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Angeln - Sachsen - Jüten
 
 
Aus einem frischen religiös-runischen Lebensgefühl der stolzen Schriftbesitzer und sich aufzeigender, nahezu grenzenlos scheinender Möglichkeiten - durch die neue Weltlage der zerbröckelnden römischen Macht - begannen die eng miteinander verwandten Jüten, Angeln, Sachsen und Friesen ihre Eroberungsfahrten nach Britannien. Erste Angriffe sächsischer Rudermannschaften waren schon in der 2. Hälfte des 3. Jhs. erfolgt -; seit dem 4. Jh. sind sächsische Söldner in röm. Diensten nachweisbar -, ab Mitte 5. Jh. brandete ein unaufhaltbarer gewaltiger Strom dänisch-norddeutscher Einwanderer an die britische „Sachsenküste“. Gleichzeitig brach die röm. Rheingrenze zusammen, wo sich im Zuge von Flucht- und Eroberungswanderungen 406 germ. Völkermassen nach Gallien wälzten. Den englischen Quellen zufolge, hatte der keltische Oberherr der britischen Insel, namens Vortigern (Gwrtheyrn), um 429 sächsische „foederati“ ins Land gerufen, die sich dann verselbständigten und begannen, die Insel für sich zu erobern. Der angelsächsische Mönch und Historiker Beda Venerabilis (672-735) berichtet, die Jüten hätten sich nach der Einwanderung im Südosten der Insel bei Kent niedergelassen. Er bezeichnet sie als „Jutae“ oder „Juti“ (Hist. Eccles. i. 15/16) obwohl die angelsächs. Form „Eotas“ oder „Eotan“ hätte lauten müssen. Dass wir zurecht in diesen waghalsigen jütländisch-sächsischen Rudermannschaften zum Gutteil Heruler-Stämmlinge erblicken dürfen, ist sicher. Aus dem Boden von Kent hob man die meisten Runen-Funde. Als mythische Gründer des Königreichs Kent nennt Beda die von Wodan abstammenden Brüder Hengest und Horsa und datiert ihre Landung auf das Jahr 449, schildert, wie sie immer mehr ihrer Stammesgenossen nachholen, das Land kriegerisch in Besitz nehmen, bis sie unangefochten in Kent leben konnten.
 
Nach dem Tod des Hengest folgte ihm sein Sohn Ohta. („Hist. Britt.“ 56) Ebenso werden in der um das Jahr 820 geschriebenen „Historia Brittonum” auch andere englische Dynastien auf Gott Wodan als ihren Ahnherrn zurückgeführt -; die angelsächsischen Einwanderer brachten ihren Wodan-Runen-Kult mit auf die Insel. Für die neuen sich ergebenden sprachlichen Besonderheiten entwickelten sie aus dem ursprünglichen 24-er System ihre angelsächsischen Runenalphabete mit zunächst 28 und später 33 Zeichen. Darin ist vom spätröm.-christlich beeinflussten und schließlich umerzogenen Angelsachsen die heidnische Götterbezeichnung „anse / ase“ schon nicht mehr verstanden worden, er deutete den Begriff zu lat. „os“ (Mund / Mündung) um. Und aus Personennamen wie Ansgar, Anshelm, Asmund, Asgrimur wurden Oslaf, Osbeorht, Oswald. (Karl Helm, „Altgerm. Religionsgesch.“ II., 1953, S. 217)
 
