ODINGS MYSTIK UND SCHOLASTIK
 
Was ist Mystik ? Unter diesem griech.-lat. Begriff ist eine von religiöser Inbrunst gekenn­zeich­nete Geheimlehre zu verstehen. Das griech.-lat. Wort Scholastik meinte ursprünglich nur die theologische Schulweisheit und bekam erst später einen abschätzigen Nebensinn. In der Mystik schwingt sich die Seele auf zu Gott, in der Scholastik unternimmt es der Geist. Die Mystik lädt die Verzückungsfähigkeit des Gemütes ein, sich dem religiösen Erlebnis bedin­gungslos hinzugeben.
 
Meister Eckehart von Hochheim (1260-1327), der größte religiöse Redner und Schriftsteller der Deutschen, meinte zwar: „Gott zu wissen ist weit weniger wichtig als in Gott zu sein“. Jeder Mystiker strebt - unbewusst oder willentlich - nach Einheit, also dem „ichlosen“ Aufge­hen im Göttlichen, gewissermaßen dem Eintauchen im Meer der Gottheit. Wie aber könnten wir zur sicheren geheimnisvoll-heiligen Verschmelzung mit unserem Gott gelangen, wenn wir ihn nicht vorher über die Scholastik angesteuert und erkannt hätten ? Scholastik und Mystik sollten sich so ergänzen, wie ein in harmonischer Ehe lebendes Paar. Die ODING-Scholastik belehrt den Geist die Wesenheit der germanischen Gottheit zu erfahren, dann vermag uns die ODING-Mystik den zielgerichteten Weg der Seele in die Gottheit zu weisen. Ohne die schulmäßige Einweisung und Einweihung durch erfahrene Lehrer setzen wir uns der Gefahr von Irrungen und Fehlgängen aus, denn nicht alles, was wir in den Schulen der Theosophie und unseren eigenen vermeintlichen Tiefen vorfinden, ist von der Art, die wir wahrhaft su­chen.
 
Die germanische Mystik und Scholastik verkörpert sich im 24-gliedrigen ODiNG-Runenzirkel, der sowohl als Lehrkörper ein logistisches, geistiges System darstellt, und ebenso mit sich selbst ein spirituelles Mandala zur mystischen Verzückung anbietet. So offenbart uns die ma­thematische Logizität des ODiNG in der Sprache des Geistes die göttliche Wesenheit Wodins, und gleichzeitig scheint sich mit zunehmendem Verstehen der ODiNG-Kreis gleich einem Blütenkelch zu öffnen, um unsere Seele förmlich einzusaugen in den mythischen Kosmos runi­scher Gestirnswelten.
 
Dann sind wir in Gott, denn die Gesamtheit der Runen ist so wesens­einig mit der höchsten Fülle wie die Spiegelung der Sonne im menschlichen Auge. Gott ist ja nichts Fremdes, Fernes, Unerreichbares, vielmehr ist er (ist es, das Göttliche) so stark in uns, wie wir in ihm sind. Der Runengeist ist dieselbe makrokosmische Belebungsmacht, wie er als mikrokosmische Lebenskraft durch unsere Lungen weht, durch unsere Adern rinnt und in unseren Zellen pulsiert. „Wenn der Mensch in die Gründe seines Selbst hinabsteigt, dann muss er dort in seiner letzten Seelentiefe eine unmittelbare Beziehung zu Gott finden, ruht doch niemand am Grunde der Seele als Gott allein, ja Gott ist im Grunde der Seele mit aller seinen Gottheit anwesend.“ Diese Überzeugungen sprach Meister Eckehart so aus, als hätte er sein Wissen direkt aus der Runenquelle des ODING geschöpft. Raunt sie doch auch davon, dass „Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund ist; Gott und ich, wir sind eins“, oder „Gott gebiert mich als sich und sich als mich und mich als sein Wesen und seine Natur.“ Solche mystisch-runisch-germanischen Aussagen musste die offizielle Christenkirche als Ketzerei brandmarken. Sie ließ unseren Meister Eckehart einstmals ebenso umbringen, wie sie die Stimme der Runen abzuwürgen versuchte.
 
Wer im Hinblick auf Gott fragt, was oder wer er ist, dem wird vom OD-ING und von Ecke­hart geantwortet: „Er ist das Sein !“ Dass Gott das Sein schlechthin ist, bedeutet, dass er - der Runengott Wodin - der Ursprung aller Dinge ist. Gott ist nicht nur der Schöpfer des Seien­den, sondern auch das Sein im Seienden; denn die geschaffenen Dinge (versinnbildlicht durch die 24 Runen) sind an sich selbst nichts, sie sind nur von Kraft und Gnaden des Seins Gottes. Dieser ist aller Naturen Natur, er ist das Licht der Lichter, er ist das Leben der Lebenden, er ist das Wesen der Wesenden, er ist die Rede der Redenden. Eckeharts Worte klingen wie ODINGsche Lehrsätze klingen könnten: „Alle Dinge sind Gott selber“, womit Gott als das Eine Sein und als der ewige Weltprozess erklärt wird; „Alle Kreaturen sind ein Sprechen Got­tes, sie haben ein Rufen, wieder dahinein zu kommen, daraus sie geflossen sind. All ihr Leben und ihr Wesen, das ist ein Rufen und Eilen wieder zu dem, von dem sie ausgegangen sind“, „Gottes Wesen ist mein Leben. Ist mein Leben Gottes Wesen, so muss das Sein Gottes meines sein und Gottes Wesenheit meine Wesenheit.“ Doch ist Gott mehr als dies, „er ist etwas Hö­heres als das Seiende.“ Und „Gott ist namenlos“, denn wer das Äußerste erfassen will, muss auch noch über den Begriff Gottes hinausdringen, ist er doch „ein überschwebendes Wesen und eine überwesende Nichtheit.“ Mit solchen Äußerungen verklärte der deutsch-germani­sche Wahrheitssucher Meister Eckehart, die letztliche Beschränktheit und unüberbrückbare Bedürftigkeit jeder Sprache bei einem Lobes- oder Beschreibungsversuch der Gotteswirklich­keit.
 
