Sommersonnwend-Feuerrede am 22.06.198
 
 Kurt im Odenwald
 
Von Dr. Kurt Kibbert
 
Liebe Anwesende, liebe Freunde, liebe Odenwälder !
 
Wir wollen heute und hier im schönen Odenwald das Fest der Sommersonnenwende feiern.
Ich sehe meine Aufgabe als erfüllt an, wenn es mir gelingt, Ihnen klar zu machen, welch innige Beziehung gerade der Odenwald, wie kaum eine andere deutsche Landschaft zu diesem Fest hat. Zu diesem Zweck ist es notwendig, den mythischen Hintergrund dieses uralten, sicher jahrzehntausendealten Festes aufzuhellen.
 
Unsere Altvorderen gedachten an diesem Tage des Mordes an Baldur, dem lichtesten, friedvollsten, geliebtesten aller Götter - es war also eine Trauerfeier, bei der auch geweint wurde und nicht nur von den Frauen ... es war gewissermaßen ein germanischer Karfreitag. Nebenbei bemerkt: Diese ungeheure Ähnlichkeit von Christus und Baldur, was übrigens „Herr“ bedeutet, war ein wesentlicher Grund, dass jene lebens- und kraftstrotzende, todverachtende, götterdurchleuchtete Religion der Germanen von dem doch viel stärker jenseits betonten Christentum verdrängt werden konnte. Es liegt mir nicht daran - das sei gleich anfangs betont - heute christlich-heidnische Gegensätze aufzureißen, auch nicht, sie zu verkleistern - doch wo es angebracht ist, auf wesentliche Gemeinsamkeiten zu verweisen. Und gerade dieses Fest bietet dazu willkommenen Anlass, zumal wir der Kirche dankbar sein durften, dass sie diesen Brauch am Johannistag weitergepflegt hat - übrigens wurde auch Johannes der Täufer ermordet !
 
Zurück zu Baldur: Er, die vollkommene Verkörperung von Güte und Schönheit, von Klugheit und Gerechtigkeit, nimmt im kosmischen Weltdrama eine Schlüsselstellung ein, ja, sein Tod ist wohl, der markanteste Punkt im Heilsgeschehen. Mit ihm erlosch das Leuchtfeuer für Götter und Menschen; sein Tod ist die Vorankündigung für den nun nicht mehr aufzuhaltenden Anbruch der Götterdämmerung oder - wie Hölderlin sie nennt - der Götternacht; Vorbote der Endzeit, die mit der letzten Schlacht auf dem Wigridfelde und nachfolgendem Weltbrand ein Große, Weltzeitalter zum Abschluss bringt - daher die Große Trauer ! Es lohnt sich, die näheren Umstände seiner Ermordung ins Gedächtnis zu rufen: Es ist die germanische Variante des ersten Brudermords und zugleich die verblüffend - zutreffende Aufhellung der Insidermachenschaften in der Menschengeschichte, besonders in unserer Gegenwart - und zwar in einer Klar-Sicht, wie sie kein zweiter Mythos aufzuweisen hat.
 
Baldur der Gute hatte schwere Träume, die Gefahr für sein Leben anzeigten, Auf Ratschluss der beunruhigten Asen ließ seine Mutter Frigga sich Eide schwören, dass Baldur verschonen sollten alle lebenden Wesen und leblosen Dinge. So wurde es ein Zeitvertreib der Götter auf ihren Thingzusammenkünften, Balder mit allen möglichen Geschossen zu bewerfen und auf diese Weise sich seiner Unverletzlichkeit zu vergewissern, ja, sich daran zu erfreuen.
 
Nur Loki dem Bösen missfiel das; ihn wurmte der Neid auf die Glanzrolle Baldurs, die er - auch schön an Gestalt – gern selbst gespielt hatte. In Gestalt einer Frau entlockte er listigerweise der Frigga das Geheimnis, dass eine Pflanze, die Mistel, von ihr nicht unter Eid genommen wurde, weil sie ihr zu jung erschien. Diesen Mistelzweig verwandelte er in einen Ger und überredete Hödur/Hader, den blinden Bruder Baldurs, damit auf seinen Bruder zu werfen - getroffen sank Baldur zu Boden.
 