Festlandsachsen
 
Die Selbstbestimmung der Festlandsachsen endete in einem dreißigjährigen Ringen gegen den unersättlichen fränkischen Nachbarn unter „Karl dem Großen“ (747-814). Der fränkische Überfall begann 772 mit der Zerstörung des sächsischen Zentralheiligtums, der Irminsul, erlebte 782 einen schauerlichen Höhepunkt mit dem „Blutbad von Verden“, wo mehrere tausend gefangene Sachsenführer ermordet wurden. Einen weiteren 825 mit Inhaftierung, abgenötigter Taufe und Abschiebung des sächsischen Herzogs Widukind ins Bodenseekloster Reichenau und fand 804 Abschluss mit Unterwerfung der sächsischen Nordalbingier. Widukind ist in den Reichenauer Klosterakten als „Uuituchind“ nachweisbar, welcher noch 40 Jahre bis zu seinem Tod, um 825, in Klosterhaft verbrachte. Sicherlich ein grauenhaft langes Martyrium für den freiheitsdurstigen patriotischen Kriegsmann. Abbi, sein treuester Kampfgefährte gegen die katholischen Franken, wurde ins Kloster Saint-Wandrille in der Normandie deportiert. (Althoff Gerd, „Der Sachsenherzog Widukind als Mönch auf der Reichenau“, 1983) Bruderkämpfe in der karolingischen Herrscherfamilie waren der Anlass für die letzte Hoffnung der Altsachsen ihre Glaubensfreiheit wieder zu erlangen. Lothar I. wandte sich mit der Bitte um Hilfe gegen Ludwig II. an sächsische „Frilinge“ (Freie) und „Laten“ (Bauern). Als Gegenleistung versprach er ihnen die Rückkehr zum Heidentum und zu ihren angestammten freien Lebens- und Rechtsgewohnheiten. Die einsetzende Erhebung großer Bevölkerungsteile gegen die fränkische Besatzungsmacht und ihre Kollaborteure nannte sich „Stellinga-Aufstand“ (841/43). „Stellinga“ kommt wohl aus dem Friesischen und meint Gefährte, Genosse. Nach anfänglichem Erfolg der Freiheitskämpfer wurde der Aufstand vom Adel aus feudalistischem Kalkül niedergeschlagen und erbarmungslose Strafgerichte über die Aufständischen verhängt. Archäologisch sind wieder einsetzende Brandbestattungen während und nach dem Stellinga-Aufstand auf den erzwungenen „christlichen“ Körpergräber-Friedhöfen festzustellen.
 
Sklavenen
 
Über die Schicksale der norddeutschen und ostelbischen Warnen- und Heruler-Gemeinden sind die mittelalterlichen Schriftsteller nicht unterrichtet. Der allamannische Sog wird viele Männer gegen den Limes und in den lockenden reichen Süden mitgerissen haben. Wie lange die Selbständigkeit dieser Kleinreiche währte, ist kaum zu datieren, sie kann längstens nur bis zum fünften Jahrhundert gewährt haben, dann begannen sie in den sächsischen Gauen aufzugehen. Ich komme später darauf zurück. Warnen und Heruler-Gesellschaften unterstanden dem thüringischen Reiche bis zu dessen Zusammensturz im Jahre 531. Doch erhielt sich der herulische Name in der Gegend um die Havel zwischen Elbe und Oder bis ins im 10. Jh., als eine der Bezeichnungen des Volkes der nur scheinbar „slawischen“ Heveller / Haveler. Der Annalist Saxo und andere Schriftsteller des deutschen Nordens gebrauchten ihn. Brennabor (Brandenburg), auch Spandow blieben bis ins frühe 11. Jahrhundert befestigten Siedlungszentren der Heveller. Was Thietmar von Merseburg im des 11. Jh. über die Götterverehrung der heidnischen Wenden bzw. Abotriten / Obodriten (ob-odriti) im mecklenburgischen Redariergau mit ihrer Burg Riedegost, von geschnitzten Götterbildern, von Loswurf, Rossorakel und Rossopfer (Chronik, VI, 23-25) mitteilt, klingt für Kenner des germ. Spätheidentums sehr vertraut. Das hält an, wenn wir von einem Ob-odriten-Gott namens Radegast oder Roswodiz hören, der als Gott der Ehre und Stärke definiert wird. Die Obodriten hatten sich unter ihrem Fürst Witzan („der Weise“) in den Jahren 794 bis 799 am Kampf der Franken gegen die Sachsen beteiligt. Als Lohn dafür und um Sachsen nochmals zu schwächen, überließ ihnen Frankenkönig Karl im die nordalbingischen, ostelbischen Gaue zur Besiedelung, in denen er die Sachsen ausgetilgt hatte. Der Schenkungsakt geschah während eines Treffens mit dem Abodriten-König Thrasco 804 zu Holdonstat (Hollenstedt). So darf der spätere, in ottonischer Zeit vorgenommene sächsische Ausgriff in rechtselbische Gebiete, mancherorts als eine Art Reconquista betrachtet werden. Die Sachsen stellten beispielsweise mit Erwerbung der „Billunger Mark“ (Mecklenburg) alte Rechtszustände wieder her. Die sich dem Christentum verpflichtet fühlenden deutschen Herrscher versuchten in der Entwicklung des Erstarkens ihrer Reichsgewalt, über die Elbe hinaus, militärisch zu missionieren. Im Winter 928/29 eroberte König Heinrich I. Brennabor, den auf einer Insel gelegenen Fürstensitz der Heveller. Bei Heinrichs Tod 936 waren alle Stämme der „Sclaveni“ (man verstand darunter „Götzen-Sklaven“) zwischen Elbe und Oder unterworfen. Doch erhoben sich die Zwangsmissionierten immer wieder. Im Jahre 983 ging das Land östlich der Elbe dem Christentum und reichsdeutscher Oberhoheit erneut verloren. Die hartnäckigen Heveller und Abodriten drangen sogar bis über die Elbe vor und zerstörten Hamburg, das 831 durch „Ludwig den Frommen“, in Gestalt der „Hammaburg“ begründete, aggressive Missions-Bistum für den europäischen Norden.
 
