„Ich weiß deinen Namen !“
 
 
So raunt der Magier den Geistmächten zu, über die er Macht gewinnen will. Wer Zauberbücher irgendwelcher Art kennt, dem ist das nichts Neues: Den Namen wissen, heißt, die Wesenheit begreifen, „haben“, sie zwingen können. Noch das mittelalterliche Denken war beherrscht von der Vorstellung, dass Namen und Sache sich deckend einander entsprechen müssten. Jeder, der den wahren Namen eines anderen „besitzt“, verfügt mit ihm über die tiefinnewohnenden Wesensmerkmale und Kräfte seines Trägers. Dergleichen Namenszauber stand bei den verschiedensten alten Völkern in hohem Ansehen.
 

Die Römer hüteten als dunkles Geheimnis den Namen der Schutzgottheit von Rom, damit die Feinde sie nicht erführen. Der Geheimname schützt durch seine Verborgenheit den Träger davor, dass schadender Zauber sich des Namens als Handhabe bediene. So ist verständlich, warum auch Sagenheld Sigurd, der dem Drachen Fafnir sein Schwert ins Herz stieß, dem Sterbenden zunächst die offene Antwort verweigerte, als sich dieser nach dem Sippennamen des Töters erkundigte (Fafnismal 1). Ist der Name des Feindes nicht bekannt, kann er auch nicht verflucht werden. Jener Glaube war also weit verbreitet, dass derjenige, der den Namen eines Geistwesens kennt, Macht erhält, es zu bannen, zu schädigen oder sogar zu vernichten.
 
Den aufschlussreichsten Einblick gewährt das deutsche Märchen vom Rumpelstilzchen mit seinem frohlockenden Ausruf: „Oh wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Der Umstand seiner Unnennbarkeit, seiner Namenlosigkeit, sichert dem bösen Zwerg die magische Unangreifbarkeit zu. Als dann wider Erwarten der Geheimname doch bekannt wird, also der Schutzzauber gebrochen ist, kommt dies einer völligen Entmachtung gleich, so dass sich der widerliche Wicht im Augenblick der Entdeckung selbst auseinander reißt. Auch ein althochdeutscher Zauberspruch aus dem 10. Jh. lautet: „Wola wiht taz tu weist, taz tu wiht heizist. taz tu ne weist noch ne chanst, cheden chnospinici.“ (Wie wohl ist’s, Wicht, dass du weißt, dass du „Wicht“ heißt, dass du aber nicht weißt und nicht kannst sagen „chnospinici“.) Der Sinn des Spruches ist nicht in allen Teilen klar, sicher aber ist, dass das Haus vor einem „Wicht“ geschützt werden sollte, welcher einem lateinischen Begleittext zufolge, der Teufel ist. Um ihn zu bannen, versuchte es der Beschwörer mit Namensmagie: Er teilte dem Unhold indirekt mit, dass er seinen Namen kenne. Damit nahm er ihm, wie wir es vom Rumpelstilzchen her wissen, den wichtigsten Trumpf aus der Hand.

 
Solche Gedankengänge bezogen sich auf die Schadensmagie natürlich geradeso wie auf die Heilsmagie. Die griechische Zaubergnosis und nicht anders die von ihr mitbefruchtete germanisch-wodanische Theosophie versuchten mit dem Instrumentarium rituellen Wissens und der Kraft der Intuition, die besondere Beschaffenheit der Dinge sowie deren inneren Zusammenhang mit dem Weltganzen zu begreifen, um sie sich für magische, also Heils- oder Schadenszwecke dienstbar zu machen. Die spezielle Wesenheit eines jeden Dinges kam aber zum Ausdruck in seiner mimischen Gleichung und in seinem Namen bzw. seiner Zahl. Mit der Namenskenntnis ging das Zahlwertwissen gleichzeitig einher, denn die Buchstaben galten ebenfalls als Zahlzeichen. Man zählte die Zahlwerte der Buchstaben zusammen und kannte nach Quersummenziehung mit der sich ergebenden Kern- oder Seelenzahl den wesentlichen Aspekt des beobachteten Gegenstandes - ob Tier, ob Mensch oder Gottheit.

