Runenschemel im Zerr-SPIEGEL
- eine Richtigstellung -
 

Das zumeist negativ gepolte Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ist seit seiner britischen Lizenzerteilung und Gründung im Herbst 1946 bemüht, an der „Großen Mission“ mitzuwirken: Niedermachung von allem was deutsch ist. Wenn es gegen die Germanen geht - die verhassten deutschen Vorfahren - dann geraten „Spiegel“-Artikel zur geistigen Lustmordorgie. So einmal mehr geschehen in der Ausgabe Nr. 44/28.10.1996 mit der Titelgeschichte „Die Germanen - unsere barbarischen Vorfahren“ unter den Überschriften „Das düstere Antlitz der Urdeutschen“ und „Störenfriede im Nebelland“. Archäologische Funde werden fehlgedeutet, wissenschaftliche Aussagen aus dem Zusammenhang gelöst, Unvergleichbares nebeneinander gehalten, Wesentliches verschwiegen; - absichtliche Verdrehung, Verzerrung mit dem alleinigen Zweck der Entwürdigung. Heutige deutsche Leser hält man für masochistoid und ehrlos genug, um solche Machwerke zu goutieren.
 
Ein einziges konkretes Beispiel wollen wir herausgreifen; denn um die Unsinnigkeit des Gesamtartikels zu belegen, müsste man eine sehr umfängliche fundierte Gegendarstellung erarbeiten. Germanen sollen nach aufoktruiert-neudeutscher Betrachtungsweise tumbe, eben barbarische „kriegslüsterne Metsäufer“ gewesen sein, die der feinen römischen Hochkultur den „größten und furchtbarsten Krieg aufzwangen“. Dass die Germanen so wenig kooperativ waren, nicht freiwillig die römische Sklavensteuer zu bezahlen und sich auf den Galeeren anketten zu lassen, vermag der Geist des „Spiegel“ ebenso wenig zu begreifen wie das dreissigjährige Ringen der Deutschen, um ihr Selbstbestimmungsrecht im vergangenen Jahrhundert. „Lesen konnte sowieso kaum einer“, zitiert man einen bundesrepublikanischen Runenfachmann; „Kalender existierten nicht“, wird behauptet. Meine gut belegte Spezialforschung gelangte jedoch zu gegenteiligen Aussagen. 1 Angesichts solcher Prunksessel, solcher fein geschnitzter Haushaltseinrichtungen, solcher gedrechselter Speistischchen und solcher zierlicher Fußschemelchen von „Barbaren“ zu salbadern, erweist sich als primitivste, hassvollste Hetze.
 
Der germanische Ausgrabungsfund aus einem ursächsischen Siedlungshügel (Warft) im Marschland bei Wremen/Kr. Cuxhaven erbrachte neben dem eleganten, niedrigen Speisetischchen, weitere kunstsinnige Drechselarbeiten: einen mit Hakenkreuz-Kerbschnittornamenten schön verzierten Erlenholzsessel (siehe Abb. 1) sowie eine mit Runeninschrift versehene Fußbank. Auf der Randleiste des kleinen Schemels sind die Buchstaben eingeritzt, die ein Göttinger Runologe schlicht und einfach als das Wort „Schemel“ identiflzierte. „Die Schreib- und Leseschwäche der Germanen ist auch durch andere Runenfunde belegt“, so blödelt der „SpiegeI“-Kommentator. Es handelt sich nicht um eine „Rune auf der Rückseite“, wie der „Spiegel“ angibt, sondern um einen Schriftzug, also eine Vielzahl von Runen auf dem Seitenrand. Nicht mal solche Details stimmen in dieser schlampigen Recherche.
Fußschemel Unterseite
 