In diesen, seit dem 6./7. Jh. gemischt-ethnischen Siedlungsgemein­schaften von germ. Herulern, Winilern / Wandalen und zugewanderten Spori, Sklavinen / Sklawenen, Antai / Anten, Venetern (Jordanes, „Getica“ 119: „Venethi, Antes, Sclaveni“) hatte sich der autochthone leidenschaftlich antichristliche Impuls noch lange erhalten -, ja, bis ins Hochmittelalter der ostsächsischen, antikaiserlichen Aufstände (1073-1075) hinein. Übrigens: Die Skelett-Typen der „altslawi­schen“ Reihengräber unterscheiden sich in keinem Detail von germanischen. Vom Elbe-Saale-Gebiet bis nach Weißrussland herrscht die nord­europäi­sche Menschen­gestalt vor. „Der am häufigsten ver­tre­tene robuste schmal­ge­sichtige und lang­schäde­lige Typus von hoher Gestalt nähert sich am ehe­sten der klas­si­schen Vorstellung des nordeuropäischen Ty­pus.“ … „Unverkenn­bar ist, dass west­slawische Grup­pen in zahlreichen Merkmalen germa­nischen ähnlich waren.“ („Die Slawen in Deutschland“, Herausgeber Joachim Herrmann, 1985, S. 56, 65) Und auch zeit­genössische bildhafte Darstellun­gen kennen keine körperlichen Unterscheidungs­merk­male zwischen „slawischem“, sächsischem oder fränki­schem Volk.
 
In der Prignitz, einer Landschaft zwischen Mecklenburg im Norden und dem Ruppiner Land im Osten, liegt das „Königsgrab Seddin“ aus jüngerer Bronzezeit (829 v.0). Es ist das gewaltigste Hügelgrab Brandenburgs. Eine Sage berichtet, dass es dort einen guten, gerechten König namens Hinz gab, der in drei verschiedenen Särgen bestattet sei, gemeinsam mit seiner Gemahlin sowie einer treuen Dienerin, die ihm voller Schmerz in den Tod gefolgt waren. Danach wurde ein mächtiger Hügel um das Grab aufgeschüttet, damit niemand die Ruhe des Herrschers stören könne. So entstand der „Hinzberg“. Tatsächlich fand man während der Ausgrabung den 3.000 Jahre alten Mythos bestätigt. In der steinernen, mit Lehm ausgestrichenen und reich bemalten  Grabkammer, stand in einem Tonfass, das mit Tonnägeln verschlossen war, die bronzene Bestattungsamphore, deren in Reihen und Gruppen angeordnete Buckel als Kalendarium gedeutet werden. Kleinere Keramikgefäße enthielten die Reste von zwei weiteren Bestattungen, wahrscheinlich junger Frauen. Die bestätigte Sage vom „Hinzerberg“ beweist eine Bevölkerungskontinuität von um 3.000 Jahren und schließt mithin einen krassen Bevölkerungsumbruch aus. (Albert Kiekebusch, „Das Königsgrab von Seddin“, 1928)
 