Loki verkörpert den herzlosen, alles zersetzenden Intellektuellen, wie Goethes Mephisto, wie der fast wortgleiche, lebensfeindliche Logos bei Klages; es ist der mit dem Nachtwillen gepaarte Rechenverstand der Techno- und Plutokraten, die rücksichtslos das Antlitz der Erde verwüsten. Diese aber machen sich die Hände nie selbst schmutzig: Um das Licht der Welt auszulöschen, überreden sie das tumbe, blinde, verblendete Volk, diese Meintat auszuführen. Hier wird fein und treffend unterschieden, zwischen Radbani und Handbani, d.h. zwischen dem Schreibtischtäter und seinem ausführenden Organ. Dennoch erhält Hödur kein Kainszeichen, das ihn verschont, sondern seine Untat wird gerächt. Loki, der Hintermann, wird später in Fesseln gelegt - eine Art Abgasentschwefelung, die den Untergang nur hinauszögert.
 
Baldur ist tot - maßlose Betroffenheit, Bestürzung und Trauer bemächtigte sich der Götter und Menschen. „Und als die Asen zu reden versuchten, da kommt ihnen eher das Weinen“, berichtet uns die Edda. Af Baldurs großem Schiff Hringhorni wurde ein Scheiterhaufen errichtet und als seine Leiche aufs Schiff getragen wurde, zersprang seiner Frau Nanna vor Leid das Herz: Mit ihm zusammen wurde sie auf den Scheiterhaufen gelegt und dieser angezündet - und schließlich das brennende Schiff ins Meer gestoßen. Unser Holzstoß ist der Scheiterhaufen dieses in inniger Liebe verbundenen Paares. - Das ist auch die Erklärung für die in Indien noch bis in unsere Tage hinein geübte sog. „Witwenverbrennung“, die ursprünglich also keine Inhumanität darstellte, sondern Ausdruck gab todübergreifender Gattenliebe.
 
Einen letzten verzweifelten Versuch unternahm die todunglückliche Mutter Frigga, den geliebten Sohn Baldur der Unterweltsgöttin Hel - wovon unser Wort „Hölle“ stammt - doch noch zu entreißen bzw. loszukaufen: All ihre Gunst und Huld versprach sie dem, der zu diesem Zweck den Helritt wagte. Nur Hermod, ein weiterer Bruder Baldurs, erbot sich dafür. Neun Nächte dauerte der schwierige Ritt durch dunkle Täler; mutig übersprang er das Helgatter und gelangte in die Halle, wo Baldur schon im Hochsitz thronte. Die sonst unerbittliche Hel willigte in die Freigabe Baldurs ein unter der Voraussetzung, dass wirklich alle Wesen ihn beweinten. Hermod ritt mit dieser Nachricht heim nach Asgard, worauf Boten in alle Welt gesandt wurden, dass alle lebenden und Leblosen Dinge „Baldur aus der Hel herausweinen“ sollten. Wieder vereitelte Loki dieses Vorhaben, wieder in Gestalt eines Riesenweibes, die als einzige nur „trockene Tränen“ für Baldur übrig hatte…. also musste Baldur in der Hel verleiben. - Dieser Loki in Frauengestalt erinnert einen unwillkürlich an seine modernen Gegenstücke, unsere in Männerhosen herumlaufenden „Emanzen“, die auch keine Spur von echtem, herzerwärmenden Frauentum mehr haben.
 
Hermod/Hermut andrerseits, dieser „Ritter ohne Furch und Tadel“, den in klassischer Weise Dürer in seinem Bild „Ritter, Tod und Teufel“ verewigt hat, wird entsprechend der Dauer seines Ritts 9 Tage nach der Sommersonnenwende, am 29. Juni, gefeiert: auf diesen die Baldur Tragödie abschließenden Hermodstag hat die Kirche ihre beiden wichtigsten Apostel „Peter und Paul“ gelegt, was aus der Bibel in keiner Weise zu begründen ist.
 