 
Es ist nicht so, wie verschiedentlich behauptet wurde, dass Quersummenziehungen allein in unserem heutigen mit nur zehn Ziffern auskommenden Dezimalstellen-Rechensystem möglich seien. Die Antike rechnete schon im Orakelverfahren dekadische Potenzen als Einer. Man nannte das „regula novenaria“, weil man dabei die je neun Zehner, Hunderter, Tausender in einheitlicher Weise vornahm. So gelangte man bei jedem Begriff bzw. jeder Zahl zu verdichteten Grundsummen, aus denen mantische Erkenntnisse gezogen wurden. Eine Betrachtungsweise lag hier zugrunde, für die jene heutige Auffassung von der reinen Zufälligkeit mithin Bedeutungslosigkeit und Austauschbarkeit der Begriffe und Bezeichnungen vollkommen unverständlich gewesen wäre.

 
Jedem Namen, jedem Wort wurde tiefste Bedeutung zugemessen. Dieser Umstand ist in vollem Ausmaß insbesondere von denen zu beachten, die beabsichtigen, das uns überlieferte antike Buchstabensystem jenes Teiles unserer Vorfahren zu begreifen, die uns ihre Sprache vererbten, den Germanen. Die 24 Buch(en)staben der gemeingermanischen Lautzeichenordnung werden als Runen bezeichnet. Ein Wort das den Begriff des Mystischen bereits in sich trägt; „Rune“ heißt nichts anderes als „Geheimnis“.

 
Wie es der Name unmissverständlich zum Ausdruck bringt, handelt es sich bei den Runen um das germanische Arkanum schlechthin. So wie die Runen in ihrer Gesamtheit dem mystisch-mythischen kosmischen Gottesleib entsprechen (wie wir noch sehen werden), so galt jegliche Arbeit mit diesen bezaubernden Lautsymbolen als geheimnisumwittertes Werk. Mit Recht schreibt Hermann Güntert a): „Denn es ist eine echt nordisch empfundene Vorstellung, dass Runenweisheit und Skaldenschaft etwas Mystisches und Geheimnisvolles sind und dass diese Weisheit in Runen verborgen werden müsse, verborgen vor der unheiligen Menge: fela i rúnom ,in Runen verbergen, verhüllen' wird geradezu als das Wesen dieser heidnischen Weisheit gepriesen.“ Das Schreiben mit Runen war eine Art Gottesdienst, ein sakraler Akt, galten doch Sprache und Schrift - von der Gottheit ihren Lieblingen, den Schriftkundigen, den Goden (Priestern) geschenkt - als hohes, hehres Vermächtnis. Wer die Verborgenheiten der göttlichen Schrift verstand, war der Gottheit zunächst. Ja, alles Heilige ist schließlich geheim, also dem profanen Publikum unverständlich, fern und verschlossen. Die indogermanischen Inder verstanden das nicht anders: „... denn die Götter lieben offenbar das Geheime“, „die Götter sind nämlich Liebhaber von Geheimnissen.“ (Aitareya-Upanishad 14 u. Aitareya-Brahmana III, 33). An anderer Stelle der heiligen Schriften (Rigveda X, 53, 11) wird der Begriff der mythischen Worte erläutert. Die sakrale Rede liebt die Paradoxa, das scheinbar Widersinnige, als Verschlüsselung, sie stellt die Dinge auf den Kopf - denn je mystischer, desto lieber ist es den Göttern: „Die Götter lieben das Unverständliche, sie hassen das Verständliche.“ (Brihadaranyaka-Upanishad IV, 2, 2).

 
Der Forscher, welcher sich die Verständlichmachung eines antiken bzw. runischen Schriftzuges als Ziel gesetzt hat, muss sich demnach darauf einstellen, dass er zuerst eine Art Verständnisbarriere zu überwinden hat. Sein Streben wird darauf gerichtet sein, den Schlüssel ausfindig zu machen, mit dessen Hilfe er das Rätselschloss aufschließen könnte. So finden sich zuweilen - in Gestalt eines Symbolismus, der sich nur dem Kenner offenbart - hinter scheinbar schlichten Wörtern und Sätzen feinstempfundene Gedanken, Informationen und Gebete verborgen. Dass sich solcherart vedistische Geheimnisliebhaberei - ein Charakteristikum, welches auch dem griechischen Schriftdenken zugrunde liegt - ebenfalls in den germanischen Runeninschriften wiederfindet, konnte Heinz Klingenberg nachweisen. b) Um wievielmehr muss diese Regel für das Strukturprinzip, also die Gestaltungsidee des 24er Runensystems selbst, gelten !