Wandalen
 
Aber auch solche Germanenvölker, die der wodanische Impuls nicht erfasst hatte, leisteten ganz Außerordentliches an Energie, Organisationskraft und Tapferkeit. Der schlesische Prähistoriker Prof. Martin Jahn ging davon aus, dass die Vindilen / Vandali / Vanduli / Vandalen im nordjütländischen Vendsyssel ihre Ursitze hatten, wo sie ihr Seereich am Kattegatt im 1. Jh. v.0 - um drei Generationen vor dem Aufbruch der Goten - verließen, um sich östlich der Oder, konzentriert in Schlesien niederzulassen. Tacitus erwähnt die silingischen Wandalen unter ihrem Kultnamen Naharvalen und schildert ihren heiligen Hain, der nur auf dem Zobtenberg bei Breslau liegen kann. Die Su­de­ten sind in der An­ti­ke als „Van­da­li­sche Ber­ge“ be­zeich­net wor­den. Asdingische Vandalen saßen in Pannonien, wo sie um 350 die arianisch-christliche Mission erreichte. („Die Heimat der Wandalen und Norwegen“, 1937; „Die Wandalen“, 1940) Die Wandalen wurden um 350 zu arianischen Christen. Im Chaos der Völkerflucht vor den hunnischen Reiterhorden erreichte ein größerer Verband im Jahre 401 den Rhein, überquere den zugefroren Fluss in der Neujahrsnacht 406, gelangte 409 nach Spanien, wo er unter Führung ihres asdingischen Königs Geiserich 429 nach Afrika übersetzte und dort bis 533 ein Reich zu erhalten vermochte. Der arabische Name für Spanien, „Al-Andalus“, der sich für Andalusien bis heute erhielt, soll sich von der Bezeichnung für „Land der Vandalen“ ableiten. Bischof Salvian von Marseille (um 400-475) fand an den Vandalen nichts als Tugend. Den sittenreinen Germanen verleihe Gott mit Recht den Sieg, während er die sittenlosen Römer in ebensolcher Gerechtigkeit unterliegen lasse. Die Vandalen schritten in Karthago gegen die Laster der Großstadt ein. So bezeichnet der Kirchenmann in seiner Schrift „Von der Weltregierung Gottes“ die neuen Germanenvölker im Bereich des röm. Imperiums in mancherlei Hinsicht als vorbildhaft. Während der Kämpfe von 422 sollen die Wandalen die arianische Bibel gegen ihre röm. Gegner gehalten haben und gerade so wie die Stimme Gottes Offenbarungen des Heils gegen die röm. Truppen gerufen haben. Man verstehe an den Fakten, wie Gott die Dinge sehe: Die Barbaren wachsen von Tag zu Tag, die Römer dagegen entwickeln sich zurück. „Die Barbaren blühen, die Römer verwelken.“ So stilisiert Salvian die Vandalen zu Sodaten Christi für eine neue sittlichere Weltordnung. „Sie sind wirklich gut und liebreich zueinander“, schrieb er, „ob vornehm, ob gering. Daher flüchtet zu ihnen, wer bei uns arm und gering, und findet dort gutherzige Aufnahme und Zuflucht. Der Druck auf die unteren Klassen fehlt, und damit der Klassenhass. Auch kennen sie nicht die raffinierte Lüsternheit unserer Schauspiele. Der Gote und Vandale ist keusch im Vergleich mit uns. Daher auch ihr Wagemut, der aus ihrem Gottvertrauen fließt. In Gottes Hand legen sie den Sieg. Wir aber sind nicht nur an Geld arm, sondern auch an Sittlichkeit. So ist es ein gerechtes Gericht, dass Gott die Welt an die Barbaren gibt.“ „Erröten wir doch und schämen wir uns ! Schon bei den Goten ist niemand unkeusch als die Römer, bei den Vandalen nicht einmal mehr die Römer. So sehr drang bei ihnen der Eifer für die Keuschheit durch, so stark war die Strenge der Zucht. Nicht allein, dass sie selbst keusch sind, nein, ich muss eine ganz neue Tatsache anführen, eine unglaubliche, eine fast unerhörte Tatsache: sie haben sogar die Römer keusch gemacht !“ („De gubernatione Dei“ 23) Infolge der vandalischen Sittlichkeit kommt es bei ihrer Plünderung der Stadt Rom 455 weder zu Morden, Vergewaltigungen, Kirchenschändungen noch zur Brandschatzung.
 
