WIEDERBESEELUNG DURCH ODING
 
Ich möchte Euch heute einmal davon berichten, wie sich mir durch den Schlüssel der ODiNG/ODING-Runen die entheiligte, materialisierte, scheinbar so nüchterne Welt wieder beseelt hat, lebendig und voller Aussagen wurde, im heimatreligiösen Sinne gottdurchdrungen. Schon immer hatte ich eine starke Beziehung zur Natur, machte weite Wanderungen, war gern allein und sann über manche tiefen Weltfragen nach, am liebsten auf einer Wiese liegend unter einem schattigen Eichbaum oder auf einem Felsen weit ins Land hineinspähend. Ich spürte gern das Gras unter meiner nackten Haut, strich an rauen Baumrinden entlang und blinzelte träumend mit geblendeten Augen auf sonnenüberstrahlte Bachläufe. Ich versuchte, diese mich bewegenden Naturerlebnisse, mittels vieler Bilder einzufangen, hatte ich doch den Beruf des Fotografen gewählt. Doch lief ich wie unerweckt durch die mich faszinierenden Naturgebilde, wie ein unbewusst suchendes Kind das eigentlich noch nicht klar erkannte nach was es auf der Suche war. Ich war ein Beschauer von außen, wie ein Landfremder, der eine ihm wesensferne Welt bestaunt und sich an ihren fremden Schönheiten ergötzt.
 
Die alte Religion war aber in hohem Maße eine Naturreligion, die den gläubigen Menschen in ihren geheimnisvollen und doch vertrauten Bann schlug. Nicht allein das Auge, nein, auch die Seele hatte am Naturerleben ihren Anteil, die Empfindungen aller Sinne waren mitbeteiligt. Jedes Stückchen Heimatboden war ja Gotteserde, war Heimat der eigenen Sippe und gleichzeitig Wohnstatt einer Welt der holden und weniger holden Geister. Jede Quelle war auch die Behausung einer Nixe, jeder altehrwürdige Baum war Sitz des göttlichen Numens, jede Felsengruppe und Höhle und Waldlichtung waren Tummelplätze der Disen, der Elben, Alfen, Kobolde, Schrate und Schrawatze. Von weisen starken Ahnengeistern glaubte sich der Mensch begleitet und von seinem eigenen Heil in Gestalt eines Schutzgeistes, einer Hamingia. Und die Altgläubigen gingen durch diese Welt der weithin freien, glanzdurchfluteten Wiesenauen und der düsteren Wälder, der schwerdurchdringlichen Dickichte, der kargen Heiden und der Felsenmeere und wohin sie auch schauten, die Natur sprach mit ihnen. Die Menschen hielten Zwiegespräche mit den Erscheinungswelten in denen sie lebten. Öde und leer, fade, langweilig, sprachlos, mitteilungslos war ihnen kein Ort. Alles war belebt, alles war voll raunender Geheimnisse, voller Zuflüsterungen, voller Mitteilungen, Lehren, Warnungen, Lockungen, und damit auch voller eigenmächtiger Würde, voller kraftstrotzender Gefährlichkeiten und auch huldvoller Hilfswilligkeit, auch voller Göttlichkeit. Diese natürliche Fülle, diese Vielgesichtigkeit einer belebten, geistdurchpulsten Natur war nur zu ertragen, zu bewältigen und zu meistern durch eine aufmerksame, vorsichtige, gewissenhafte Unterscheidung. Was ist hilfreich, was kann gefährlich oder gar tödlich werden ? Der Naturwanderer muss lernen, zu unterscheiden, in Holdes und Unholdes, in Heilkraut und Unkraut, in Hilfreiches und Böswilliges. So beäugte der Mensch prüfend jeden Strauch und Baum, jeden Pilz, jedes Wasser das aus den Spalten drang und wahrhaft jedes Hälmchen, Blättchen, Blütchen, Knöspchen, jedes Säftchen. So lernte er seine Naturwelt kennen, zu beurteilen, er war wissendes, mitlebendes, mitwucherndes Teil des Ganzen, er lebte die Natur nicht von außen als tumber Bestauner, oder gar blind daran Vorbeihuschender, sondern als ein Eingedrungener, als Darinlebender. Wie viel Kraft und Seelengesundheit dieses innige Verwobensein unserer Vorfahren mit der Gottesnatur bedeutet hat, können wir leergewordenen, ahnungslosen Spätmenschen nur schwerlich nachvollziehen. Wir sind ja „moderne“ Wesenheiten, die aus der Natur hinausgewachsen sind, haben wir doch unser natürliches Wurzelempfinden als uralte Produkte, als Kinder und Enkel unserer heimatlichen Umwelt verloren, haben wir doch unsere arteigenen Wurzeln verloren. Die erkennbaren Folgen dieser Verluste zeichnen sich dramatisch ab. Instinktlosigkeit, Urteilsschwäche, Verzagtheit, verzweifelte, aber erfolglose Sinnsuche, Übermaß an Irrung, Wirrung, Verständnislosigkeit, Depressionen und insbesondere die epidemische Flucht naturvergessener und -verlassener Jetztmenschen in seichteste Zerstreuung, ja selbstgewählter Verblödung sind als Krankheitszeichen zu diagnostizieren. Uns müsste sich die drängende therapeutische Frage stellen: „Wie finden wir zurück zur Naturverwurzelung und zur Mitlebbarkeit alles Natürlichen ?“
 