Einen Ausweg aus solcher Verlegenheit fanden über 1.300 Jahre vor Eckehart die antiken germani­schen Runen-Mysteriker in der raffinierten Anwendung einer undinglichen (abstrak­ten) Zah­lensprache. Ihre Gebete, Preislieder, Gottesbeschreibungen waren in virtuoser Mei­sterschaft planvoll durchmathematisiert; Gottesansprache in Gestalt von Zahlenkunst. Man sehe sich in diesem Zusammenhang insbesondere den Schriftzug des goldenen Runenhornes von Rosengard/Gallehus (4./5.Jh.) an; durch unüberbietbare Mathematizität wird aber das göttliche Runen-Mysterim im ODiNG- Kreis selbst gefeiert. Hier zeigt sich eine in hohem Maße intel­lektualisierte, reife Gottesandacht mit entsprechendem Gottesverständnis: Die weltliche Er­scheinungsgesamtheit manifestiert sich in den 24 runischen Ideengrundmustern bzw. in ihrem konzentrierten Zah­lenwert, der Quersumme 6, dessen Aufsummierungsergebnis, die Wodin-/Asen-Ziffer 21, mit dem gottes-triadischen Kernwert 3 erbringt - denn Gott ist das All-Sein. Weil Gott auch der All-Schöpfer ist, muss die Aufsummierung seiner Zahlenmetapher 21 wieder 231 mit Quer­summe 6, der Weltzahl, ergeben. Auch Eckeharts Forderung nach Got­tes Namenlosigkeit ist beim Runengott Wodan/Wodin/Odin vorweggenommen, handelt es sich bei dieser Bezeich­nung doch nur um eine Umschreibung etwa wie: „der Od-Geber“, also jener, der Ge­müt/Seele schenkt.
 
Im Quellpunkt und Mittelpunkt ODINGscher und Eckehartscher Gedankenwelten steht die Überzeugung von der Wesensübereinstimmung zwischen Gott und Menschenseele. Das ger­manische Wort für Urmensch „mannaz“ weist den gleichen zahlenmythologischen (gematri­schen) Wert auf, wie der alte Name des Runengottes „wodanaz“, nämlich 87, mit der Quer­summen-Kernzahl 6. Das Fünklein der Seele vermag das höchste Licht deshalb zu begreifen, weil es selbst aus dem göttlichen Urfeuer herkommt, so scheint es der unverbildete, noch ungeknebelte germanische Volksgeist bis in die mittelalterliche deutsche Mystik hinein gewusst zu haben. Diese Gotteserkenntnis aber wird einzig und allein in der Erfahrung einer unabge­lenkten Abgeschiedenheit erreicht. Bereitwillige Versenkungsübungen in die Wahrhei­ten des ODING führen zum angestrebten Ziel. „Wer in Gottes Grund kommen will, der muss in sei­nen eigenen Grund kommen.“ Eckehart wurde nicht müde, dieses völlige Einswerden des Seelengrundes mit Gott zu preisen. Vertrauen wir dem Zeugnis der Sprache, so begriffen un­sere Ahnen ihre Runenschrift als das heilige Geheimnis, als das Mysterium, denn „runo“ heißt nichts anderes. Der Runenring des ODiNG ist wie ein Muttermund des großen Myste­riums, der unser seelisch-geistiges Sein gebiert - und in den wir eintauchen können, damit wir in sei­nen tiefsten kosmischen Gründen uns zurücksuchen und schließlich bei Gott wiederfinden. Das ist es, was man gemeinhin Reli­gion nennt: die Anknüpfung unseres ausgebreiteten, welt­verflochtenen Daseins an einen fe­sten, ewigen Grund. Dieser Ankergrund darf nicht irgendwo in den Weitläufigkeiten draußen gesucht werden, in die wir uns gar zu gerne mit unserer Liebe und unserem Hass verströmen - in denen wir uns verlieren. Vielmehr müssen wir uns zusammenraffen, uns zurücknehmen in die ungeschiedene Stille unseres Wesens. Dort allein finden wir die uns nährende eigentliche Wirklichkeit Gottes - unseres Gottes. Dazu will uns das OD-ING der Ahnen seine mystischen und scholastischen Wegweisungen anbieten.
 
Schreibweisenerklärungen:
ODiNG = = die exakte wissenschaftliche Schreibung eines Begriffes wie "ABC", als Namen des runischen Gesamtsystems. Das "i" wird dabei klein geschrieben, weil der dritte Lautwert zwar "ng" ist und nicht "ing", jedoch als nasaler Rachenlaut durch die Lautung "ing" verbalisiert wird.
ODING = Begriff für das das geistige Prinzip des gesamten Runenkonzeptes, im Sinne von OD-ING, also dem göttlichen Geist-Kind. Denn OD ist das Wort für den heiligen geistigen Schatz, während ING das Wort für das Kind bzw. die Nachkommenschaft ist.