Dass der Autor Prokop, Vertrauter des oström. Vandalen-Vernichters Belisar, der den sich anschließenden Völkermord an den Vandalen legitimieren muss, aus weniger neutraler Sicht urteilt, wird nicht verwundern: „Die Vandalen sind das üppigste von allen Völkern, die wir kennen... In reichstem Schmuck, in seidenen Gewändern verbrachten sie den Tag in den Theatern, den Rennbahnen und bei anderen Lustbarkeiten... Tänzer, Gaukler und Mimen, Musik und was sonst Auge und Ohr erfreut, verwandten sie zu ihrer Ergötzung... Unablässig hielten sie Trinkgelage, und mit großer Leidenschaft ergaben sie sich den Werken der Aphrodite.“ („De bello Vandatico“, II 6.) Ob den Wandalen der wodanische Funken zur Urväterart und damit der Wille zum Selbst tatsächlich fehlte, kann kaum noch klar gedeutet werden. Sicher verloren sich nicht alle im trügerischen Scheinwert des Bibelglaubens und passten sich der röm. Welt an, in der sie deshalb fast spurenlos untergingen. Wie Prokop in seinem „De bello Vandalico“ mitteilt, soll der Wandalenkönig Geiserich, auf die Frage wohin die nächste Kriegsfahrt im Mittelmeer gehen solle, geantwortet haben: „Gegen diejenigen, denen Gott zürnt“. Er verstand sich also, oder gab es zumindest vor - ähnlich wie Attila - Werkzeug einer höheren Macht zu sein, die das Weltschicksal lenkt. Schwerlich ist anzunehmen, dass er dabei den judäo-christlichen Gott der Katholiken im Sinn gehabt haben könnte, eher wird er als Arianer von einer Mischform alter heidnischer Tiu-Wodan-Bilder und Neugehörtem bestimmt worden sein. Dass dieser König noch ganz aus seiner ursprünglichen echten Volkstradition lebte, erweisen seine Taten. So wäre meine Deutung nicht völlig abwegig, wenn ich annähme, dass Geiserich in seinen Unternehmungen auch einem germanenvolklich religiös überhöhten Racheimpuls gegen Rom und seine imperiale Kultur folgte. Einen wandalischen Volkskern hart gebliebener Kriegerart muss bis zum Ende existiert haben, denn die Niederwerfung durch den byzantinischen Feldherrn Belisar gelang auch durch das Verhängnis, dass eine Flotte mit den 5.000 besten wandalischen Kriegern kurz vorher unter der Führung von König Gelimers Bruder Tazon nach Sardinien gesandt worden war, um einen dortigen Aufstand niederzuschlagen.
 
