Burg Gleiberg bei Gießen
 
Es heißt in der Edda: „Kraftgerüstet kam er [Thor] zum Göttermahl - Und hatte den Hafen, den Hymir besessen. - Daraus sollen trinken die seligen Götter - Ael in Aegirs Haus jede Leinenernte.“ (Hymiskviða 39)
 
Wann also war das Göttertreffen der Leinernte ? Der Flachs stand - je nach Witterung - ca. Ende Juni in Blüte und war Ende Juli reif. Die Ernte, nämlich das Ausziehen der Pflanzen, und das Trocknen, überschnitten sich also mit der Getreideernte. Es gibt zwei eddische Zeithinweise. Es wird ein Trinkgelage der Götter zum Beginn des Sommers beschrieben. Zusätzlich wird als Zeitpunkt des göttlichen Symposiums die Leinenernte erwähnt. Im Hymirlied 39 kommt Thor zum Götterthing - und dem Gastmahl das Ägir den Göttern bereitet hat - und bringt Hymirs Kessel mit.
 
Ludwig Uhland verband mit der Leinenernte ein Datum: „Nachdem er so den Kessel erworben, ist es den Göttern fortan möglich, bei Aeir Trinkmahl zu halten, doch feiern sie dieses erst zur Zeit der Leinenernte, im Spätsommer, wann die dauerndste Meeresstille herrscht.“ Diese Datierung auf den Spätsommer erscheint zweifelhaft, da Leinen (Flachs) nach 90 bis 100 Tagen, kurz vor der Samenreife, geerntet wird, d.h. bei Aussaat im April kann der Flachs zur Sommersonnenwende, Ende Juni, gezogen werden.
 
Der Hinweis in der Edda auf die Leinenernte wäre dann nicht zufällig. Es wäre ein möglicher Hinweis auf einen Sonnenkult, auf die Sommersonnenwende um den 21. Juni. Zur gleichen Zeit erscheint bei den Hyperboreern in Stonehenge die Sonne über dem Heelstone (Fersenstein) und die Sonne im Felsenturmtempel-Rundfenstes der Externsteine. Ist also das in der Edda erwähnte Leinerntefest identisch mit der feierlich begangenen Sommersonnenwende bzw. dem etwa zwei Wochen nach der Sommerwende gefeierten nordischen Fest ?
 
Man muss feststellen, wann genau das Leinerntefest gefeiert wurde, ist bisher nicht genau zu erforschen gewesen. Leinernten gibt es von Juni bis in den Oktober hinein, je nach Region, Witterung und gewünschter Flachsart. Wenn die Samenkapseln anfangen gelb zu werden, ist es Zeit, den Flachs zu ernten. Je früher man erntet, je feiner ist der Flachs. Wartet man, bis alle Samen reif sind, also alle Samenkapseln gelb werden, werden die Fasern schwach und grob und taugten nicht zum Spinnen von feineren Fäden. Die Flachsernte konnte demnach zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden, je nach Verwendungszweck des Flachses. Junge, grüne Pflanzen beispielsweise ergeben einen feinen Faden, reife Pflanzen starke Fasern für Seile; in der Phase, bevor der Flachs reifte, wenn die Pflanzen gelb waren, waren die Fasern am geeignetsten für die Leinenherstellung.
 
Beim 1. heidnischen Treffen zum „Fest der Leinernte“ in Deutschland fanden zum 6./7.09.1982 neunzehn Heidengruppen ihren Weg auf die Burg Gleiberg bei Gießen. Gerhard Hess zeigte erstmalig an seinem Bücherverkaufsstand ein Plakat seiner neuen Runen-Erkenntnis, des ODiNG-Runen-Jahrkreises. Frau Siegrun Schleipfer, die Leiterin der Armanen, hatte die Heidengruppen eingeladen. Damals konnte keine durchgehende Harmonie unter den Gruppen hergestellt werden. Zu unterschiedlich waren die Auffassungen, man ging ohne bleibenden Erfolg wieder auseinander. Frau Schleipfer, die spätere Freifrau von Schlichting, schrieb in der kleinen Zeitung „Der Runenstein“:
 
„Das Fest der Leinernte bedeutete sinnbildlich die Verbundenheit der Menschen mit den Göttinnen und Göttern zur Errichtung einer Kultur. Dieses Fest setzt Spindeln, Spinnräder, Webstühle ... Ansässigkeit und genügend Bevölkerung voraus, so dass es im keltisch-germanischen Abendland als ein Fest des Bestehens ältester Kultur und Religion gefeiert wurde. Europa muss sich gegen die Übermacht der vielen Riesen in allen seinen Stammesgebieten aus eigener urabendländisch-europäischer Wurzel wieder behaupten und durchsetzen. Deshalb bittet es alle weißen Menschen guter Art um ihre Mithilfe... Deshalb ist es die größte Infamie, die sich denken lässt, (geistiger Holocaust), Völkern mit Gewalt und unter ständiger Todesandrohung, die Verbindung zu ihrer Religion zu nehmen, wie es uns Abendländern in den vergangenen 12OO Jahren ergangen ist.“
 
Seit diesem ersten größeren Nachkriegstreffen der Heidengruppen hat sich an deren Zerrissenheit zwar nichts geändert, doch eines ist inzwischen gewaltig gewachsen, die Anzahl der bewussten keltischen und germanischen Heiden in Deutschland und ihre nicht zu leugnende Aufbruchstimmung ! Es geht vorwärts mit dem Heidentum, es wird zunehmend selbstbewusster und selbstverständlicher. Viele Heiden, die damals beim Treffen dabei waren, haben Kinder und diesen Kindern ist Heidentum etwas ganz Normales, sie tragen den Gedanken bereits in die Hochschulen hinein und in ihre eigenen neuen Familien.
 
Schon gibt es Pläne für die Schaffung heidnischer Kindergärten. Gerade hier liegt noch vieles im Argen, die Kindergärten sind entweder linkslastig-wurzellos nihilistisch-antireligiös orientiert, oder christlich; auch die Waldorfschulen sind keine Alternative zum Judäochristentum. Ich meine, das beste was ein überzeugter Heide tun kann, ist nicht einem heidnischen Verein beizutreten oder etwas für die Vereinigung aller Heiden zu unternehmen, sondern Kinder in die Welt zu setzen und sie eigenreligiös-christfrei anzuleiten ! (i.J. 1994)