Runenstein von Tirsted / Lolland / Dänemark
 
WIDER DIE RUNEN-UNVERNUNFT
 
Alte Irrtümer verfügen über ein zähes Leben, und neue Wahrheiten haben einen schweren Stand. Diese Erkenntnis finden wir immer wieder bestätigt, warum sollte es sich anders verhalten beim Verständnis der ältesten „literarischen“ Quelle aller europäischen Völker germanischer Zunge: den Runen. Nachgedacht wird über die urtümlichen Schriftzeichen in der Hoffnung, ihren tieferen Sinn zu erfahren, seit ca. 150 Jahren. Die wissenschaftliche Tätigkeit am Objekt Runen begann im 17. Jahrhundert mit dem dänischen Forscher Ole Worms. Unser Altmeister der Germanistik, Wilhelm Grimm, vermutete bereits in seiner Schrift „Über deutsche Runen“ (1821) ein verborgenes Geheimnis in dieser uralten Lautzeichenfolge. Eine stattliche Anzahl von Forschern bemühte sich redlich, das erahnte Runenrätsel zu entschlüsseln, doch die meisten davon haben in den Alphabetverband mehr hineingelesen als sie herauszudeuten vermochten. Doch trotz all der vorgelegten Thesen und Erklärungsmodelle stellte das DTV-Lexikon von 1980 noch immer lapidar und ernüchternd unter dem Stichwort Runen fest: „Älteste Schrift und Zauberzeichen der Germanen; 24 Zeichen einer bisher unerklärten Reihenfolge.“ Wie ist es möglich, dass eine seit langer Zeit für die wissenschaftliche Welt feststehende Symbolkette von 24 Zeichen mit den dazugehörenden Begriffen und Zahlwerten bisher keine plausible Erklärung finden mochte ? Außer jener dem runischen Charakter selbst einwohnenden mystischen Tarnungskraft, erscheinen mir zwei Gründe - genauer gesagt: zwei Personenkreise - fast gleichermaßen dafür verantwortlich.
 
Der erste Kreis ist jener der grundsätzlichen weltanschaulichen Gegner, denen alles suspekt und vernichtenswert gilt, was ihren Parteiprogrammen fremd ist. Hier stehen in trauter Einigkeit, Schulter an Schulter, Christen und Kommunisten gegen die traditionellen Erscheinungen der Volksseele, gegen Sitten und Brauchtum aus germanischem Herkommen. Zu diesem Tun klatschten allezeit Beifall die paranoiden Selbsthasser und Selbstzerstörer aus dem eigenen Volkstum. Auch diese Spezies kann in Deutschland auf eine uralte, unwürdige traditionelle Existenz zurückschauen -, denken wir nur an den abartigen, auf römischer Seite gegen sein eigenes Volk kämpfenden Bruder des volkstreuen Cheruskerfürsten Armin, dem „Befreier Germaniens“.
 
Die Feindschaft gegen Runenzeichen und deren zu bekämpfende Geistigkeit ist so alt wie das Vorhandensein einer fremdgeistigen Obrigkeit in Mittel- und Nordeuropa. Als auf Island eine „Hexe“ wegen der in ihrem Besitz gefundenen Runenfiguren verurteilt wurde, entledigten sich alle, die noch Runenschriften besaßen, von solch gefährlichen Besitztümern. Im Jahre 1626 hat man auf Island 22 Personen unter der Anklage, sie hätten Zauberei betrieben, auf Scheiterhaufen verbrannt, und das erste Opfer war ein Mann, bei dem man ein einziges Runenzeichen gefunden hatte. Um 1639 wurde die Benutzung der Runenschrift sogar von der weltlichen und geistlichen Obrigkeit bei schweren Leibesstrafen verboten. Von damals bis heute hat sich nicht viel verändert, was die überspannte Vermessenheit der Mächtigen anbelangt, welche meinen, das Recht zu besitzen, dem von ihnen verachteten, niederen Volke die allein heilsamen, gesetzesverordneten Denkweisen einzubrennen. Der Kampf gegen ungeliebte, heutiger Staatsdoktrin entgegenstehenden Meinungen geht wieder mal einher mit der Diskriminierung von Runenzeichen. Der ganze abgründige Schwachsinn dieser heutigen Hexenverfolgungen ist allein daraus ersichtlich, dass zwar das Symbol von Hammer und Sichel, welches ca. 145 Millionen ermordeten Menschen zum Verhängnis wurde, keinesfalls verboten ist, auch nicht die Symbole des Ku-Klux-Klan, aber eine Anzahl runischer Zeichen, wie beispielsweise die unschuldige Odal-Rune () als „Zeichen einer verbotenen Organisation“. Ein Sachverhalt, über den das Nachrichtenmagazin SPIEGEL 52/92, S. 41 seine Glossen machte. Man fühlt sich angesichts dieses anachronistischen Kampfes gegen Symbole in das dunkelste Mittelalter zurückversetzt -, als ließen sich überhaupt Gedanken und Überzeugungen mit polizeilichen und staatsanwaltlichen Mitteln erfolgreich bekämpfen. Für den so oft zitierten „freiheitlichsten Rechtsstaat“, den deutscher Boden je erdulden durfte, ein nicht wegzudiskutierendes Schandmal. Aber die Runen müssen es ertragen und können sich nicht wehren gegen Verunglimpfung und Verleumdung. Da gibt es den ungeheuerlichen Buchtitel einer vielgepriesenen „Untersuchung“ von Helga Grebing: „Der Nationalsozialismus, Wesen und Ursprung“, 1959/64, auf dem ein Hakenkreuz auf weißem Grunde von einem Kreis schwarzer Runenzeichen umrandet wird. Der Bildsprache gemäß, wird hier also Wesen und Ursprung des Nationalsozialismus im Runengeist aufgespürt. In der Kurzbesprechung auf der Buchrückseite hat man die Unverfrorenheit, das Machwerk als eine „um Wahrheit bemühte Darstellung“ zu bezeichnen. Die nationalsozialistischen Fehlleistungen aus den Wurzeln urtraditioneller völkischer Geistigkeit zu erklären, entspricht einer gewissen Richtung moderner Perfidie bzw. des Beeinflussungssystems unserer Zeit und seiner Vereinfachungskonzeptionen.
 
