Uralt ist der Mythos vom Ring, dem Symbol für die Allgesamtheit, dem Weltkreis, den die alten Nordleute Heimskringla nannten. Als der Frühmensch seine tastenden Blicke in die Himmelsweiten des Kosmos erhob, begann sein Erkennen, dass er im Zentrum eines magischen Zirkels stünde. Der irdische Horizontring geht über in den Sternenreigen und den Tyrkreis (Ekliptik / Tierkreis) der Wandelsterne. Wie ein schützender Ringwall schien dieses alles umschließende Band die Menschen einzuhegen und alles von außen Kommende abzuwehren.
 
In Skandinavien finden sich bis heute die vielen Steinsetzungen der „Domarringe“, bei denen es sich in der Regel um uralte Grabdenkmäler handelt, die aber auch als Opfer- und Gerichtsplätze benutzt wurden, so dass ihr Name „Ring der Richter“ keinesfalls fehlweisend ist. Doch schon zu den frühen Anfängen unserer Kultur, vor 7.000 Jahren, wurde dieser Mythos vom Ring in reale sichtbare, erlebbare Formen gebracht, in Gestalt von Bauwerken bis hin zu den monumentalen „Kreisgrabenanlagen“, wie sie die nüchterne Wissenschaft nennt. Es handelt sich um Observatorien, Sonnentempel, Kultstätten, Tempelbezirken, heiligen Höfen in deren Zentren die Wissenden ihre Himmels- und Heil-Erfahrungen sammelten und zu denen das Volk bei den großen Jahresfesten feierlich zusammenströmte.
 
KALENDER-RINGE
 
Die heilige Ringstätte von Goseck / gozacha (Sachsen-Anhalt) ist die bisher älteste -, ihre aus den Silben goz/gos und acha/eck bestehende Ortsbezeichnung ist als „Gottesacker“ zu deuten, bewahrte also seinen altehrwürdigen Namen bis in unsere zunächst unwissende Neuzeit. Die einst etwa zwei Meter hohe doppelte Palisaden-Anlage, mit einem Durchmesser von 75 m, liegt nur rund 25 km vom astronomischen Beobachtungsort Mittelberg, dem  Fundort der 3.600 Jahre alten Himmels- und Kalender-Scheibe von Nebra, entfernt. Trotz des zeitlichen Abstandes von rund 3.000 Jahren hängt die Nebra-Scheibe mit der Goseck-Stätte zusammen; man hat offenbar Jahrtausende lang Phänomene beobachtet, die man dann in der Kalenderscheibe bildlich umgesetzt hat. Die Anordnungen der beiden seitlichen goldenen Horizontbögen des kultisch-wissenschaftlichen Bronzeschildes dienten - ebenso wie die Toranlagen im Goseck-Rondells - zur Erkennung der Winter- und Sommersonnenwenden. Die Tore in den Palisadenringen markieren exakt die Aufgangs- und Untergangspunkte zur damaligen Wintersonnwende am 21. Dezember; eine Toröffnung wies zum generellen Ausrichtungspunkt nach Norden. Unsere „stichbandkeramischen“ Vorfahren begingen also das Weihnachtfest mit religiösen Gemeinschaftsfeiern bereits vor rund 7.000 Jahren. Die Anlage von Dresden-Nickern (Sachsen) weist mindestens vier eigenständige Beobachtungsstätten auf. Unternberg-Künzing (Bayern) besitzt einen 100 Meter messenden Durchmesser. Die Schalkenburg nahe Quenstedt (Sachsen-Anhalt), auf einem Bergsporn am Ostharzsaum, besteht aus fünf konzentrischen Pfostenringen, deren äußerster einen Durchmesser von 95 m aufweist. In ihrem Inneren fanden sich stuckartige Wandverzierungen in Gestalt von Frauenbrüsten, so dass der Verwendungszweck eines fruchtbarkeitskultischen Tempels als gesichert gelten darf. Die drei Toröffnungen sind, wie bei anderen vergleichbaren Anlagen auch, als astronomische Visur-Hilfen zu deuten. Zwei Tore waren auf den Sonnenauf- und -untergang zur Sommersonnenwende ausgerichtet, das dritte auf den Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende. Das aber alle anderen übertrumpfende bisher meisterlichste Bauwerk, trägt den einzig passenden Namen: Meisternthal (Niederbayern). Sie ist auf dem Messbild als bewusste geometrisch berechnete Ellipsen-Konstruktion zu erkennen. Am mittleren Brennpunkt der Ellipse stehend konnte man durch das Ost- und Westtor den Sonnenauf- und Sonnenuntergang zur Tag- und Nachtgleiche im Frühjahr und Herbst sehen, während von den beiden äußeren Brennpunkten aus der Tag der Winter- und der Sommersonnewende festgestellt werden konnte. Der meisterliche Baumeister entledigte sich vor 7.000 Jahren seines Auftrages, einen Bau zu entwerfen, der die wichtigsten Fixpunkte des Sonnenjahres beinhaltet; Meisternthal ist eine Meisterleistung. Mit diesem Rondell ist die erste konstruierte Ellipse zur Kalenderdatenberechnung erfunden worden. Auch für die Ringanlage von Ippesheim in Mittelfranken, bestätigte die Wissenschaft eine absolut regelmäßige Ausrichtung der Brücken und Lücken in den Palisaden auf den Sonnenaufgang der Sommer- und Wintersonnenwende, sowie den Sonnenuntergang zur Tag-und-Nacht-Gleiche. Bei dem Bau von Künzing-Unternberg (Niederbayern) muss es sich um ein zentralörtliches Heiligtum gehandelt haben. Für die beiden fünf Meter tiefen und um sechs Meter breiten Spitzgrabenkreise wurden etwa 12.000 m3 Erde ausgehoben und für die beiden Palisaden rund 2.100 Balken von etwa 5,5 m Höhe zugerichtet. Am Tage der Wintersonnenwende, dem Urvorläufer unseres Weihnachtfestes, fiel die Sonnenaufgangstrahlung exakt durch die Südost-Nordwest-Torachse, auf welche die Gesamtanlage bautechnisch ausgerichtet ist. Welchen Umfang die dazu gehörende Siedlung besaß, lässt sich aus der Menge des geborgenen Fundmaterials von 30.000 Scherben und 20.000 Knochen ermessen. Durch zwei der Tore des Sternenbeobachtungstempels von Ramsdorf-Wallerfing (Niederbayern) konnte der Sonnenaufgang am 5. Februar und 6. November beobachtet werden; beides sind Daten bedeutender Eckpunkte im bäuerlichen Jahr, sie decken sich in etwa mit „Maria Lichtmess“ (Frühjahrsbeginn) und „Allerseelen“ (Winterbeginn). Mehr als zweitausend Jahre später als die hier aus einer großen Zahl mitteleuropäischer Ring-Heiligtümer herausgegriffenen Beispiele, wurde der faszinierende „Ring der hängenden Steine“, Stonehenge (Südengland), errichtet, dem megalithischen Kalenderbau, dessen Haupt-Visurlinie dem Aufgangspunkt des höchsten Sonnenstandes gilt. Der ungeheure Bauaufwand, verbunden mit unsäglichen Anstrengungen, der mit diesen ringförmigen Kalendarien getrieben wurde, in Zeiträumen ohne Eisenwerkzeuge, ist nur dann nachvollziehbar, wenn diese festen Punkte, die Feste des bäuerlichen Jahres, zugleich auch hohe religiöse Feiertage waren, an denen die Gemeinschaften bestimmte kultisch-rituelle Handlungen zu vollziehen hatte. Handlungen, die ausgeführt von den Priestern - den „Herren der Ringe“ - in den Kreismittelpunkten vorgenommen wurden, während das gemeine Volk, vor den Graben- und Palisadensperren, der heiligen-heilbringenden  kalendarischen Verkündigungen harrte.
 