Ur-Atlanter
 
Durch Klimaschwankungen veranlasst, angelockt von reichen Stadtkulturen am warmen Südmeer, sind immer wieder nordische Völkerscharen ausgezogen, in der Ferne neue Heimaten zu finden. Die „Urnenfelderkultur“ (1.300-800 v.0), die als Nord- und Seevölkerinvasion in den östlichen Mittelmeerraum eindrang, war einer der gewaltigsten uns bekannten Ausgriffe dieser Art. (Jürgen Spanuth, „Das enträtselte Atlantis“, 1953 - Prof. Dr. Günther Kehnscherper, „Auf der Suche nach Atlantis“, 1978) Auch ich stand vor den Mauern mit den Seevölker-Reliefs von Medînet Hâbu, auf der Westseite des Nils, gegenüber von Luxor. Es ist der Totentempel Ramses III. (1221-1155 v.0), auf dessen Wände des Pharaos Siege über die Seevölker ins Bild gesetzt sind. Aus Mitteleuropa, nördlich der Donau, bis hinauf aus dem Elbe- und Küstengebiet müssen sie zu ihren großen Wanderzügen aufgebrochen sein. In deren Verlauf gelangten neue Völker in ihre Griechen-Heimat, besiegten die Pelasker („Dorische Wanderung“), entwickelte sich die mykenische auf der durch Naturkatastrophen zerstörten minoischen Kultur und die seebeherrschenden Philister setzten sich dauerhaft im Vorfeld Ägyptens fest. Die Kerntruppen der Seevölker-Philister, mit ihren Rosshaar-Helmbüscheln, Lanzen, Rundschilden und Griffzungenschwerter, gleichen den späteren griech. Hopliten. Seevölkerkrieger werden größer als die Ägypter dargestellt, mit europäischen Physiognomien, in geschnäbelten Schiffen kämpfend, die an Boote der skandinavischen Bronzezeit wie auch an Wikingerschiffe erinnern. Nach den Texten kamen einige von den Inseln und Festländern am „Großen Wasserkreis“ im fernsten Norden. Die Ägypter verwechselten nicht das nördl. Mittelmeer mit dem Weltmeer. „Du [Weltmeer] bist grün und groß in deinem Namen ,Großer grüner Ozean’; wahrlich, du bist kreisförmig und rund als Wasserkreis, der die Haunebu [wohl Nordsee-Hafenleute] umgibt….“, heißt es schon in Texten der V. Dynastie. Pharao Tutmosis III. (1486-1425) ließ im Siegeshymnus auf den Wänden des Amon-Tempels von Karnak seinen Weltherrschaftsanspruch verkündete. Frei übersetzt heißt es dort: „Ich bin gekommen, [auch] das Land im Westen zu zerstampfen, die auf den Inseln sind, jene inmitten des ,Großen Grünen’ [Weltmeeres]; Keftiu und Isy leben in Furcht [vor mir].“ Die „westlichen Inseln“ müssen nach des Lobliedes Worten sehr weit im Norden liegen. Im Seevölker-Bericht von Medînet Hâbu wird angegeben, sie seien vom „9. Bogen“ gekommen, womit sie meinten, sie kamen vom äußersten Breitengrad, nämlich dem Ende der Erde. Dass es nach ägyptischer Vorstellung keinen nördlicheren Breitengrad geben könne, ersehen wir an ihrer Redewendung „Re der 9 Bogen“, womit die Sonne gemeint ist, welche die Erdgesamtheit zu beglücken fähig ist. In diesen Nordsee-Ostsee-Breiten, im „Hyperboreerland“, vermutete das altägyptische, auch griech.-röm. Weltbild, die Enden der Erde und die „Säulen des Himmels“. Kaphtoriter wird in der Bibel ein Volk genannt, das zu den Philistern gehört und von der Insel Kaphtor kam: „Die Philister, der Überrest von der Insel Kaphtor“ („Jeremia“, 47,4). Ihre Urheimat war der hohe Norden, „der Rand der Erde“. Die Inseln Kreta und Zypern nutzten sie nur als Sprungbretter nach Palästina. Im AT, dem Buch „Amos“ 9,1, übersetzt Martin Luther das Wort kaphtor mit Säule, was auch Sinn macht, denn die Völker vom äußersten Norden, in dem die Stützsäule des Himmels vermutet werden durfte, huldigten dem Weltsäulenkult wie es noch für die Sachsen mit ihrer Irminsul belegt ist. (Axel Hausmann, „Atlantis, die versunken Wiege der Kulturen“, 200, S. 108ff) Bald nach ihrem Eindringen beherrschten die Seevölker den ganzen östlichen Mittelmeerraum zur See so, dass das Mittelmeer den Namen „Philistermeer“ trug (2. „Mose“ 23, 31). Aus ihren vorzüglichen Hafenanlagen entwickelten sich blühende Städte wie z.B. Askalon, Asdod, Achsip, die sich zu einer Art Hansabund zusammenschlossen, dem der norddeutschen Städte im Mittelalter ähnlich. Askalon, „die Braut Syriens“, überragte die Schwesterstädte weil dort der Philister-König Hof hielt, der daher auch „König der Askalonier“ genannt wurde. Der Name Askalon ist aus dem Semitischen nicht zu erklären, es ist wahrscheinlich ein nordischer Name, doch wage ich ihn weder von einem protogerm. Asenkult abzuleiten, noch ihn mit dem mythischen Asgard der späteren nordischen Religion in Verbindung zu bringen.
 
Die im hiesigen Zusammenhang wichtigen Teile des gerafften Atlantis-Berichtes lauten: „Unsere [altägyptischen] Schriften berichten von der gewaltigen  Kriegsmacht, die einst […] voll Übermut gegen ganz Europa und Asien vom atlantischen Meere her zu Felde zog. […] Es lag nämlich vor der Mündung, die bei euch ,Säulen des Herakles’ heißt, eine Insel […] Auf dieser Insel Atlantis bestand eine große und bewundernswerte Königsgewalt, die der ganzen Insel, aber auch vielen anderen Inseln und Teilen des Festlandes gebot […]; Dieses Reich machte einmal den Versuch, mit geeinter Heeresmacht unser und euer Land […] mit einem Schlag zu unterwerfen. […] Später entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und im Verlauf eines schlimmen Tags und einer schlimmen Nacht versank […] die Insel Atlantis im Meer.“ - „Zunächst stieg, wie es heißt, die ganze Insel sehr hoch und steil aus dem Meer auf, nur die Gegend bei der Stadt war durchweg eine Ebene […] Jeder einzelne der zehn Könige regierte in dem ihm zugefallenen Gebiet von seiner Stadt aus über die Bewohner […] in der Mitte der Insel, im Tempel des Poseidon […] kamen sie bald alle fünf, bald alles sechs Jahre zusammen […] und beratschlagten […] über gemeinsame Angelegenheiten […] und fällten darüber ein Urteil. […] Sie veranstalteten unter den Stieren, die frei im Heiligtum des Poseidon weideten, eine Jagd ohne Waffen, […] den gefangenen Stier brachten sie dann zu der Säule und opferten ihn dort auf dem Knauf derselben […] Wenn sie nun nach ihren Bräuchen beim Opfer dem Gott alle Glieder des Stieres geweiht hatten, dann füllten sie einen Mischkrug und gossen in ihn für jeden einen Tropen Blut, alles übrige warfen sie ins Feuer und reinigten die Säule ringsherum.“ (Otto Kiefer, „Platons Timaios / Kritias / Gesetze X“, 1920) Der Atlantis-Deuter J. Spanuth sagt: „Die Königsinsel der Philister heißt im Alten Testament „ai kaphthor“ = Insel Kaphthor = Insel der Weltsäule, eine ungemein zutreffende Bezeichnung für die Heimatinsel der Philister, auf welcher der Säulenkult eine zentrale Bedeutung hatte.“
 