 
Ich bin überzeugt, dass viel eher einige der zeitgeistimmanenten Schriftforscher und Journalisten unter partieller Lese- und Rechtschreibschwäche leiden als unsere germanischen Ahnen, denen die Schrift ein mit religiösem Mythos durchtränktes heiliges Medium war. An dieser Stelle möchte ich den von mir sehr geschätzten, vorsichtig interpretierenden Runologen Prof. Klaus Düwel in Schutz nehmen, der sicherlich ungenau zitiert und von dem „Spiegel“-Autor missbraucht wurde. Wer da glaubt und verkündet, es sei der „naive Umgang der Germanen mit der Sprache“ und der Schrift gewesen, der zu solchen Torheiten führte, dass auf einem Schemel nur die Gegenstandsbezeichnung, eben „Schemel“, eingeritzt wurde, der darf mit Fug und Recht aus germanischer Sicht für einen Analphabeten gehalten werden. 2 Vom runischen Denken unserer vorchristlichen Ahnen jedenfalls hat er keine blasse Ahnung !
 
„Spiegel“-Leser sind lediglich tendenziös eingestimmt und in der Regel optimal desinformiert. Der Museumsleiter von Burg-Bederkesa, Matthias D. Schön, der die Fundstücke von Wremen in seiner Obhut hat, sagte mir, dass der „Spiegel"-Redakteur bei seinem ersten Besuch von Germanen keine blasse Ahnung hatte und bei seinem zweiten Erscheinen mit vorgefasster Meinung angerückt sei. Alle Aussagen, die er in seinem Artikel dem Kreisarchäologen in den Mund legte, seien entweder so gar nicht erfolgt oder in völlig falschem Zusammenhang wiedergegeben worden. Dieser „Spiegel“ liefert eben verzerrte Bilder ! Auf dem Runenbänkchen von Wremen steht keineswegs nur das Wort „Schemel“, wie der „Spiegel“ glauben machen will, um damit einmal mehr die intellektuelle germanische Armut zu dokumentieren; vielmehr findet sich dort die linksläufige Schriftzeichenfolge: „iðaksugl allemask“ (s. Abb. 3 oben). 3
 
Auf der Unterseite (siehe Zeichnung, Abb. 2) hingegen ist mittels klarer, sicherer Schnitzmesserzüge ein aus der Mythologie sehr bekanntes Motiv eingegeben: ein vom Wolf/Hund angefallener Hirsch/Elch. Die Bestie - ein Synonym für die unholde, teuflische Macht - springt dem göttlichen Symboltier, dem Sonnenhirsch, in den Nacken. Aus der eddischen Mythologie wissen wir von der Erzählung, dass bei ihrem Lauf über den Himmel Sól, die Sonne, von einem Wolf namens Hati (Hasser) verfolgt wird (Gylf. 11 nach Grm. 39). Im 1. Bildstreifen des „Golden Runenhornes von Rosengaad-Gallehus“ (von Anfang 5. Jh.) ist das zentrale Motiv die Hirschjagd von zwei Wölfen. Da dieses Gleichnisbild so oft vorkommt - literarisch in der Edda (Sonnenhirsch u. sonnenverschlingender Wolf) und auch christlich vereinnahmt als Hirschjagd (Christus, das zu Tode gehetzte Hirschlein) in der romanischen Sakralbaukunst - kann ich mir eigentlich die Anführung von Belegen ersparen. Im Bogenfries an der Apsis der Stiftskirche (um 1150) zu Königslutter bei Braunschweig, jagen zwei Hunde den Hirsch. Es handelt sich um den uralten theologisch verstandenen kosmischen Gegensatz und Weltkampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis, Tag und Nacht - Gott und Unhold. Der zweite Teil beigefügter Runeninschrift [] = algu skadi (algu = Hirsch; skadi = Schaden, Verlust, Verderben, Tod Feind), zusammengezogen, bedeutet also „Hirschschädiger, -feind, -tod“. Er wiederholt und verstärkt also lediglich die Bildaussage.
 
