne Aussicht auf Befreiung.