Doch die Zusammenführung der archäologischen mit den astronomischen Daten förderte bei einigen der Anlagen Überraschendes zutage: Jeweils eines der Tore markiert den Aufgang des Siebengestirns (Plejaden), das andere den fast gleichzeitigen Untergang des Sterns Antares. Kalendarisch interessant ist dieses Ereignis vor allem als sogenannter „heliakischer Aufgang“ am frühen Morgen wenige Tage nach Frühlingsbeginn. „Gab der Himmel damit grünes Licht für die Frühjahrsaussaat ?“, spekuliert der Astronom Georg Zotti. Andere Tore markieren offenbar, wie schon früher behauptet, markante Sonnenauf- und untergänge, etwa die Sonnwenden. Zotti: „Ähnlich wie mittelalterliche Kirchen meist ihre Hauptachse zum Sonnenaufgang am Tag des Kirchenpatrons (Patrozinium) orientiert hatten, dürften astronomische Elemente auch bei den Kreisgrabenanlagen „verbaut“ worden sein, sodass bestimmte Termine im Jahr durch systematische Beobachtung festgestellt werden konnten. Vielleicht nicht nur systematisch, sondern auch rituell, denn zur systematischen Gestirnbeobachtung allein brauchen wir die Kreisgrabenanlagen nicht, da reichen ein paar Pflöcke !“
 
