Diesen Text - aus Mitte der 60-er Jahre - fand ich im Nachlass meines Vaters Karl Heß (1902-1995), welcher Geschichte, dann Theologie studierte, später Elektoingenieur (im Besitz einiger Patente für Grubenlampen) wurde, der als junger Mann bekennender Kommunist und Katholik war (letzteres möglicherweise mit Rücksicht auf seine fromme Mutter) und der im Weltkrieg II. nach Besatzungseinsatz in Klattau bei Prag, erst im Herbst 1952 als Spätheimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, mehr tot als lebendig.   

Die Eltern Cläre und Karl Heß

Eigenartige ? abwegige ? oder sogar verbrecherische Gedanken eines ganz gewöhnlichen deutschen Bundesbürgers.

Wenn ich 20 Jahre nach Kriegsende die verschiedenen Zeitungsartikel, Bundestagsreden oder „Eingesandt“ aufmerksam verfolge, so kann ich nicht umhin, mir obige Gedanken manchmal zu machen.

          Im Laufe der Weltgeschichte ist zu wiederholten Malen versucht worden, die gewaltsamen Auseinandersetzungen der jeweiligen Großmächte durch friedliche Vereinbarungen abzulösen stets ohne bleibenden Erfolg. Immer wieder hat eine Macht versucht, sich auf Kosten oder unter völliger Vernichtung der Schwächeren, in den Vordergrund zu spielen. Obwohl die Kenntnis der Geschichte unsere Mächtigen belehren müßte, dass kein auf Gewalt und Willkür aufgebauter Staat länger als eine gewisse Zeit lebensfähig blieb, versuchen bis auf den, heutigen Tag immer wieder Menschen, die dem Machtrausch unterliegen, ihren Machttraum in die Wirklichkeit umzusetzen.

           Die Ausgrabungen in der alten Welt z.B. belehren uns, daß lange vor unserer Zeitrechnung bereits mächtige Staaten oder das bisherige Denken umwerfende Ideen kamen, blühten und abgelöst wurden. Noch mächtigere, vielleicht auch nur brutalere Volkschaften oder Gedanken erwiesen sich als stärker. Ur, Ninive, Babylon, Ägypten, Juda, Griechenland, die Perser, Karthago die Römer samt ihren Folgestaaten, die Spanier, Frankreich, England, Holland, Rußland, Deutschland, tun nur einige zu nennen, verfochten ihren jeweiligen Herrschaftsanspruch mit unvorstellbarer Härte und vor keiner Niedertracht zurückschreckten Grausamkeit. Die Wege der Mächtigen sind ein Meer von Blut und Tränen für die eigenen und noch zeit stärker der unterdrückten im heutigen Sinne „ befreiten“ Völker. Die Ausgrabungen der alten Städte geben uns mit ihren rauchgeschwärzten, gewaltsam zerstörten Mauern ein gar zu deutlichen Bild, wie die Befriedung der Unterworfenen schon in grauer Vorzeit aussah.

          Die alten Helden, sprich Räuberhauptleute, waren damals schon so wie unsre heutigen; sie erfanden die Mär vom gerechten Krieg. Und gerecht war jeder Krieg, der dem eigenen Machtstreben zweckdienlich erschien. Und immer ließ sich die jeweilige Staatsreligion unter Führung ihrer Priesterkaste, sehr gut in diese Gedankengänge einbinden, damit das gewöhnliche Volk im Hinblick auf das versprochene bessere Jenseits willig die Fron des Diesseits auf sich nahm. Die zweckmäßige Idee des Auserwähltseins schuf klug die Grundlage zu ungeheuren Kraftanstrengungen. und Leistungen, leider meist unter Vernichtung aller anders Denkenden. Zu Ehren des Stammesgottes floß das Blut im schauerlichem „Gottesdienst“.

           Die Weltgeschichte lehrt uns, daß es auf dieser Erde noch nie ein Volk gab, das infolge allerschwerster Belastung durch im Laufe seiner Geschichte begangener furchtbarer Greueltaten das Recht hätte, anderen Völkern Greuel vorzuwerfen.