 
Einer der besten Kenner der alten Alphabetmystik gab zur Verfahrenstechnik einige konkrete Hinweise: „Wollte man nun den Zauber verstärken, so lag es nahe, mit den geschriebenen Buchstaben irgendwelche Operationen anzustellen. Man kehrt etwa die Buchstaben um, um damit die Umkehr der Dämonen oder des zu bannenden Dinges zu bewirken, oder man schreibt statt von links nach rechts in umgekehrter Richtung.“ c)

 
Als ich mir vornahm, die Runenfrage zu lösen, war ich sicher, dass es eine Sperre zu überwinden galt. Wäre dem nicht so, hätten die vielen Grübler vor mir längst taugliche Ergebnisse erzielt. Ich entdeckte, dass die linksläufige Lesung der tradierten 24 Lautzeichen ein kultkalendarisches Ordnungsgefüge aufzeigt von 24 Zeitpositionen, gleichmäßig verteilt über das Mond-Sonnen-Jahr bzw. „gebundene Mondjahr“, mit dem nicht nur Germanen, sondern auch andere alte Völker die Zeit organisierten. Obschon mein Forschungsergebnis durch eine solche Vielzahl von sich gegenseitig stützenden Bestätigungen in einer Art mathematischer Gleichung abgesichert ist, welche zufällige Stimmigkeiten völlig ausschließt, wurden meine Darlegungen aufs heftigste kritisiert. Freilich war das nicht anders zu erwarten, wenn eine derart revolutionäre Betrachtungsweise dem Publikum vorgelegt wird, wie ich es mit der Herausgabe des Buches „ODING-Wizzod“ d) unternahm. Ich tröste mich mit dem Wissen, dass es den allermeisten Entdeckern und Findern nicht besser erging. Kurioserweise wurde mir von einigen urteilsunfähigen, unwissenden Kritikastern gerade jene Verfahrensweise als unverzeihlicher „verdrehender Eingriff“ vorgeworfen, die zur Lösung des Runenrätsels führte, nämlich die linksläufige Lesung. Und dies, obwohl doch eine Umkehrung der Buchstabenfolge zum nachgewiesenen und bekannten antiken Tarnungsinstrumentarium gehörte.

 
Dass die Linksläufigkeit der Runenorganisation sicherlich nicht allein aus Gründen der Dämonenabwehr sowie der Arkandisziplin, also Täuschung Uneingeweihter, vorgenommen wurde, sondern höchstwahrscheinlich auch aufgrund des kosmischen Anschauungsunterrichtes, den der Mensch in nördlichen Breiten erfährt, sei hier aber eindringlich angemerkt. Linksläufig bewegen sich scheinbar die beiden großen Jahresgestirne Sonne und Mond durch den Fixsternhimmel. Einem konsequenten Kalenderzeichensystem müsste, der kosmischen Regel zufolge, ebensolche Eigentümlichkeit innewohnen. Das Linke galt dem alten Verständnis entsprechend als das Dunklere, Nächtige, viel Geheimere als das Rechte, Offene, Klare, Tagsonnenhafte.

 
Die zahlenmythischen und sakralkalendarischen Aussagen der neuen Runenerklärung sprechen im Sinne des alten Buchstaben-Zahlendenkens eine überzeugende Sprache. Erstmalig hören wir - über einen Abgrund von ca. 2.000 Jahren hinweg - einen germanischen Theosophen, einen Weisheitslehrer sprechen, der uns detaillierte Auskünfte gibt über sein Gottesverständnis, über seine Art das Göttliche zu begreifen und zu loben. Der Kreis der Suchenden und Hörwilligen empfängt die erste gallogermanische Katechese, die erste wohlüberlegte, geordnete Glaubensunterweisung aus unverfälschter unmittelbarer Quelle. Bei der entschlüsselten Ur-Runenreihe handelt es sich um das älteste „literarische Dokument“ der germanischen Völker Europas.

 
Aus der reichen Fülle der darin enthaltenen Lehren seien hier lediglich die zentralen Aussagen genannt: Der theosophische Systemschöpfer singt das Loblied der Drei, jener nicht nur indogermanischen solaren Gotteszahl. Um 24 Runen handelt es sich, ihre Addition ergibt 300, Quersumme: Drei. Sechs Urlautzeichen (Vokale) wurden bereitgestellt, wie auch 6 die Quersumme von 24 ist. Die Sechs galt in der Antike als heilige, perfekte Kosmoszahl, nicht allein wegen der sechs Raumdimensionen, sondern weil sie auf die Gotteszahl 3 hinweist, ergibt sie sich doch aus der Addition ihrer drei Divisoren. Wird die 6 als Allzahl gedacht, so muss sich der Geist des Ganzen aus der Addition der 6 (1+2+3+4+5+6) mit Resultat 21 ergeben. Die Zahl 21 galt stets als „Krone der Magier“. Im Veda wurde sie als „Sonnenzahl“ und gleichzeitig als Ziffer des „vollkommenen Menschen“ bezeichnet. Im Tarot ist die 21. Karte die stärkste und bedeutungsvollste. Sie gilt als Symbol für die „Welt“ und meint die göttliche Urkraft hinter dem Kreislauf, dem Spiel der Welt.