Nun werden Sie sagen, das ist ja alles recht interessant; aber was, zum Donnerwetter, hat denn nun der Baldurmord mit der Sommersonnenwende zu tun ? Sehen Sie, gerade diese Baldursage ist ein klassisches Beispiel für die Vielschichtigkeit des Mythos, für seinen komplexen, in einfachen Bildern jedem zugänglichen, verdichteten Wahrheitsgehalt, den eine rationale Wissenschaft nie aufweisen kann: Bisher erfuhren wir, dass hier sowohl das kosmische Weltgeschehen wie Abläufe der menschlichen Weltgeschichte vorder- und hintergründig dargestellt sind; nun wenden wir uns der astronomischen und – wie man zu sagen pflegt - der naturmythologischen Schicht zu, die aber beide ineinander übergehen. Was liegt naher, als Baldur - das weithin leuchtende, das schöne, das gütige himmlische Wesen in der leben- und liebeerweckenden Frühlingssonne wiederzuerkennen - oder umgekehrt: die Frühlingssonne als den lichten Baldur selbst zu erleben. Hier ist die bilderschauende und schaffende Seele am Werke - ein Erkenntnisvermögen, das uns durch einen überwuchernden Verstand, durch Loki (!)‚ fast völlig verschüttet wurde. Eines Morgens nun erblickte der frühlingsonnenhafte Balder die schöne Nanna im Bade und entflammte in Liebe zu ihr. Sie ist die Tochter Neps und da Nep „Knospe“ bedeutet, ist Nanna also die Blüte.... und „im Bade“ heißt nichts anderes als „im Morgentau“: Ist es nicht ein zauberhaftes Bild, wie die von den Strahlen der Morgensonne umkoste Blüte sich der werbenden Wärme öffnet und dazu angetan ist mit dem Perlenschmuck der in allen Farben glitzernden Tautropfen !? Nun, mit der Sommersonnenwende geht der Frühling mit seiner Blütenpracht zu Ende - das ist Nannas Tod - und die Mittagssonne hat im Süden ihren höchsten Stand erreicht - und steigt nun wieder ab: Dieser Abstieg, dieser Fall ist bewirkt durch den Mord an Baldur ! Baldur als Sonne auf dem Totenschiff begegnet uns übrigens häufig als Ziermuster in der Spätbronzezejt vor 3.000 Jahren, als europaweit Leichenverbrennung und Urnenbestattung Sitte waren: Hinter diesem sog. Sonnen-Vogelbarkenmuster dürfen wir Sicher schon ähnliche, wenn nicht gleiche Vorstellungen vermut en.
 
Schön und gut - aber was hat nun Baldurs Mord = Sommersonnenwende mit dem Odenwald zu tun ? Hierzu müssen wir nun von der Ebene der Götter herabsteigen auf die der Halbgötter, Übermenschen, Helden oder - von den Götter- zu den Heldenliedern. Und nach dem hermetischen Motto „wie oben, so unten“ finden wir entsprechend Baldur: Hödur (bzw. Balder: Hader) das lichte-dunkle Gegensatzpaar Siegfried : Högni bzw. Hagen; durch den gleichen Anlaut (für Hader / Hagen) wird diese Beziehung noch besonders unterstrichen. Damit befinden wir uns im Nibelungenlied, im Nibelungenland Odenwald. Und so wie Baldur ist auch Siegfried unverwundbar - mit einer Ausnahme ! Bei Siegfried ist es die Stelle zwischen den Schulterblättern, wo das Lindenblatt die Bildung der Hornhaut verhinderte.
 
In beiden Fällen wird das Geheimnis durch die am nächstenstehende Frau dem Mörder preisgegeben. Beide werden durch den Ger niedergestreckt - Siegfried nun an einer Quelle. Und solcher Quellen besitzen wir am und im Odenwald nicht weniger als sechs; zwei vor dem Odenwald: südlich von Lorsch und westlich von Heppenheim (gegenüber Langnese !); dann an der Nibelungenstraße bei Reichenbach am Fuße des Felsenmeeres und schließlich den Siegfriedbrunnen von Gras-Ellenbach sowie den Hildegeres- und, den Lindelbrunnen von Hiltersklingen an der Siegfriedstraße. Die Parallele geht aber noch weiter: Siegfried wird wie Balder auf dem Scheiterhaufen verbrannt - beide zusammen mit ihren Frauen. Unser Holzstoß ist also auch der Scheiterhaufen für das Halbgötterpaar Siegfried: Brünhild, für die götterentstammte Walküre und dem ihr allein vorherbestimmten und ebenbürtigen Siegfried/Sigurd.
 
Wir Heutigen haben allerdings weitgehend die Fähigkeit zu trauern verlernt; früher aber trauerte man wegen des tragischen Todes Baldur- Nannas und Siegfried- Brünhildes --- Vielleicht konnte ich die in unserem kollektiven Unterbewussten schlummernden archetypischen Idealgestalten auch für Sie alle wieder etwas zum Leben erwecken !? Wir müssen wieder lernen, wie diese strahlend zu leben und furchtlos zu sterben....
 