Noch ist es durch eindeutiges Fundmaterial nicht bewiesen, dass Helgoland die Königsinsel der Atlanter war, wie J. Spanuth meinte, doch Namen weisen auf Besonderheiten hin. Die Bernsteininsel in der Deutschen Bucht wird als „Heiliges Land“ definiert, auch antike Namensgebungen wie „Abalus“ (kelt. Avalon, mythisches Apfelland) und „Basileia“ (Königsinsel) verklären den Ort. In mittelalterlichen Scholien des „Adam von Bremen“ liest man Bezeichnungen wie „Fosetisland“ (Heiligtum des Gottes Fosites) und „Farria“ (Rinderland). Gemeint scheint Forseti (altnord. „Vorsitzender am Thing“). Nach der Heiligenlegende des Willebrord gab es auf Helgoland eine heilige Quelle, aus der in schweigender Andacht geschöpft wurde, und es grasten dort geweihte Rinder, die niemand schlachten durfte. Die sagenumwobene Insel vor der jütländischen Küste könnte schon wegen ihrer auffällig roten, steilen Buntsandsteinküste mystisch-religiöses Interesse auf sich gezogen haben.
 
Ich sagte mir, wenn das Überschwemmungsgebiet östlich Helgolands und der friesischen Inseln, bis hinauf zum Kattegatt und weiter zu den südschwedischen und -norwegischen Küsten zum bronzezeitl. Nordischen Kulturkreis gehörten, dann müsste in der gleichzeitigen Felsbilderwelt der südwestschwed. Provinz Bohuslän eine Darstellung der Weltsäule zu finden sein. Auf unseren Felsbildexkursionen in Skandinavien waren wir mit gutem Kartenmaterial ausgerüstet, auf dem die bereits bekannten Ritzbilder markiert sind. Trotzdem sind sie in den zumeist dicht bewucherten, von Stechmücken verseuchten Wäldern auf moosüberzogenen Felsplatten mitunter nur unter großen Mühen zu finden. Einmal, im Sommer 1985, suchten wir die Felsbildplatte von Kasen Lövåsen (L. Baltzer Pl. 45/46 No.1) in der Gemeinde Tanum mit der Ortschaft Tanumshede, die nördlich von Göteborg liegt. Sie ist nicht leicht zu erreichen, man musste damals ein längeres Stück an Bahngeleisen entlang, durchs weglose Gelände gehen. Die Stelle, mitten in einem Waldstück, hinter einer mit Stacheldraht eingehegten Weide, auf der aggressive Jungstiere grasten, war nur unter Aufwand einiger Mühen zu gewinnen. Als wir endlich anlangten, mit der Fotoausrüstung und dem Gepäck für die geplanten Felsbildabreibungen, standen wir enttäuscht auf einer scheinbar leeren, grauen Felsplatte. Etwas erschöpft setzten wir uns nieder, es war spät geworden, kurz darauf sank die Sonne und schickte ihre tieferliegenden, durch die Bäume gedämpften Strahlen auf unsere kleine Lichtung. Und plötzlich, wie von Zauberhand hervorgerufen, sahen wir erst in diesem Augenblick, durch die sich entwickelnde Schattenbildung, rings um uns die flachen Ritzbilder in einem warmen, goldenen Schein, wir standen auf einem Bilderteppich. Unmittelbar vor meinen Füßen erkannte ich sie - erschüttert und dankbar - die so heiß gesuchte Ur-Irminsul, die ins Bild gesetzte All-Stütze, die Weltsäule (Abb. 7). Sie ist deutlich als heiliges Zentrum gekennzeichnet, mehrere Schiffe fahren auf sie zu. Ihre Doppelspirale des jährlichen Sonnenweges liegt einer verbundenen Doppelstütze auf, vor ihr wird das beschriebene Stieropfer vollzogen. Das Tier liegt mit hinterem Teil möglicherweise an einem Opferkessel. Zwei Sonnenräder liegen auf Ost-West-Achse. Die