In der Regel sind es die gleichen Leute, welche ihren als „antifaschistisch“ ummäntelten Hass gegen die Runen zusammenwerfen mit dem Schuldvorwurf gegenüber dem vermeintlichen geistigen Urheber jenes Verhängnisses: Adolf Hitler. Dass aber dieser persönlich keinesfalls als Freund runischer Geistigkeit auftrat, ja die „Altertumsschwärmer“, wie er sie nannte, heftig ablehnte, sogar „tiefsten Ekel“ vor ihnen empfand, das möchten die Runenkritikaster nicht zur Kenntnis nehmen, weil es in ihr kunstvoll aufgebautes, irres Feindbild nicht hineinpasst.
 
Hitler schrieb in „Mein Kampf“, S. 396f: „Im übrigen kommen alle diese Menschen (Altertumsschwärmer) nur zu einem Bruchteil in die neue Bewegung, ... um die Menschheit noch einmal mit ihren eigenen Ideen unglücklich zu machen. Was aber das für Ideen sind, lässt sich nur schwer wiedergeben. Es ist das Charakteristische dieser Naturen, dass sie von altgermanischem Heldentum, von grauer Vorzeit ... schwärmen, in Wirklichkeit aber die größten Feiglinge sind. Denn die gleichen Leute, ... ein präpariertes Bärenfell mit Stierhörnern über dem bärtigen Haupte, predigen für die Gegenwart immer nur den Kampf mit geistigen Waffen und fliehen vor jedem kommunistischen Gummiknüppel eiligst von dannen. Auch lässt es sich oft nur schwer unterscheiden, wer von diesen Leuten aus innerer Dummheit oder Unfähigkeit handelt oder wer aus bestimmten Gründen nur so tut. Besonders bei den sogenannten religiösen Reformatoren auf altgermanischer Grundlage habe ich immer die Empfindung, als seien sie von jenen Mächten geschickt, die den Wiederaufstieg unseres Volkes nicht wünschen.“ Aus Sicht der kritischen Betrachtung jener heillosen Zeit der Weimarer Republik, eine verständliche, eine politisch motivierte Ablehnung. Soviel also zu dem Kreis der Runenhasser jeglicher Couleur und Gradation, welche den positiven und vorurteilsfreien Umgang mit diesen tiefgründigen Sinnzeichen aus germanischer Antike erfolgreich zu hintertreiben vermochten.
 
Jener zweite an einer heillosen Runenverwirrung schuldige Personenkreis rekrutierte sich kurioserweise aus ganz entschiedenen Runenfreunden; man könnte sie als „Runenschädiger wider Willen“ bezeichnen. Eine der folgenschwersten Irreführungen gehen zu Lasten des Wieners Guido List, dessen allgemeine Verdienste nicht geschmälert werden sollen, wenn wir von seinen partiellen Unzulänglichkeiten sprechen. Es begann im Sommer 1902, als dieser glühende Verehrer kerndeutscher Geisteshaltung infolge einer Star-Operation wochenlang mit verbundenen Augen liegen musste - und in dieser Zeit, wie er selbst ausführte - das Geheimnis der Runen fand; erfand müsste man aber korrekterweise sagen. Was er in dieser Zeit der Blindheit zusammenreimte, veröffentlichte er 1908 unter dem Titel „Das Geheimnis der Runen“. Bereits auf der ersten Seite führte er aus: „Ohne hier durch Beweise das hohe Alter der Runen, welche ja auf Bronzefunden und Topfscherben sich schon finden, belegen zu wollen, sei gleich erwähnt, dass das ,Runenfuthark‘ in der Urzeit aus 16, nach der Edda schon aus 18 Schriftzeichen bestand, mit welchen man alles schreiben konnte ...“ Zwei grundsätzliche Irrtümer des Meisters stehen hier beisammen. Erstens ist es heute zweifelsfrei gesichert, dass die 16er Runenreihe nicht vor dem 8. Jh., also erst in heidnischer Schwundzeit, entstand und somit alles andere als urtümlich ist. Zum zweiten war es einer der schlimmsten Missgriffe, den 18 vermeintlichen Runensprüchen des eddischen „Havamal“ die 16 vermeintlichen Urrunen dazuzugeben, obschon nicht ein einziges dieser Runengedichte auch nur annähernd mit den 16 Runenbegriffen harmonisch übereinstimmt. Und schließlich die übelste Vergewaltigung: Um für die 18 Edda-Verse auch 18 Runen bereitzustellen, erfand Guido List in größter Ungezwungenheit die zwei Lautzeichen bzw. Runen dazu, die ihm für die deutsche Sprache zu fehlen schienen, nämlich ein Zeichen für „e“ und eines für „g“. Diese völlig unbegründbare Willkür wurde von Anhängern und Schülern des Meisters, insbesondere Philipp Stauff und Rudolf John Gorsleben, weitergetragen und ist durch deren Bücher „Runenhäuser“ bzw. „Hochzeit der Menschheit“ ins Volk der Interessierten fast unausrottbar hineingetragen worden.
 