k   s   a   m   e   l   l   a
 
Ob es sich bei dem Runenwort „ksamella“ wirklich um die Bezeichnung „Schemel“ handelt, ist fraglich und wird auch von Prof. Klaus Düwel nur als ein Lösungsangebot unter anderen Möglichkeiten betrachtet. Die runologische Auswertung ist seitens der Fachwelt noch nicht abgeschlossen. Aus dem indogermanischen „skabnati“ = „stützt“, formte sich lateinisch „scabnum“ und „scabellum“ bzw. mittellateinisch „scamellum“, „scamillum“, später „scamellus“, schließlich althochdeutsch „scamal“, „scamel“, „scamil“ als Begriffe für Bank/Fußbank. Es handelt sich demnach im Deutschen um ein mittellateinisches Lehnwort, welches m.E. in der Form „skamella“ mit „a“ als Endvokal unbelegt ist. Zum größten Verdruss ist aber dies unsichere Fremdwort gar nicht recht vorhanden, vielmehr steht dort „ksamella“. Man müsste also als zusätzliche Unsicherheit von der Verdrehung des ersten und zweiten Buchstabens ausgehen. Allein diese Gegebenheit weist zwingend auf die alles andere als naive, vielmehr auf die sehr versteckte - typisch runische, also geheimnisvolle - Sinngebung hin.
 
 
Ob diese Nordsee-Anrainer, auf einer Warft hausend unter äußerst harten Lebensbedingungen, im 4. Jh. überhaupt unmittelbare Verbindungen zur fernen Südkultur besaßen und Neigungen dem mörderischen römischen Imperialismus gegenüber hätten aufbringen können, ist kaum vorstellbar. Auch die gefundene Bronzeschüssel und herrliche Gürtelgarnitur vermögen diese Wertung nicht in Frage zu stellen. Wenn sie trotzdem ein Fremdwort wie in vorliegender Weise genutzt haben, dann mit einem uns zunächst unbekannten Grund, den es zu enträtseln gilt.

 
Wer nach solch platten, direkten, ungetarnten Runendeutungen sucht, hat vom magischen Charakter germanischen - und allgemein antiken - Schriftdenkens nichts verstanden. Wir kennen eine ganze Reihe von Runenfunden, deren Sinn allein bei Berücksichtigung einer gematrisch-zauberischen Denk- und Schreibweise zutage tritt. 2
 
Auch in dem Wort „skamella / ksamella“ ruhen verborgen ganz andere Begriffe, solche nämlich, die sich harmonisch in den Gesamtkomplex einfügen. Wenn also wirklich dieses lateinische Lehnwort zur Nutzung herangezogen wurde, dann doch nur als Transportmittel, um unter dem unscheinbaren verformten Wortbild einer fremdsprachlichen Gegenstandsbezeichnung das Eigentliche und Sinnvolle für uneingeweihte Augen ebenso zu verdecken wie die Ritzzeichnung auf der blickabgewandten Unterseite des Schemels.

 
Wir wollen sehen, welche Bedeutungen das unscheinbare „ksamella“ verbirgt. Zerteilt man das Wort in seine einzelnen Buchstaben und fügt diese in unterschiedlicher Weise neu zusammen, so ergeben sind zumindest drei germanische Bedeutungen, die sich in den Kontext harmonisch einfügen.
 
 
k   s   a   m   e   l   l   a
 
k : s : a : m : e : l l : a
 
s : k : a : m : e : l l : a

 
s:k:amm:a = schänden, Schmach antun (Schand-Stoß, schändender Schlag - zu des Sonnenhirsches Schaden); skamm-lifr = kurzlebig, skann-ar = frühzeitig sterbend. s:k:ella = stoßen, schlagen. Auch ist latent vorhanden s:k:e:mm:a = kürzer machen (der Tage bzw. des heiligen Lichtes). Zur besseren Verständlichmachung muss hier erklärt werden, dass die Doppelkonsonanten in der germ. Orthographie eine untergeordnete Rolle spielten; auch einfache Schreibweise ist wahlweise statthaft.