ZAUBER-RINGE
 
Der Gedanke von der mythischen Kraft, vom Schutzzauber des Ringes hat, wie aus dem Gesagten abgeleitet werden darf, also absolut archetypischen Charakter. Auch der festmachende Gürtel, der Glücksring, das heilvolle Halsband wurden zu Amuletten der Abwehr gegen Krankheiten und bösen Zauber jeder Art. Wenn der Ring schützende Macht birgt, so konnte er als Aufenthaltsort guter Geister und machtvoller Dämonen verstanden werden. Nur zauberische, galsterkundige Überwesen, wissende Zwerge, göttliche Schmiede, Gestalten einer legendären jenseitigen Welt, sind imstande, solche Ringe zu fertigen. Sie besitzen sie und diese sind Ausdruck ihrer übernatürlichen Fähigkeiten. Wodin/Odin ist Herr des Ringes Draupnir, von dem in jeder neunten Nacht acht weitere gleichschwere Ringe abtropfen (Gylfaginning, Kap. 49). Auch dem eddisch-altheiligen Himmelsgott Ullr wurde der Besitz eines Schwur-Ringes zugesprochen. „Den Ringeid ... hat Odin geschworen“, heißt es im eddischen Hávamál (110). Der Germane berührte beim Eid den silbernen Ring, der auf dem Altar des altgläubigen Heiligtums lag; man verband sich damit gleichsam der Gottheit als Wächter und Hüter der Eideswahrheit. Im Ring lebte etwas, das Anteil hatte am Wesen des Höchsten, er selbst glich ja sinnbildhaft der kosmischen Unfasslichkeit Gottes: Ist er doch infolge seiner Ganzform ohne Anfang und ohne Ende wie Allzeit und Allraum. Und er verbindet als Radreif das Bild der Ewigkeit mit dem Aspekt der Bewegung, des Werdens und Vergehens, des ewigen Wechsels vom Auf und Ab im Weltgetriebe. Wer einen Meineid schwor, musste fürchten, dass sich der Eid-Ring zusammenziehen und - wohl auch im übertragenen Sinne - zur fürchterlich würgenden, erdrückenden, rächenden Fessel werden könne. Im Ring liegt gleichermaßen eingebettet die Chance des Heils, aber auch die Gefahr des Unheils, des Fluches. In diesem Spannungsfeld bewegt sich jeglicher Umgang mit Gott -, zwischen diesen Polen pendelt alle.
 
SEIN.
 
Der Mensch fühlte sich nicht nur geborgen, sondern auch gebunden im Ring und verbunden mit dem „Herrn des Ringes“, dem Weltenschöpfer. Verkleinert in menschliche Gepflogenheiten heißt das: Wer einen Ring verschenkt, will den Beschenkten an sich binden. Wer freiwillig einen Ring nimmt und damit ein Gelübde verbindet, gibt sich selbst in die geistige Bindung seiner Verpflichtung. So gilt der Ehe-Ring (eigentl. Gesetzes-Ring) als Unterpfand eines unlösbaren Treueschwures. Der römische Autor Tacitus (Germ. 31) berichtet von den jungen Chatten: „Die Tapfersten legen außerdem einen eisernen Ring an ... als Fessel, bis sie die Erlegung eines Feindes davon befreite.“ Manche Krieger begaben sich für ihr gesamtes Leben in die Pflicht des Seelen- und Kriegsgottes (Wodin/Wodan) und bekundeten dies, indem sie den Ring niemals mehr ablegten. So ist der Ring eben Zeichen eines Bundes, einer Gemeinschaft, eines gemeinsamen Geschickes. Wer im gedanklichen Ring eines Bundes steht, also in naher Verbindung, der fühlt sich nicht nur als Gebundener, sondern auch als Bindender. Wer sich in eine Pflicht begibt, verpflichtet durch seinen Dienst auch den Pflichtherrn. So liegt der Schluss nahe, ein Ring-Träger hätte die Gewalt, jene höheren Wesen zur Erscheinung zu zwingen, zu beschwören, mit denen er durch Ringbesitz im Bunde steht. Der Ring verleiht Macht. Ein solches Kleinod, welches Flugkraft und Verwandlungsfähigkeit verlieh, kennen wir aus der altnordischen Welund-/Wielandsage. Ein schönes Zeugnis aus dem Fundmaterial stellt der „Ring von Pausnitz“ dar, der zusammen mit einem umfänglichen Münzschatz, vergraben worden war und wohl somit als eine Art Wunschring zu begreifen sein dürfte.
 
ODINGs RUNEN-RING
 
Als erhabenster Erb-Ring - als geistiger Ring der Ringe - muss unseren Vorfahren der aus runischen Hieroglyphen geformte, intelligible „O-D-ING“-Runenkreis (benannt nach den ersten drei Sinnzeichen) einer gottgleichen Vollkommenheit gegolten haben. Seine 3. Rune hatte ursprünglich die Gestalt eines Ringleins und vertrat den Sonnengeist Ingo-Frô, die Jünglingsform Wodins, des herbstlichen Asen, dem die Rune 21 (Kernsumme 3) angehört. Beide Runen entsprechen zahlenwertig der Ringgesamtheit des „ODING“, denn die Aufsummierung seiner 24 Runen ergibt 300 bzw. 3. Der dreieinige Wodin/Odin befindet sich somit in harmonischer Wesensübereinstimmung mit dem Heimskringla-Weltkreis-Gleichnis „ODING“. Auch die 21. Tarot-Karte bewahrte dieselbe vielsagende Uranschauung: Sie bedeutet „die Welt“/„die Zeit“ und zeigt ein Mädchen (gebärendes, erneuerndes Prinzips der Dauer) im magischen Ring des Blumenkranzes der Allerscheinungen. Mit dem ewigen „Herrn der Ringe“, dem Geist des ODING-Runenkreises, lebt und webt unzerstörbar der machtvolle Mythos vom göttlichen Ring. Wohl dem, der ihn weiß - wohl dem, der ihn nutzt !