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Abb. 1 
 
Im Sommer 1999 wurde die sensationelle vor 3.600 Jahren vergrabene Himmelsscheibe auf dem 252 hohen Mittelberg bei Wangen-Nebra an der Unstrut in Sachsen-Anhalt gefunden. Die bronzene Scheibe ist die älteste konkrete astronomische Sternenabbildung der Welt. Die Sternenscheibe lag auf der Hügelspitze in Richtung Brocken, erklärt der Archäo-Astronom von der Ruhr Universität in Bochum, Wolfhard Schlosser. Bedeutsam ist, dass die Wallanlage so beschaffen war, dass die Sonne zur Sommersonnenwende hinter dem Brocken verschwindet.
 
W. Schlosser sagte: „Zusammen mit der Scheibe war die Wallanlage das älteste Observatorium der Menschheit.“ Auf der zwei Kilogramm schweren, fast kreisrunden Scheibe mit einem Durchmesser von 32 Zentimetern befinden sich Goldauflagen, die als Schiff, dazu Mond, Sonne und Sterne gedeutet werden. Eine Ansammlung von sieben Goldpunkten wird als Sternenhaufen der Plejaden in einer Konstellation wie vor ca. 4.000 Jahren erkannt. Der von Holzpalisaden umzäunte Ort auf dem Mittelberg mit einem Durchmesser von 200 bis 350 Metern war von einem komplizierten Grabensystem umgeben und wurde möglicherweise über 1.000 Jahre genutzt. Etwas Vergleichbares, so der Wissenschaftler, gab es damals nur im griechischen Mykene und Anatolien.
 
Zusammen mit der Scheibe wurden zwei Schwerter, zwei Randleistenbeile, ein Meißel sowie mehrere Armringe aus Bronze gefunden. Bislang konnten über 100 Fundstücke gesichert werden, darunter ein etwa 2.700 Jahre alter Wendelring, der als Halsschmuck diente. Gleiche Wendelringe wurden auch in Skandinavien gefunden, was darauf u.a. hineist, dass es damals einen einheitlichen Kulturraum des bronzezeitlichen Nordens gab -, von Nebra bis nach Uppsala. Der Fundort wurde zwischenzeitlich zu einer Touristenattraktion ausgebaut. Der Ziegelrodaer Forst gehört zu den dichtesten archäologischen Stätten in Europa. In dem Gebiet liegt auch ein urgeschichtlicher Bestattungsplatz mit rund 1.000 Hügelgräbern. Dieser ganze Bezirk war in der Bronzezeit dichter besiedelt als in unseren Tagen. - Die Ausdeutung des Fundes:
 
Erste Zeit
 
Seit 1991 ist Harald Meller wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ur- und Frühgeschichte des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle an der Saale, wo die Nebra-Scheibe aufbewahrt wird. Nach seiner und Wolfgang Schlossers Erklärungen stellen die Plättchen Sterne dar, die Gruppe der sieben kleinen Plättchen den Sternhaufen der Plejaden, die zum Sternbild „Stier“ gehören. Die anderen 25 sind astronomisch nicht zuzuordnen und werden als Verzierung gewertet. Die große Scheibe wurde zunächst als Sonne, mittlerweile auch als Vollmond interpretiert und die Sichel als zunehmender Mond. Die abgebildete Konstellation zunehmender Mond und Plejaden markierte in der Bronzezeit den 10. März, die der Plejaden mit dem Vollmond den 17. Oktober, jeweils am Westhimmel kurz vor Untergang des Siebengestirns. Damit wird also die Himmelsscheibe als Erinnerungshilfe (Meller: „Memogramm“) für die Bestimmung des bäuerlichen Jahres von der Vorbereitung des Ackers bis zum Abschluss der Ernte gedient haben. Eine weiterreichende Interpretation der ersten Phase der Himmelsscheibe wurde am 21. Februar 2006 veröffentlicht: Die Himmelsscheibe war nach der neuesten Deutung von Astronom Rahlf Hansen vom Planetarium Hamburg dazu geeignet, schon in der Bronzezeit das Mondjahr (354 Tage) und das Sonnenjahr (365 Tage) zu harmonisieren und im Gleichklang zu halten. Damit wäre das Wissen, das auf der Bronzescheibe festgehalten ist, das frühbronzezeitliche Äquivalent des Schaltjahres. Als älteste schriftliche Aufzeichnung der dafür verwendeten astronomischen Beobachtung gilt ein etwa tausend Jahre jüngerer babylonischer Keilschrifttext („mul-apin“). In Mitteleuropa waren die Astronomen der Bronzezeit in ihrem Wissen von den Mechanismen der Gestirne beachtlich weit fortgeschritten.
 