 
Unter bleibender Voraussetzung verdrehter Anfangsbuchstaben könnte das dunkle Rätselwort auch eine zweite Erklärung finden: Seine ersten vier Buchstaben „skam“ bedeuten wie altsächsisch „skama“ = Scham im Sinne von Schimpf und Schande. Die weiteren vier Runen „ella“ wären denkbar als Dialektform von altnord. „elli“ = Alter leben, so dass übertragen „Schmach-Zeit“ entstünde. Aber auch auf ein anderes altes germ. Wort „ella“ für Eifer, Kraft, Mut, Kampf wäre vielleicht zu schließen aus altsächs. „ellian“, altengl. „ellen“, got. „aljan“, altdeutsch „ellan, ellin“, „ella“ = Nebenbuhlerin, Ellanwolf  = Eigenname (Salzburger Verbrüderungstuch von 784). Unter Zugrundelegung dieser Worterklärung würden wir zur dritten Satzbildung gelangen: „Schandeifer des Hirschverderbers“.

 
Wir haben nicht nur einen versteckten Stabreim vor uns, einen Anlautreim, denn die
Wörter „skamella, skamma, skella, skemma“ alliterieren mit „skaði“, vielmehr auch den Satz einer sinnvollen Aussage als Erklärung des beigegebenen Bildmotivs:

 
„Untat des Hirschfeindes“
 
„Schmachzeit des Hirschtodes“
 
„Schandeifer des Hirschverderbers“

 
Der runenkundige Schreiber verzichtete auf Ritzung des „a“ von „algu“ und rüstete offensichtlich zum Ausgleich dafür das erste „a“ von „ksamella“ mit einem Ärmchen mehr aus als üblich. Warum tat er das ? Folgende mögliche Erklärung bietet sich an: Auf diese Weise entstehen zwei symmetrische Buchstabengruppen à 8 Runen. Bei linksläufiger Zählweise des Ur-Runen-Buchstabensystems trägt die 8. Rune die mythologische Bedeutung des alten germ. Hochgottes Tiu / Tyr. Die 8 war das Zahlensynonym des himmelsväterlichen Herrn der achtstrahligen Windrose. Vielleicht haben wir in dieser 8er-Gruppierung eine fromme Huldigung an denjenigen Gott zu erblicken, der den Frühlingshimmel wieder weit machen soll und infolge des eddischen Mythos die wölfische Wintermacht (den Höllenhund und Sonnenverschlinger Fenrir oder Garmr) überlisten und bezwingen, also dem altgläubigen ]ahresschema zufolge die Untat des Finsterniswolfes wieder ausgleichen wird. Bei dieser rettenden Opfertat (Gylfaginning 25) verliert der Gott seine rechte Hand.

 
Wie schrecklich muss sich auf das Gemüt der einstigen Nordseeküstenbewohner der herbstliche Niedergang von Licht und Wärme Jahr für Jahr gelegt haben. Auf einem wintersturmumtosten Eiland zu leben, umgeben von gischtenden, eisigen Salzwasserwogen, unter einem nebelschweren, dunklen Himmel, das vermag ein heizungs- und glühbirnenverwöhnter Jetztmensch gar nicht mehr recht nachzuempfinden. Dass ein Nordmann den kosmisch-magischen Sommerverlust, aus dem all die Schrecknisse erwuchsen, sinnbildhaft als Hirschtötung im Wort- und Bildkomplex sich „unter die Füße“ rücken wollte, ist nachvollziehbar. Dieses schädigende, schandvolle Geschehen selbst, die Tat des Unholdes, sollte gedemütigt und mithin kraftloser gemacht werden.
 
 
Weder ein auf Jupiter hoffender Römer noch ein wundergläubiger Christ des Frühmittelalters hätten reifer und weniger okkult gedacht als dieser Germane 4, der Bild und Schriftzug in sein Fußbänkchen hineinarbeitete. Wir resümieren: Das Fundmaterial aus der Warft von Wremen ist absolut ungeeignet, die Geistesarmut unserer germanischen Vorfahren zu erweisen - im Gegenteil !
 