Das Nibelungenlied ist unser Nationalepos - der Odenwald ist mit diesem Lied imprägniert; seien wir stolz darauf, in solch einer mythischen Urlandschaft leben zu dürfen. Aber warum verlegte der mittelalterliche Dichter den Schauplatz des Nibelungenliedes hierher, in den Odenwald und vor allem nach Worms ? Worms hieß früher, bei Kelten und Römern, „Borbetomagus“; hier befand sich also in vorgeschichtlicher Zeit eine Kultstätte der Sonnenfrau Borbet - die wir übrigens heute noch im Wormser Dom als Warbede zusammen mit ihren göttlichen Schwestern Ambede, der Erdfrau, und Wilbede, der Mondfrau, bewundern können. Nun verstehen wir, warum der Sonnenheld Siegfried in die Stadt der Sonnenfrau Borbet ziehen musste. Er kam übrigens mit 12 Gefährten dort an - so wie Christus 12 Jünger um sich versammelte: auch hier wieder ein heidnisch-christlicher Gleichklang. Der Hintergrund hierfür ist ein astrologischer: Die 12 Jünger entsprechen den 12 Tierkreiszeichen bzw. den 12 Himmelsschlössern der Edda - und der Meister ist der 13.te, weil er alle 12 Stationen durchwandert, bestanden hat und so zur Vollendung gelangte. Darum ist die 13 auch eine germanische Glückszahl - vor allem ist sie aber auch nach Oding-Zählweise die Zahl der Zeit- bzw. der Jahresrune und nach Futhark-Zählweise der Eibenrune, des Weltenbaumes: Der Germane erlebte nämlich Welt und Mensch als Baumwesenheit - deshalb unsere innige Beziehung zum Wald, und nicht zuletzt zum Oden-wald !
 
Der germanisch-deutsche Siegfried ist in unserer Geschichte schon mehrfach ermordet worden. Die verblüffendste und erschütterndste Parallele finden wir gleich am Beginn unserer Reichsgeschichte in Arminius, in Hermann dem Cherusker: Wie Siegfried lernte er bei einem ihm letztlich feindlich gesonnenen Lehrmeister - im römischen Heeresdienst - sein Schwert schmieden. Wie Siegfried tötete er in jungen Jahren (mit 26 Jahren) den von niemand sonst bezwungenen Drachen: die Drachenbrut des römischen Imperialismus im Herzen Germaniens. Wie Siegfried verlor er seine noch weiterlebende Frau.
 
Wie Siegfried wurde er in der Blüte seines Mannestums (mit 37 Jahren) von Verwandten ermordet. Ja, wie Siegfried entstammt er einer Sig-Sippe - vielleicht hieß er ursprünglich Siegfried !? Kollektiv gesehen wurde der germanisch-deutsche Siegfried auch in drei 30-jährigen Kriegen 772-804 / 1614-1648 / 1914-1945 hingemordet; und das letzte Nachspiel davon erlebten wir im Arbeiteraufstand vom 17. Juni, der von Sowjetpanzern niedergewalzt wurde. Hier waltet nun ein höherer Zufall, dass dieser Tag ausgerechnet in die Zeit der Sommersonnenwende fällt, wo er mythengeschichtlich auch hingehört und so feiern wir selbstverständlich diesen von allen Bundestagsparteien einstimmig zum „Tag der deutschen Einheit“ erklärten Tag heute mit - und damit wird dieser Feiertag nicht nur ein Fest der Trauer, sondern auch des Trotzes, ganz im Sinne des von Fichteschem Geiste geprägten Spruch: „Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben - An deines Volkes Auferstehen; lass diesen Glauben dir nicht rauben trotz allem, allem was geschehen ...“ Hier sei aber auch an die Botschaft des Nibelungenliedes erinnert: Aus Hass auf den finsteren Mörder ihres und des ganzen Volkes strahlenden Helden verschmäht Kriemhilde - Germania, das wehrlose Weib, es nicht, sich dem östlichen Herrscher der wilden hunnischen Horden zu vermählen, um das Werk der Rache in Gang zu setzen und zu vollenden ...
 