segnende „Fußspur Gottes“ überkrönt das Gesamtarrangement. Im Norden lässt sich bis in die Neuzeit hinein eine derartige Kulttra­dition nachweisen. Jens Kildal berichtete 1730 von den Ge­bräuchen der Lappen, die einige germanische Kulttraditionen übernahmen. Ihrem Hoch­gotte Maylmen - der dem germ. Ingwi-Freyr ent­spricht - zu Ehren, errichteten sie am Opferaltar eine Stütze mit einer Gabelung am Ende, „Maylmenstytto“ genannt, mit der er die Welt aufrecht erhalten sollte. Diese Stütze wurde mit dem Blut des Op­ferochsen eingerieben. Derartige Opferbräuche sind für mehrere Kulturen bezeugt, aber dass wir mit meinem Fund einen Nachweis für Nordeuropa haben, das ist beglückend. Mit etwa gleicher Zeitstellung (1350 bis 1250 v.0) gibt es die gemalte Szene auf einem Sarkophags in der kretischen Ausgrabungsstätte „Agia Triada“. Sie zeigt den Moment des Stieropfers, wie das Tier auf einem Opfertisch geschlachtet wird. In der griech. Sagenwelt fordert Poseidon das Opfer des weißen kretischen Stieres, den zuerst Herakles bändigt, dann Theseus ebenfalls bezwang, so dass er schließlich dem solaren Apollon geopfert wurde. Bei den Griechen nahmen die Stier- bzw. Rinderopfer eine vorzügliche Stellung ein. Bei Römern fand am 1. Januar das Opfer der Konsuln für Jupiter auf dem Capitol statt, wobei ein weißer Stier gegeben wurde, während die Konsulen auf weißen Pferden saßen (Ovid. ex Pont. IV 431). Auch bei den „Ludi Romani“ erhielt Jupiter einen weißen Stier und Juno eine weiße Kuh (Serv. Aen. IX 628). Die Sakralbilder des spätröm. Mithraskultus zeigen den rituellen Opfervorgang, wie der jugendliche, in eranische Nationaltracht gekleidete Mithras, den Stier - das erste bei der Weltschöpfung geschaffene Wesen - mit scharfem Messer ersticht, um durch diese Ur-Opfertat die Fruchtbarkeit der Erde hervorzubringen. Aus des mythischen Stieres Körper erwachsen die Pflanzen, aus seinem Blute entstehen die Tiere -; er gab sein Blut für das Heil der Welt. Ganz ähnliche Vorstellungen wie die Eraner (Arier) müssen auch Atlanter, Kelten und Germanen mit dem Stieropfer verbunden haben. Doch schon die Sonnenkultstätte von Goseck (Sachsen-Anhalt), aus einer Zeit vor ca. 7.000 Jahren, weist eine Massierung der Opfer-Rinderschädel am Tor der untergehenden Sonne zur Wintersonnwendzeit auf. Woraus zu schließen ist, dass sie als Opferbitte um das Wiedererstarken der Sonne bzw. der Jahresfruchtbarkeit dargebracht worden sind. Die 23.  -Rune darf als Stieropfer-Chiffre des Winteranfangsopfers im germ. ODiNG-Kalendersystem verstanden werden. Ich komme darauf zurück.
 
 
Abb. 7  
 
Abb. 7 b
 
Hier in Südwestschwedischen darf man das Zentrum des altnordischen Stierkultes vermuten. Dafür spricht, dass „Västra Götalands län“, die Provinz zu der das Bohuslän gehört, den roten Stier noch im heutigen Wappen führt. Und das sich bis zur norwegischen Grenze anschließende Dalsland besitzt gleiches Wappentier. Auch dass die mindestens ab dem 12. Jh. ansässige mecklenburgische Linie der sächsischen Edelsippe „von Plesse“, den schwarzen Auerochsen ins Wappen aufnahm, wird durch altehrwürdige Mecklenburger Traditionen zu erklären sein, die seit den Kimbern und Teutonen im südjütländischen Nachbarbezirk nie ganz abrissen.