 
Im Runensystem trägt der 21. Buchstabe (a-Rune) den Bedeutungsbegriff „Ase“, eine Metapher für Wodan/Wodin, den germanischen solaren Weltlogos bzw. die „Schwarze Sonne“ oder „Geistsonne“. Folgerichtig erscheint die 3 als Quersumme der 21. Dass aus der Kraft dieser Gotteswesenheit das Welt-Sein wurde, berichtet das eddische Lied (Havamal 141), in dem der Dichter der Gottheit die Worte in den Mund legte: „Mein Gedeihen begann, mein Denken gedieh; wohl war mir zu werden und zu wachsen; ein Wort fand zu weiteren Worten, ein Werk fand zu weiteren Werken.“ Dieselbe Aussage machen die entschlüsselten Runen: Die Addition der Wodan-21 ergibt den Wert 231, der auch durch Multiplikation 11 X 21 entsteht bzw. nach ODiNG-Verständnis -Rune mal -Rune d.h. „Geistvater vermählt sich mit Urmutter-Liebe“. 231 setzt sich aus den drei ersten Zahlen zusammen, welche mit ihrer Quersumme wieder die Allzahl 6 erzeigen.

 
Zahlenmythisch stellt es sich also dar, dass Wodan identisch ist mit der kosmischen Allerscheinung, die im Weltwerdeprozess seinem göttlichen Selbst erwuchs. Solche Auffassung stammt aus altehrwürdigem vor-judäochristlich-theologischem Verständnis: Ägyptische Papyri belehren uns, dass der Geist- und Mondgott Thot das zauberkräftige Wort sagte, aus dem die Weltschöpfung hervorging. Ebenso heißt es in der vom Beginn unserer Zeitrechnung stammenden Rede des göttlichen Hermes Trismegisti: „Der Werkmeister hat die ganze Welt nicht mit Händen gemacht, sondern durchs Wort.“ Auf gleicher Traditionsschiene liegt das schon erwähnte eddische Havamal, wo Wodan, der germanische Geist- und Schrifterfindergott, von sich selbst verkündet: „Ein Wort fand mir das nächste Wort - ein Werk das nächste Werk.“ Das Werk - jegliches Werk, auch das größte, die Weltschöpfung - erfolgt aus vorangegangener Sinnlegung und mithin dem lautlich gefassten Gedanken - eben dem Wort.

Wodan galt demnach als der Geist des Alls; er „schuf“ das All; er ist zu verstehen als solare bzw. Licht-/Kraft-/Geist-Allegorie - soweit die nachvollziehbare Lehre des Runenschöpfers. Wer weiterreichende Kunde erhalten möchte, der lese das „ODING-Wizzod“. Ich denke dabei nicht ausschließlich an das erschienene Buch gleichen Namens, sondern an das so zu bezeichnende linksläufige Runensystem an sich. Es hält noch eine Vielzahl von Erkenntnissen bereit, welche bislang keiner „profanen“ Öffentlichkeit preisgegeben wurden.

 
Wenn sich die drei ersten Buchstaben dieses sinnvollen Ordnungsgefüges zu dem Wort O-D-iNG, also „ODING“ zusammenfügen, dann haben wir mit Sicherheit - bedenken wir die vorausgeschickten Einweisungen - den geheimen Namen für die germanische Wodanreligion vor uns. „Ich kenne deinen Namen, du Runenmacht“, könnten wir nun beschwörend raunen. Wir haben Macht erlangt, den Runengeist zu zwingen, zu verstehen, vielleicht auch ihn uns dienstbar zu machen. Die alten Runenpriester hätten mich, der ich diesen Geheimnisverrat begangen habe, der sein Wissen nicht für sich behielt, der nicht schwieg gegenüber der „Menge der Tölpel“, mit hoher Wahrscheinlichkeit verfemt und verflucht. Ich habe diesen Aspekt sehr ernsthaft erwogen und bin zu dem Schluss gelangt, dass in einer Zeit des so gut wie völligen Unwissens hinsichtlich unserer angestammten Volks- und Heimatreligion sowie einer katastrophalen Runenverwirrung im Kreis der sog. Esoteriker, ein Offenlegen der Urwahrheit ratsam und sogar hoch an der Zeit wäre, um eine junge Schar von ernsthaften Runenmeistern neu zu versammeln, die unter dem Segen der quellenorientierten Ahnenweisheit stünden. Dass aber selbst nachrechenbare Zusammenhänge, gestützt von zwingender Menge der Beweise aus dem Fundmaterial, in freizügigster Weise dargelegt werden können und trotzdem nur von einem verschwindend kleinen Kreis auserwählter Geister zu verstehen sind, das durfte ich erleben. Mir ist also nicht bange wegen des „Verrats“ eines bislang verschollenen Geheimnisses - wen die Gottheit schlagen will, den schlägt sie mit Blindheit. Die wahren Jünger des Weltlogos, des heiligen Geistes Wodin, werden ihre Wahrheit suchen und finden.
 