           Wenn „Sanherib von Ninive“ Babylon so gründlich zerstörte, daß wir heute „ausradieren“ sagen müßten, wenn die Juden Jericho zerstörten, alles niedermachten, Mann und Frau, Greis und Kind, außer der Familie der Verräterin, die ihnen die Tore öffnete, wenn Alexander der Große ein kurzlebiges Weltreich schuf, wenn die Römer die Handelsstadt Karthago dem Erdboden gleich machten und wenn sie später ihren Herrschaftsbereich über Griechenland, Spanien, Gallien bis weit nach Germanien hinein ausdehnten, wenn die Goten nach Italien, die Vandalen bis nach Nordafrika zogen, wenn Spanien die hohen Kulturen der Inkas und Azteken vom Erdboden hinwegfegte, wenn die Staatspiraten der jungfräulichen englischen Königin die Meere mit Greuel füllten, wenn die Engländer die europäischen Völker mit ihren „goldenen Kugeln“ gegeneinander aufhetzten, um in dieser Zeit ihre Kolonien zusammen zu rauben, wenn England im Opiumkrieg die chinesischen Häfen bombardieren ließ, damit China seine Häfen dem Volksgift Opium öffnete, damit die englischen Kaufleute noch mehr Geld am Opiumgift verdienen konnten, wenn England die ersten Konzentrationslager im Burenkrieg um 1900 erfand, in denen die Frauen und Kinder der um ihre Freiheit kämpfenden Buren vorhungerten, um auf diese „friedliche Weise“ den Kampfgeist der Männer zu brechen, wenn die Franzosen im Riffkrieg und im Marokkokrieg mit Bomben ganze Dörfer der Eingeborenen ausradierten, die sich gegen die Eindringlinge zu wehren versuchten, wenn England heute noch versucht, seine im Laufe der Zeit mit List, Gewalt und Verbrechen zusammengeraubten Besitzungen wie z.B. Gibraltar und Malta mit Klauen und Zähnen zu verteidigen und nicht daran denkt, sie den angestammten Völkern zurückzugeben, so beweisen diese wenigen allbekannten Tatsachen nur, daß die Entwicklung einer jeden Großmacht nur über den Weg der himmelschreienden Ungerechtigkeiten möglich war. Und wenn Rußland heute noch versucht, allen seinen Raub festzuhalten, so ist doch absolut sicher, daß es ihm nicht gelingen wird. Eines Tages wird eben eine noch stärkere Macht Rußland veranlassen, sich auf seine Stammgebiete zu beschränken. Für unser kurzes Leben wird dies wahrscheinlich nicht eintreten. Sicher ist es trotzdem. Ich kann mir nicht denken, daß unsere Politiker nicht genau wüßten, daß wir unsere Ostgebiete vorerst nicht wiederbekommen werden. Auch wenn man nicht wagt, dies unserem Volke einzugestehen. Wir haben einer unglücklichen Idee zuliebe einen unglücklichen Krieg geführt und verloren. Und schon die alten Römer sagten: „Wehe den Besiegten“. Wir hatten kein Recht, diesen Krieg zu führen. Aber wer gab den anderen Völkern das Recht, vorher dasselbe zu tun ??? Oder noch zur Zeit genau dieselben Expansionskriege zu führen ????

           Ich kann mir ferner nicht denken, daß es ein Anliegen der westöstlichen Sieger wäre, das geteilte und damit geschwächte Deutschland durch seine Wiedervereinigung erneut erstarken zu lassen. Ich bin vielmehr davon überzeugt, daß weder England noch Amerika, noch unser neuester Verbündeter und Freund Frankreich auch nur das geringste Interesse daran hat, Deutschland wieder zu vereinigen. Das würde ja ihrer ganzen jahrhundertealten Staatsraison widersprechen. Gegen ihren absoluten Vernichtungswillen, den wir oft genug hören und empfinden mußten im Laufe unsrer Geschichte, spricht z.Z. nur eins: daß Rußland nämlich nicht noch stärker werden soll. Unser Leben überhaupt verdanken wir doch nur den Interessengegensätzen im mitteleuropäischen Raum, in dem Ost und Webt ihre Positionen verstärken wollen. Das kommt beiden Teilen Deutschlands zugute. Aber kein Räubrer gibt oder gab je seinen Raub freiwillig wieder heraus. Solange Rußland stark ist, und das gilt für absehbare Zeit, gibt es nur eine einzige Art der Wiedervereinigung, nämlich daß Westdeutschland zu Ostdeutschland käme. Allein unser alter Konrad hat dies ganz klar eingesehen. Alle anderen mit viel Geschrei verkündeten Möglichkeiten sind frommer unbewußter oder bewußter Volksbetrug zum Stimmenfang.

           Im Jahre 1848 erfolgte die dritte Teilung Polens unter Rußland, Deutschland/Preußen und Österreich-Ungarn. Erst nach rund 80 Jahren entstand Polen neu. Auch wir täten gut daran, weniger Geschrei  zu vollbringen, dafür aber durch konsequente Handlungen und unbeirrbaren Willen bei der jüngeren Generation das Gefühl für Deutschland wachzuhalten. Nicht davon reden, aber immer daran denken.

           Was nun unsere Verbrechen vor und während des Krieges angeht, so glaube ich, daß es kein Volk dieser Erde gibt, das weniger Verbrechen begangen hat oder noch zu tun bereit ist, wenn diese Schandtaten für ihre Völker Vorteile versprechen. Die Geschichte spricht eine eindeutige Sprache. So kann von einer Schuld überhaupt nur insoweit die Rede sein, als wir verloren haben. -- Die Räuber der vergangenen Jahrhunderte, die heute ihren Raub genießen möchten, verschreien uns als Räuber, weil wir dasselbe versuchten. Darum ist auch das Urteil der alten Räuber wertlos. Das sollten wir Deutsche uns merken, auch wenn wir tagtäglich von organisierten Interessentenhaufen vernebelt werden um unser klares geschichtlich fundiertes Denken zu vergasen. Unser Schuldgefühl soll auf ewige Zeiten bestehen bleiben, damit unsere Räuber noch leichter noch mehr aus unserer Volkskraft herausräubern können.