 
Inwieweit Guido List die beiden Runenzeichen, die ihm zu fehlen schienen, frei dazuerfunden hat oder ob er dazu „nur“ Anregungen aufnahm, aus den diversen mittelalterlichen 24-er Runenreihen, wie den Schriften des Hrabanus Maurus und des letzten schwedischen katholischen Erzbischofs Johannis Magnus, dessen Buch über gotischschwedische Geschichte 1555 zu Rom erschien, bleibt von zweitrangiger Bedeutung. Die Runenkenntnisse des Erzbischofs waren so mangelhaft wie die gesamte Runenwissenschaft des 16. Jahrhunderts. Zwar wird in besagter Schrift ein sog. „Alphabetum Gothicum“ (siehe Abb.) vorgestellt, und es zeigt eine e-Rune, wie sie List verwandte, doch dieses Alphabet ist eine ziemliche Kenntnislosigkeit dokumentierende Zusammenwürfelung aus dem jüngeren Futhark und der punktierten skandinavischen Runenreihe unter dem krampfhaften Versuch, eine runische Entsprechung des lateinischen Alphabetes vorzustellen. Wie dem auch sei, es gab nie eine 18-er Reihe und  woher G. List seine beiden Ergänzung hernahm, bleibt sich gleich. Jedenfalls vererbte sich der Runenunsinn des Erzbischofs, welcher mitsamt seinem ebenso katholischen Bruder aus der schwedischen Heimat davongejagt wurde, und sich schließlich in Rom, völlig verarmt, bis zu seinem Tode im Hospital zum „Heiligen Geiste“ durchfüttern ließ. Guido Lists tragischer Runenirrtum entsprang einer Leichtsinnigkeit im Umgang mit dem Quellenmaterial, die uns Heutigen unverständlich erscheinen muss. Noch befremdlicher aber empfinden wir ein blindes Festhalten an dieser nunmehr über 100jährigen geistigen Totgeburt. Allein in gedanklicher Trägheit können die Gründe für ein Beharren auf dieser erfundenen 18er Runenreihe gesucht werden; denn von deren phantastischer Abwegigkeit ist ein jeder, der den Denkmälerfundus kennenlernt, rasch überzeugt. All die Freunde der Runenesoterik, welche sich noch nicht aufraffen konnten, den Runen-Fehlgang des Guido List zu überwinden, möchte ich hier und heute an dieser Stelle dazu ermuntern.
 
Wir stehen am Ende unseres Jahrhunderts und ebenso an der Eingangspforte zu einem neuen Jahrtausend; es ist hoch an der Zeit, dass wir den Kenntniszuwachs aus verflossenen 100 Jahren positiv umsetzen und zu nutzen verstehen, auch für die Aneignung einer zeitgemäßen, wirklichkeitsbezogenen Runenesoterik. Unseres deutschen Volkes Ahnen schrieben und orakelten zu keiner Zeit mit einer 16er Runenreihe, sie nutzten mindestens vom Jahre 0 bis zum 8. Jahrhundert die 24 Buchstaben der hl. Urrunen. Mit ihnen ist heute noch, trotz des Lautwandels, jedes deutsche Wort problemlos niederzuschreiben. Ich habe mit dem Buch „ODING-Wizzod - Gottesgesetz und Botschaft der Runen“ die erste theosophische Erklärung der einstigen Runenreligion vorgelegt; der geneigte Leser mag sich ein eigenes Urteil bilden. Er wird erkennen, so wie andere vor ihm, dass es zur Runenentschlüsselung des ODING - was die innere Logik des Systems anbelangt - keine Alternative gibt. Wer das wahre „Wizzod“ (Wissensgut), die heilige Urschrift der Germanen, erfahren will, der mag danach greifen.