Einen heutigentags wirklich verwerflichen Runenverrat erkenne ich hingegen in der fahrlässigen Art, wie manche Unkluge oder Leichtfertige zum Schaden eines realitätsbezogenen bzw. quellensicheren Runenverständnisses mit diesen Symbolzeichen umspringen, ja ein wahres runisches Narrentreiben veranstalten. Die zu Beginn unseres Jahrhunderts von Guido List frei erfundene Runenreihe, bestehend aus 18 Zeichen, wird wie eine Totgeburt, mit deren seelenloser Leblosigkeit sich manche Autoren einfach nicht abfinden mögen, immer wieder leicht variierend herausgeschminkt und aufgewärmt. Je älter die Leiche, umso penetranter wird indes ihr Geruch. Die nächsten mischen die Reihenfolge der Zeichen nach eigenem Gutdünken neu, um das herauslesen zu können, was sie selbst vorher hineinmanipuliert haben (Sigrun Schleipfer u.a.). Andere wieder gleichen unverständigen Pilzsammlern, welche die rechten und falschen zusammenwerfen, indem sie sämtliche kantigen Schriftzeichen, die sie weltweit vorfinden, als Runen bezeichnen, ohne zu bedenken, dass die alten griechischen, etruskischen, römischen, rätischen, jemenitischen Schriftzeichen den Runen ähneln, ohne tatsächlich germanische Runen zu sein. Die ganze Welt wird von diesen Leuten oft unter kühnster Vorstellungskraft für solche Art Sammlungen exzerpiert und als Erklärungsvehikel hemmungslos ein phantasievolles Netz vorgeschichtlicher Geschehnisse über den Erdkreis gespannt. Auf diesem Sektor tat sich insbesondere Herman Wirth und ein von ihm inspirierter Anhängerschwarm hervor. Ihnen schrieb der Runenforscher Helmut Arntz ins Stammbuch (Runenberichte 1941, Bd.l, S. 101): „Jedes der Romantik zugängliche Herz wird von dieser weitschweifenden Sicht mitgerissen, und so sind Wirth gerade in Deutschland die meisten Gläubigen, die seine Ergebnisse nicht nachprüfen können, sicher. ... Ähnlichkeit von Bildern und Zeichen sind für sich also überhaupt kein Hinweis auf verwandtschaftliche Beziehungen. Schriften, über deren Zeitstellung und Zeichenwerte wir nicht unterrichtet sind, können auf dieser Grundlage und für sich allein nicht ausgewertet werden.“
 
Wer das Ahnenerbe der Runen gewissermaßen auf sein privates Bett zerrt, wie es der Sagenriese Prokrustes mit den Menschen tat, um sie dort zu vergewaltigen, gewissermaßen zu strecken oder zu stauchen, bis sie dem eigenen Geschmack und den persönlichen Wünschen angepasst sind, den müssten wir als Runenverräter im übertragenen und eigentlich tieferen Sinne bezeichnen.
 
Die Runen sind als wahrhaft heilige Schrift unserer eurogermanischen Völkerfamilie erkannt - das Runenrätsel ist in seinem Grunde gelöst. Das große gallogermanische Arkanum hat seine Tempeltore wieder geöffnet und lädt die Suchenden ein, heranzutreten. Der einzelnen Runenrätsel bleiben genug, drum frisch an die Arbeit !
 
 
ANMERKUNGEN:

a) Hermann Güntert, Von der Sprache der Götter und Geister, 1921, S. 155

b) Heinz Klingenberg, Runenschrift - Schriftdenken, Runeninschriften, 1973

c) Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, 1925, S. 56

d) Gerhard Hess, ODING-Wizzod - Gottesgesetz und Botschaft der Runen, 1993