Doch wieder zurück zu Siegfried und den Odenwald: Die „Nibelungenstraße“ gibt es auch in Österreich, doch nur im Odenwald gibt es eine „Siegfriedstraße“ - und wir hörten schon, dass zwischen Lorsch und Hüttenthal an bzw. nahe bei ihr nicht weniger als fünf Siegfriedbrunnen liegen. Mögen sie streiten darum, wer der rechte sei: für jeden lassen sich Gründe anführen. An je mehr Orten die Nibelungensage lokalisiert wird, desto mehr ist der Sagenstoff auch im Bewusstsein der Bewohner lebendig. Ich persönlich halte den Heppenheimer für den wahrscheinlichsten, heißt es doch ausdrücklich in der „Handschrift C“ des Nibelungenliedes „vor dem Odenwald“. Also Wanderer, kommst Du nach Heppenheim, besuche nicht zuerst das Rathaus, den Winzerkeller, die Starkenburg oder den Bruchsee - sondern den „Brunnen zu den zwei Linden“, hier ist der Punkt, wo unser Nationalepos und unser Nationalheld festgemacht ist. Besuche aber auch den Lindelbrunnen bei Hüttenthal und den Siegfriedbrunnen bei Gras-Ellenbach - beide übrigens unweit von Güttersbach, das urkundlich im Jahre 1290 - also rund ein Jahrhundert nach der Entstehung des Nibelungenliedes - „Gunderspach“ hieß, dem ja wohl „Gunthersbach“ entspricht also nach dem Burgunderkönig, der ja auch an der verhängnisvollen Jagd im Odenwald beteiligt war. Dieser alte Ortsname ist natürlich ein gewichtiges Argument für die beiden zuletzt genannten Brunnen.
 
An dieser Siegfriedstraße begegnen wir an einer Hauswand auch dem Siegfried als Schmiedgesell, Hierzu möchte ich dem Dichter Ludwig Uhland das Wort erteilen; er dichtete seinen Jung-Siegfried nicht umsonst 1812, am Vorabend der Befreiungskriege.
 
„Jung-Siegfried war ein stolzer Knab’,
ging von des Vaters Burg herab.
Wollt’ rasten nicht in Vaters Haus,
wollt’ wandern in alle Welt hinaus.“
 
Hier begegnen uns gleich zwei germanische Urtriebe: Der unbedingte Drang zu Selbständigkeit und Freiheit, was auch die Unabhängigkeit vorn Elternhaus miteinbegreift - also recht aktuell-antiautoritär - allerdings ohne monatliche Geldüberweisung durch Eltern oder Bäfög ...! - und zweitens die Sehnsucht in die Ferne ... zu wandern in alle Welt hinaus ... weshalb unser Volksgeist Wodan nicht umsonst auch den Beinamen „Der Wanderer“ trägt. Weiter geht das Gedicht - das wir hoffentlich heute abend noch singen werden:
 
„Begegnet ihm manch Ritter wert
mit festem Schild und breitem Schwert.
 
Siegfried nur einen Stecken trug,
das war ihm bitter und leid genug.
 
Und als er ging im finstern Wald,
kam er zu einer Schmiede bald.
 
Da sah er Eisen und Stahl genug,
ein lustig Feuer Flammen schlug.
 
O Meister, liebster Meister mein,
lass du mich deinen Gesellen sein.
 
Und lehr du mich mit Fleiß und Acht,
wie man die guten Schwerter macht.
 
Siegfried den Hammer wohl schwingen kunnt ‚
er schlug den Amboss in den Grund.
 
Er schlug, dass weit der Wald erklang
und alles Eisen in Stücke sprang.
 
Und von der letzten Eisenstang
macht er ein Schwert, so breit und lang.
 
Nun hab ich geschmiedet ein gutes Schwert,
nun bin ich wie andere Ritter wert.
 
Nun schlag ich wie ein andrer Held
die Riesen und Drachen in Wald und Feld.“
 
Hier ist nun wieder bemerkenswert: Das niederschmetternde Erlebnis der eigenen Unzulänglichkeit ... der finstere Wald: Die Zeit der Irrungen und Wirrungen, der Ausweglosigkeit ... und schließlich der befreiende Entschluss, sich einem Überlegenen freiwillig unterzuordnen, von ihm zu lernen, bis ... man selber reif zur Meisterschaft wird. Wir sehen: Ein scheinbar oberflächlich-lustiges Kinderlied - in Wirklichkeit voll tiefem Sinns ein Spiegel in dem sich jeder deutsche Junge wiedererkennen kann.
 
Was aber im Uhlandschen Gedicht nicht erwähnt ist: der Name des Schmiedes. In der deutschen Sage heißt er „Mime“, was dem nordischen „Mimir“ entspricht. „Mimir“ ist nun nichts anderes wie lat.. „memoria“, d.h. Gedächtnis und das bedeutet vor allem: Geschichtsbewusstsein.
 