 
Aufklärende Fachliteratur:
1 Gerhard Heß, „ODING-Wizzod - Gottesgesetz und Botschaft der Runen“, 1993
2 Heinz Klingenberg, „Runenschrift - Schriftdenken – Runeninschriften“, 1973
3 Matthias Schön (Text), „Der Thron aus der Marsch“, 1995
4 Franz Domseiff, „Das Alphabet in Mystik und Magie“, 1925
 
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Mein Schreiben an Herrn Dr. phil. Jens Görtzen M.A,
24784 WESTERRÖNFELD / 22.01.1999
 
Sehr geehrter Herr Dr. Görtzen,
 
besten Dank dafür, daß Sie auf meinen Artikel „Runenschemel im Zerrspiegel“ eingehen. Der Te­nor Ihres Briefes provoziert allerdings Gegenkritik: Wenn man Ihre so „fachlich“ eingekleidete Häme zur Kenntnis nimmt, drängt sich die Vermutung auf (und das soll es ja auch), als seien die Deutungen alter Runeninschriften von Seiten derer, die die „notwendige Ausbildung“ erhalten ha­ben, weniger spekulativ, also weniger „Glücksache“ als meine sehr vorsichtig als Denkmodelle vor­getragenen Erklärungen. Seien Sie also doch bitte ehrlicher bzw. zurückhaltender im Gebrauch sol­cher Phrasen. Mir sind die spöttischen bis bösartigen Kontroversen zwischen gleich gut ausgebilde­ten Philologen sehr bekannt. Denken Sie beispielsweise an die fachweltliche Kritik an dem Runen­buch von Prof. Dr. Heinz Klingen­berg „Runenschrift-Schriftdenken-Runeninschriften“, 1973.
 
Oft hat es den Anschein, als verwahre sich die universitäre Fachwelt allein aufgrund eines dünkel­haften, sich selbst zuerkannten Privilegs vor jeglicher „Einmischung“ von Seiten fachkundiger Laien. Die Wissenschaftsgeschichte belehrt uns indes, daß nicht selten richtungsweisende Denkanstöße ge­rade von außen in die Spezialistenzünfte hinein­getragen wurden.
 
Was die „Wissenden“ zum Thema der Wremener Runeninschrift von sich gegeben haben, war ja Anlaß für meine Erklä­rungsvorschläge. Aus Herrn Prof. Klaus Düwels eigenem Munde hörte ich erstmalig im An­schluß an einen Runen-Seminarabend zu Frankfurt seine Interpretation des Wreme­ner Fundes. Es ist höchst verwunderlich, daß Sie nun in dieser Form nicht die geradezu abenteuerli­chen Interpretationen des zitierten Fachmannes rügen, sondern meine - im Kontext mit der bildli­chen Darstellung - wohlbegründeten Gegenvorschläge.
 
Aus den Zeilen Ihrer vorschnellen Kritik geht allzu deutlich hervor, daß Sie weder den Spiegel-Artikel selbst noch die ihm zugrundeliegenden Fachuntersuchungen aus der Feder Prof. Düwels gelesen haben. Dieser Altphilologe von der Univer­sität Göttin­gen selbst war es, der die von Ihnen so „fachlich“ hinterfragten Ausdrücke „algu“ als „Hirsch“ erklärt. Ich zitiere aus „Nytt om runer“ 9/1994, S. 14: „Der erste Bestandteil algu- könnte eine westgermanische Dublette alg- (Name der z/R-Rune) mit grammatischem Wechsel ne­ben gewöhnlichem elhon (ahd. Elaho) darstellen ... Die Bedeu­tung von algu weist eher auf Hirsch als auf Elch, ...“  Zu dem von Ihnen monierten altnordischen „skaði“ schreibt gleicher Fachautor auf S. 15: „Imperativ zum Verbum germanisch skaðjan“ = ,schädigen‘, wie altrunisch auf Wetz­stein von Ström/Straum ...“ bzw. „Ein i-stämmiges Sub­stantiv, das bereits den endungslosen Nomi­nativ des Westgermanischen zeigt ... kann als Schädiger oder Schädigung interpretiert werden.“  Ihre süffisante Rhetorik: „Der Leser erführe gern, aus welcher Sprache...“, sollten Sie also - falls Sie sich blamieren möchten - an Prof. Dr. Klaus Düwel selbst richten !
 