Seitdem ich mit dem ODiNG, dem Runenkranz meiner gallo-germanischen Ahnen, lebe, gewinne ich die Natur zurück in meine Seele. Zuerst hat sich mir damit die Zeit zurückgeschenkt. Ich lebe mit dem ODiNG-Naturjahr wieder im altgläubigen Sonnen-Mondzyklus. Keine Mondphase erscheint, die ich nicht als Runenmond erkenne, oder zu begreifen versuche; die Runenkräfte die in ihm walten sind mir wieder bewusst geworden. Die Jahresrunen kommen und gehen und zeigen mir wie ein Urzeiger untrüglich den Jahresstand an. Seitdem lebe ich die Zeit bewusst mitfühlend, mitdenkend, mitschwingend. Steht die herbstliche Kienspan-Rune im Kalender, mahnt sie mich Wintervorsorge zu treffen: Haben die Fensterrahmen für die nasskalte Zeit schon ihren letzten Schutzanstrich erhalten, sind auf dem Schuppendach die zerbrochenen Ziegel wieder heil gemacht ? Die Sowilo-Rune des frühjährlichen Siegopferfestes gemahnt mich, die Aufgaben des vor mir liegenden Zeitlaufes tatkräftig zu planen und ins Werk zu setzen. Jeder runische Zeitstab schenkt mir eine Erinnerung, eine Mahnung und gleichzeitig einen innigen Bezug zum jahreszeitbedingten Rhythmus der Gottesnatur.
 
Die Welt der Zahlen erschien mir früher, da ich keinen rechnenden und berechnenden Kopf habe, so nichtssagend, so abstrakt, so gefühlsleer. Das ist vorbei ! Jede Zahl die mir begegnet, stochert in meinem runisch-mystischen Zahlenwissen herum bis sie eine Selbsterklärung findet, oder zumindest launische, unterhaltsame Zahlenvergleiche zutage fördert. Plötzlich lebe ich in einer Zahlenwelt voller Hinweise, Vergleiche, Prüfungen, Deutungen und Erhellungen. Wusstet ihr beispielsweise, dass die runische Kronenzahl des Asen, die Einundzwanzig, weltweit in jedem Kronkorken enthalten ist ? Er besitzt genau 21 Zacken. Die Welt ist voller höherer Zufälle.
 
Und wenn ich mit meiner Schäferhündin jetzt durch das jahreszeitlich wechselnde Feld streife, schaue ich jeden Baum und Busch mit oding’schen – vom ODiNG erhellten - Augen an. Welcher ist ein Runenbaum, welcher nicht, was soll mir die Pflanze, als runisch-altgläubige Metapher zu verstehen geben? So ist beispielsweise der Hagedorn/Weißdorn Baum der Alki, der polaren Gottessöhne des germanischen Himmelsvaters Tiu, die zugehörige Rune ist der H-Stab („Hagel und Heil“). Warum gerade der Hagedorn den göttlichen Zwillingen zugeordnet ist, erläutert nicht allein die  Merlinsage. Hier erscheint ein Motiv, welches die Hagedorn-Symbolik verständlich macht. Es ist das Gegensatzpaar des weißen und des roten Drachens, die sich immerfort streiten. Der Hagedorn selbst ist das pflanzliche Gleichnis: seine frühjährlichen Blüten sind weiß und seine herbstlichen Beeren rot. Die beiden Drachen galten mittelalterlichen Alchemisten als übliche Parabel für die Gegensätze von männlich und weiblich, die nach Kampf und Tod zu Partnern in der alchemistischen Coniunctio, d.h. der Vereinigung der Gegensätze werden. Eine bessere Beschreibung auch der mythischen Prozesse um Balder und Höder, den braven Weißen und den bösen Roten, könnte man nicht abgeben. Ich fand zunächst keinen Weißdorn in meinem Bezirk, doch als der nächste Herbst heranrückte, erkannte ich ihn an seinen roten Dolden, neben all den vielen hessischen Schwarzdornbüschen, mit ihren dunkelblauen Schlehenfrüchten. Ich möchte auf meinem Grundstück sämtliche Runenpflanzen in familiärer Eintracht beieinander stehen haben. Auch sie mögen mir helfen bei meinen runischen Andachten und Versenkungen zum immer tieferen Verständnis meines natur- und artreligiösen Herkommens.
 
Die Runen haben mich zur Heimat und zum Heimatglauben zurückgeführt, sie schenkten mir zuerst einmal Wissensbegierde und dann Vertrautheit und Liebe, schließlich führten sie mich zur Einsicht. Denn nur das können wir verstehen womit wir uns gedanklich beschäftigen. Das ODiNG hat mir die Naturwelt, in der ich lebe, zurückgeschenkt; sie ist nun für mich voller Gottesteilhaftigkeit, voller lebendigster Impulse; ich stehe im unaufhörlichen Wechselgespräch mit den Erscheinungsformen meiner Welt. Ich stehe nicht mehr draußen, so wie ein Zoobesucher, der außerhalb der Gitterstäbe seine Betrachtungen anstellt. Ich bin vielmehr  mitdenkendes, mitempfindendes, mitschwingendes Teil der großen räumlichen und zeitlichen Einheit meiner Heimaterde geworden. Den heiligen ODiNG-Runen sei Dank !