Zweite Zeit
 
Die später hinzugefügten Horizontbögen überstreichen jeweils einen Winkel von 82 Grad, ebenso wie Sonnenauf- und untergang zwischen Winter- und Sommersonnenwende am Horizont auf dem Breitengrad des Fundorts. Wurde die Scheibe waagerecht so auf dem Mittelberg positioniert, dass die gedachte Linie vom oberen Ende des linken Bogens zum unteren Ende des rechten Bogens auf die Spitze des etwa 80 km entfernten Brocken zeigt, konnte die Scheibe als Kalender zur Verfolgung des Sonnenjahrs genutzt werden. Vom Mittelberg aus gesehen geht die Sonne zur Sommersonnenwende hinter dem Brocken unter. Für die Vermutung, dass der rechte Bogen der westliche, den Sonnenuntergang markierende sei, spricht seine Nähe zur geneigten Mondsichel, die in der erwähnten Konstellation von der untergehenden Sonne erleuchtet ist.
 

Dritte Zeit
 
Als letzte Ergänzung kam ein weiterer goldener Bogen mit zwei annähernd parallelen Längsrillen hinzu, der als Sonnenschiff, wie man sie aus ägyptischen oder minoischen Abbildungen her kennt, interpretiert wird. Umgeben ist der Bogen an den Längsseiten von kurzen Einkerbungen in der Bronzeplatte, vergleichbar der Darstellung von Rudern auf anderen bronzezeitlichen Schiffsdarstellungen aus Griechenland und Skandinavien. Diese Ergänzung hat vermutlich keine kalendarische Funktion, sondern wird die allnächtliche Überfahrt der Sonne von West nach Ost darstellen. Inwieweit daraus auf einen bronzezeitlichen kulturellen Austausch zwischen Mitteleuropa und dem Nahen Osten geschlossen werden kann, lässt sich nicht beantworten. Der Zweck der Löcher am Rand der Scheibe ist ungeklärt, mutmaßlich dienten sie zur Befestigung. Besonders diese letzte Ergänzung legt eine Verwendung der Scheibe auch für kultische Zwecke nahe. Für die an den wissenschaftlichen Untersuchungen beteiligten Wissenschaftler steht fest, dass diese Scheibe nicht aus dem östlichen Mittelmeerraum stammt, sie ist zweifelsfrei weit vor 1.600 v.0 in Mitteldeutschland angefertigt worden. Sie ist ca. 200 Jahre älter als die frühesten bis jetzt in Ägypten gefundenen Darstellungen.
 
Abb. 2   3
 
Abb. 2 - Nebra-Scheibe mit der Sonnen-Barke und Abb. 3 -bronzezeitliches Felsbild von Järrestad / Schweden mit einem gleichen rundleibigen Schiffs-Typ. Dazu schreibt lese ich: „In diesem Bild wirkt das Schiff fast schon als Ornament. Auch wenn die Grundelemente noch erkennbar sind – der Bug liegt rechts, folgt die fast symmetrische Darstellung mit Verdickungen an den Steven und der übertriebenen Rundung des Kiels eher ästhetischen als technischen Grundsätzen. Die Frage nach Gründen dafür deckt sich weitgehend mit der Frage, welche Gründe die Schöpfer für die Herstellung ihrer Felsbilder hatten. … Unter dem Kiel liegt eine ältere, schwach ausgepickte Fußsohlenfigur, ein in der bronzezeitlichen Felskunst häufiges Moitiv.“ („Båttyper på hällristningar i Kville", 1983 ar Håkan Strömberg / Marta Strömberg)
 
Weitere Deutungen
 
Nach Ansicht von Miranda Aldhouse-Green häufen sich regelrecht die Symbole stark religiöser Themenkreise wie Sonne, Horizontland für die Sonnenwenden, Sonnenbarke, Mond und, als besondere Vertreter der Sterne, die Plejaden. Die Schöpfer der Scheibe hätten mit Absicht alle diese auch in anderen europäischen Regionen einzeln gefundenen, religiösen Symbole zusammengeführt und sie gehöre damit zu einem europaweiten, komplexen Glaubenssystem. Die Bronzescheibe könnte demnach möglicherweise eine heilige Botschaft repräsentieren. Schon die Mitteleuropäer der Bronzezeit könnten demzufolge in der Lage gewesen sein, ihr gesamtes religiöses Glaubenssystem, oder zumindest den vermutlich zentralen Kern eines solchen, in einfacher, transportabler Form darzustellen.
 
Abbildung 1: Die von G.Hess vorgetragene Zusammenstellung der beiden hyperboräischen Kalendersysteme der Mittelberg-Himmelsscheibe und den ODiNG-Kalender-Runen