Keine Region der Welt, kein Volk der Welt hat eine so altehrwürdige, ernsthaft betriebene Kalender- und Zeitberechnungstradition wie die Deutschen bzw. die Menschen des abendländischen Zentralbezirkes, wobei angemerkt sein muss, dass ich „deutsch“ im Ursinne des Wulfila’schen Begriffes auffasse, nämlich als Kenntlichmachung des eigengesetzlichen Urvolkes im mitteleuropäisch-nordischen Großraum.
 
VOR 500 JAHREN
 
Die Erfindung der Taschenuhr durch den Nürnberger Schlossermeister Peter Henlein, Mitte des 16. Jahrhunderts und die folgenden „Nürnberger Eier“ (Aeurlein / Ührlein), erwähne ich nur beiläufig. Die wunderbaren Astronomischen Uhren, welche Sonne und Mond im Tyrkreis (Ekliptik), die Mondphasen oder Stellungen der großen Planeten anzeigen, befinden sich an mitteleuropäischen kommunalen und sakralen Prunkbauten. Oft sind es mechanisch-mathematisch hoch anspruchsvolle Kunstwerke von monumentaler Größe. Die älteste noch erhaltene wurde i.J. 1379/80 für die Rostocker St. Marienkirche gebaut. Jene vom Straßburger Münster gehört mit ihrer Höhe von 18 m zu den größten und bedeutendsten astronomischen Uhren der Welt. Die ältesten Astrolabiums-Uhren sind die Berner „Zytglogge-“ [Zeitglocken] Uhr vom Jahre 1405 und die vom Prager Rathaus, welche i.J. 1410 gebaut wurde, also 62 Jahre nach der dortigen Gründung der ersten deutschen Universität durch Karl IV..
 
VOR 2.000 JAHREN
 
Die Zeit zu berechnen muss sämtlichen Weltkulturen ein wichtiges Anliegen gewesen sein und in Mitteleuropa findet man dazu die beeindruckenden Nachweise bis in die fernsten Frühzeiten. Als jüngstes Erzeugnis in dieser fast im mythischen Nebel verborgenen altehrwürdigen Reihung wäre die vor ca. 2.000 Jahren konzipierte Runenreihe von 24 Sinnzeichen zu nennen, die - zum Kreis zusammen geschlungen - nichts anderes darstellt als den gemeingermanischen luni-solaren Sakralkalender der 24 mondgebundenen Festpositionen. Keine zweite Geisteskultur in der Völkerfamilie besitzt ein derart ausgeklügeltes Buchstabensystem, das sich im Grundprinzip - ebenso wie die Mathematizität der nordgermanischen Goldhörner-Sprache - nicht an das tumbe, profane, breite Publikum wendet, vielmehr an den gewiss nicht allzu großen Kreis der Eingeweihen, der Adepten einer intelligenten, erschütternd modern anmutenden irrationalen Religiosität. (G. Hess, „ODING-Wizzod - Gottesgesetz und Botschaft der Runen“, 1993)
 
VOR 3.600 JAHREN
 
Der nächste grandiose Meilenstein bei unserer Rückschau in die Vergangenheit, wäre die Kalenderscheibe vom Mittelberg bei Nebra/Sachsen-Anhalt, aus einer Zeit vor 3.600 Jahren. Der Mittelberg selbst war ein Kalenderberg, denn von ihm aus wurden die wichtigen Jahres-Festpunkte angepeilt; die Sonne geht zum Beginn des Sommerhalbjahres hinter dem Kyffhäuser und zur Sommersonnenwende hinter dem Brocken unter. Schon in der Jungsteinzeit ist er als Observatorium genutzt worden. Wurde die Himmelsscheibe von einem Parawari (Heiltumswart) auf dem Mittelberg so über den Kopf gehalten, dass die beiden seitlichen Randbögen exakt in Ost-West-Richtung zu stehen kommen, ist die Scheibe als Kalender zu benutzten, z.B. können mit diesem Zeitbestimmungsapparat die Sonnenwenden und -Gleichen festgestellt werden (Original im Museum Halle).
 
VOR 7.000 JAHREN
 
Bedeutend älter ist der „Gottesacker“-Sonnentempel, von der Wissenschaft nüchtern „Kreisgrabenanlage“ genannt, nur 23 km vom Mittelberg entfernt. Er liegt beim Dörfchen Goseck, dessen ältester Namen „gozacha“, die beiden Silben „goz“ und „acha“ enthält, welche so zu deuten sind: „goz“, bei Berücksichtigung der Austauschbarkeit von „t“ und „z“, ist als ahd. Begriff für „got", „Gott“ zu erklären, während „acha“ aus dem ad. „acar, achar, acher“, hd. „Acker, Feld“, bei mundartlich abgeschliffenem „r“, erklärbar würde. Goseck, also der Gottesacker, das Feld welches seit Urtagen als heilige Stätte in Erinnerung blieb. Im Deutschen Wörterbuch von Jacob u. Wilhelm Grimm steht, das Wort Gottesacker ist seit 1369 in Wien nachweisbar als goczachker. Bei Goseck wurde vor ca. 7.000 Jahren eine Himmelsbeobachtungsstätte verwirklicht, mit deren Hilfe u.a. exakt die Wintersonnenwenden zu erkennen waren, die man festlich, wie die Funde nachweisen, mit rituellen Stieropfern beging.
 
VOR 35.000 JAHREN
 
Doch der bislang älteste Kalenderfund - mindestens 35.000 Jahre alt - stammt aus einer schwäbischen Höhle, dem Geisenklösterle bei Blaubeuren. Es handelt sich um eine kleine Mammutelfenbeinplatte, halb so groß wie eine Streichholzschachtel, deren Vorderseite den Adoranten, eine anbetende Menschengestalt - die älteste jemals gefundene - mit hoch erhobenen Armen zeigt (siehe Abbildung). Sämtliche Kanten sind gekerbt. Links und rechts je 13 an der Zahl, unten sechs und oben sieben. Viermal taucht die 13 in den Kerbreihen auf, die auch Prof. Hermann Müller-Karpe, einer der vorzüglichsten Frühgeschichtler Deutschlands, „als Kalender für religiöse Feste, um Gott zu danken“, versteht („Erwachen in der Steinzeit: Wie wir Menschen wurden“, 2010). Die Menschengestalt, so wird vermutet, könnte auch das markante Sternbild des Orion meinen. Die etwas abweichenden Proportionen lassen sich mit der Veränderung des Sternbilds in den letzten 35.000 Jahren gut erklären.