Daß ai. „skabhnati“ = „stützt“, spätlat. „scamellum, scamellus“ = „(Fuß-)Bänkchen/Schemel“ bedeutet, ist unbe­stritten; unwesentlich für die Gesamtbetrachtung ist nun, ob diese Ableitung tat­sächlich aus dem Indogermanischen erfolgte oder etwa andere Wurzeln erweisbar wären. Jedenfalls war es die Meinung des Lehrstuhlbesitzers Dr. Düwel: „Zugrunde liegt spätlateinisch scamellum...“
 
Ihre Hinweise zur Orthographie und Grammatik in Zusammenhang mit „elli“, mögen folgerichtig und hilf­reich sein, sie muten jedoch gespreizt, weltfremd-oberlehrerhaft an angesichts der oft nur zu ratenden Formen der diversen Ru­neninschriften. Sie wissen doch so gut wie ich, daß diese angebli­chen festen Sprachregeln auf­grund einiger weniger Funde als Arbeitshypothesen entwickelt wurden und eine Vielzahl von Wortformen aus dem Fundmaterial diesen Regeln nicht entsprechen. Ihr Ar­beitsgebiet scheinen die Runenfunde nicht zu sein, sonst wüßten Sie, daß nach Lehr­buchmanier die meisten Inschriften nicht zu deuten sind. Ein einfachen Bauer oder Krieger des Frühmittelalters hatte nämlich keine universitäre Schriftausbildung, er wollte aber trotzdem zuweilen einen Satz nie­derschreiben und tat es auch. Sie argu­mentieren abgehoben, verehrter Herr Dr. Görtzen, als wäre Ihnen völlig unfaßbar, daß es zu allen Zeiten wohl mehr halbgebildete Inschriftenstifter als –deuter gab; Universitäten, welche eine einheitliche Sprachunterrichtung der Bildungsschicht hätten ge­währleisten können, gab es bekanntlich nicht! In diesem Zusammenhang sollten Sie einmal Grund­lagenwerke wie das von Wolfgang Krause über die „Inschriften des älteren Futhark“, 1966, durch­arbeiten. Es wäre doch ein recht hybrider Anspruch, wollten wir vor den Laien so argumentieren als sei in der Sprachwissenschaft des Altgermanischen und der Vielzahl seiner Lautgruppen bereits „al­les fest im Griff“ – und die auf uns gekommenen Runenschriftfunde seien nach den heutigentags gelehrten Sprachgesetzen verfaßt worden.
 
Natürlich nehme ich Ihre Überlegungen zu „elli/ella“ gerne zur Kenntnis und würde mich freuen, wenn es Ihnen ge­länge, eine Übersetzung der Runeninschrift von Wremen vorzulegen, welche treff­sicherer wäre als meine eigene. Also nochmal: Ihre Beschäftigung mit der Materie und auch sachlich fundierte Kritik begrüße ich sehr, allerdings der pole­mische Unterton Ihres Briefes ist deplaziert. Sie sprechen von „anderen Arbeiten zu dieser Inschrift“; da mir nur die persönlichen Erklärungen Prof. Düwels und dessen o.a. Aufsatz bekannt sind, wäre ich Ihnen dankbar für einen aktu­ellen Hinweis. - Mit freundlichem Gruß