Der interessante Fingerzeig in den europäischen Norden stellt der sog. „Nestorbecher“ dar, er zeigt in geometrischer Form die nordische Doppelspiral-Säule auf dem Weltenberg, die ich als Urform der urgermanischen Allsäule (sächs./ahd. Irminsul) erkannt und ausführlich beschrieben habe. In der Nekropole von Pithekoussai, nahe dem Monte Vico auf der ital. Insel Ischia, fand der Archäologe G. Buchner 1954 bei Ausgrabungen ein Trinkgefäß. Es wurde im letzten Drittel des 8. Jh. v.0 vermutlich auf Rhodos hergestellt, während die Inschrift in Pithekoussai eingeritzt wurde und zwar im chalkidischen Typus und in einem euböischen Dialekt. Chalkis, eine der Mutterstädte von Pithekoussai, war im 8. Jahrhundert v.0 eines der wichtigsten Zentren der ionischen Adelskultur. Chalkida / Chalkis ist die Hauptstadt der Insel Euböa in der Region Mittelgriechenland. Der Becher gelangte zur Griechenkolonie Ischia, wo es zusammen mit weiterem Tongeschirr als Grabbeigabe eines 12- bis 14-jährigen Jungen verwendet wurde. Rhodos - der Entstehungsort des nordischen Allsäulen-Dekors - ist die Hauptinsel der griechischen Inselgruppe in der Südost-Ägäis. Im 14. Jh. v.0 kolonisierten Mykener die Insel, ab dem 11. Jh. v.0 ließen sich hier dorische Griechen nieder, im 8. Jh. v.0 müssen wir aber Einflüsse der nordischen Philister/Phönizier in Rechnung setzen.
Der Becher hat mit dem legendären bzw. historischen Nestor, dem König von Pylos, nichts zu tun. Man nennt ihn nur so, weil sich seine Inschrift auf Nestor bezieht. Das war ein Held der griechischen Sagenwelt. In Homers „Ilias“ spielt er eine der Hauptrollen unter den alten, erfahrenen und weisen Ratgebern von König Agamemnon. Der mächtige Nestor besaß eine führende Rolle im ersten Krieg der vereinten Griechen gegen Troja. Er konnte insgesamt 90 Kriegsschiffe entsenden. Auch war er ein Kamerad Iasons auf der Fahrt des Expeditionsschiffes Argo. Homer bezeichnete ihn als „diós“, also göttlich und als „Beschützer der Krieger“, und beschreibt den im Altertum viel diskutierten „Nestorbecher“, den der trinkfreudige Held nach Troja mitbrachte. Es gibt verschiedene Versionen von der Argonauten-Fahrt. Die Männer planten das Goldene Widderfell in Kolchis, im Ostschwarzmeerraum, zu erwerben, durften über den Bosporus nicht in die Ägäis zurück, weil sie dort abgefangen werden sollten und müssen sich deswegen zwangsläufig einen Weg über die einmündenden Flüsse gesucht haben. In einer Version der Sage sollen sie über das nördliche Europa herum und über die Straße von Gibraltar wieder ins Mittelmeer gelangt sein. Eine andere Version, die uns Plinius hinterließ, berichtet von der Strecke über die Donau und Nauportus (deutsch: Laibach - 85 km langer Fluss in Slowenien) zur Adria. Dass damit das Schiffschleppen verbunden war, wie in alter Zeit durchaus üblich, erklärt Plinius selbst. (Richard Hennig, „Abhandlungen zur Geschichte der Schiffahrt“, 2013, S. 112) Möglicherweise sind diverse mykenische Erkundungs- oder Handelsfahrten in den Norden zu einem Sagenstrang vom Argonautenzug verbunden worden.
Der älteste datierbare Nachweis für Alphabetschrift im antiken Griechenland ist der „Nestorbecher“, welcher der spätgeometrischen Zeit entstammt (735-720 v.0). Gefunden wurde er auf Ischia (Pithekussai) im Grab eines 12/14 jährigen Jungen, um 720-710 v.0. Die eingeritzte dreizeilige Inschrift im euböischen Alphabet, ist von rechts nach links zu lesen (wie die ursprügliche ODING-Runenreihe): „Nestor hatte einen Becher, aus dem gut zu trinken war; wer aber aus diesem Becher trinkt, den wird sogleich die Sehnsucht der schönbekränzten Aphrodite ergreifen.“ Der derzeitige Forschungsstand glaubt an die Entstehung der griech. Alphabetschrift unter dem Einfluss von phönizischen Seehändlern, den Nachfahren europäischer Eroberer Palästinas, den Philistern bzw. Seevölkern. Da die Schriftzeichen des „Nestor-Bechers“ schon deutlich von den phönizischen abweichen, lässt sich schließen, dass die Anregungen zur Entwicklung des griech. Alphabets lange Zeit vor der seiner Gestaltung erfolgt sein dürfte. Wie genau die Schrift entstand, ist aber noch völlig unklar. Gesichert ist, seit diesem Zeitpunkt (720 v.0) hat sich die altgriechische Sprache vielfach aufgespalten und fortentwickelt. Die Lautschrift eignete sich erstmals für umfängliche Texte im Gegensatz zur vorangegangenen Silbenschrift. Die früheren Formen der Silbenschrift, die seit dem 2. Jahrtausend v.0 in Griechenland, Kreta und Zypern existierten, wurden allein noch auf Zypern in Gestalt der kyprischen Schriften verwendet. Die Silbenschrift, wie die mykenische „Linear B“, mit Zeichen nur für offene Silben eigneten sich allein für einfache behördliche und kaufmännische Texte, wie z.B. Inventar-, Städte- und Warenlisten.
Was ist festzuhalten ?
1.) Frühgriechen bzw. Mykenier hatten Kontakt mit dem Donauland- und Voralpengebiet (Bernstorf).
2.) Das war eine der ältesten Hochkulturregionen Europas, wie die stichbandkeramischen ca. 7.000-jährigen Sonnenkulttempel im Isarborgen beweisen (Künzing / Meisternthal).
3.) Die Mykenier unterhielten oder besuchten in der Großsiedlung bei Bernstorf eine Weihestätte, einen Tempel oder Altar.
4.) Der weise mykenische Führer Nestor besuchte während der Argo-Expedition wahrscheinlich auch den Donauraum. Er und seine Genossen werden dort den begehrten Bernstein eingehandelt haben.
5.) Nestor war Fürst von Pylos im Peloponnes, wo die Gräber voller Bernstein befunden wurden.
6.) Die in Bernstorf gefundene „Linea-B“-Inschrift nennt einen Volksnamen von Pylos, womit die Annahme wahrscheinlich gemacht ist, dass Bernstorf von Mykeniern aus Pylos besucht wurde, oder diese Volksgruppen im südlichen Donaugebiet sogar ihre Urheimat hatten.