Und da selbst Allvater Wodan bei Mimirs Haupt sich Rat und Auskunft einholt, handelt es sich um das universale Weltgedächtnis, das die Inder „Akasha-Chronik“ nennen und modern der „kosmische Computer“ heißen könnte. Vordergründig lernt Siegfried sich sein Schwert Balmung schmieden – hintergründig-geistig aber lernt er die Vergangenheit der Welt, der Erde, der Götter und Menschen, seiner Rasse, seines Volkes, seines Stammes und seiner Sippe kennen - und aus diesem Wissen um seine geschichtliche Herkunft - und damit auch Aufgabe - schmiedet er sich sein geistiges Schwert ! Und nun geschieht etwas scheinbar Absurdes: Nicht Dankbarkeit verbindet fürderhin Siegfried mit seinem Schmiedemeister/Geschichtslehrer, sondern - er tötet ihn ! Wie ist das möglich ? - weil dieser ihm nach dem Leben trachtete, so berichtet die Sage: und treffender konnte sie diese harte Wahrheit nicht ausdrücken ! Des Rätsels Lösung vermittelt - uns in klassischer Weise Nietzsche mit seiner „Unzeitgemäßen Betrachtung“: „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“. Der Titel sagt eigentlich schon alles: dass nämlich etwas Geschichtswissen dem Leben dient, ja, nottut; dass aber ein Zuviel davon das Leben überwuchert, erstickt. Darum sollten wir uns alle Jung-Siegfried zum Vorbild nehmen: Lernen wir das Wesentliche unserer Geschichte kennen, dieses Wissen bildet die Wurzeln unserer Existenz, andernfalls flattern wir wurzellos im Nichts - oder werden fremdgesteuert - wie leider die meisten jungen Menschen unseres Volkes; - aber vergessen wir über das Geschichtsstudium nicht das Leben, die Tat … Darum: zu Mime/Mimir in die Lehre und darum schließlich Mimir töten ! Oder wie Nietzsche es ausdrückt: „Die Historie sofern sie im Dienste des Lebens steht, steht im Dienste einer unhistorischen Macht und wird deshalb nie … reine Wissenschaft wie etwa die Mathematik ... Die Frage aber, his zu welchem Grade das Leben den Dienst der Historie brauche, ist eine der höchsten Fragen und Sorgen in betreff der Gesundheit eines Menschen, eines Volkes, einer Kultur ... Dass das Leben aber den Dienst der Historie brauche, muss ebenso deutlich begriffen werden als der Satz, ... dass ein Übermaß der Historie dem Lebendigen schade.“
 
Diese kleine Schrift Nietzsches sollte zum unabdingbaren Bestand deutscher Jugenderziehung, zumindest aber deutscher Jugenderzieher, gehören. Dem Leben dienen - ist also der Wertmaßstab. Und alles Lebendige lebt in einer Welt innerer und äußerer Gegensätze, ja, man darf sogar sagen: es lebt von diesen Gegensätzen. Am Beginn unserer abendländischen Philosophiegeschichte formulierte es Heraklit in klassischer Weise „Polemos panton men patér esti“ (übrigens in germanischer Stabreimmanier !) Zu deutsch: „Der Streit ist der Väter aller Dinge.“ Aber auch das Feuer war für ihn Wesensgrund der Welt und so lodert sein Geist heute ebenfalls in unserem Sonnwendfeuer mit. Doch von Ephesos zurück nach Hessen: Ulrich v. Hutten. Von der Stecklenburg bei Fulda, unser großer Freiheits- und Einzelkämpfer sei hier beschworen als erster Dichter des (Siegfried-) Arminius-Stoffes; und er beschreibt sich selbst „Ich bin kein ausgeklügelt Buch, Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.“ Nun, diesen lebenswirkenden Widerspruch in allen Wesen, in allem Geschehen und im Gang des Denkens nennt man heute gern. „Dialektik‘ und viele bilden sich ein, sie sei eine Erfindung des Kirchenvaters Marx; doch weder jener noch Hegel, sondern der Philosoph und Prophet der Deutschen - Fichte hat sie ins moderne Denken wieder eingeführt ...
 
Und so ist auch unser Festtag nicht nur ein Tag der Trauer und des Trotzes, sondern als der längste Tag des Jahres, als der Tag der größten Lichtfülle, auch ein Triumphfest der
Sonne, des Lichtes – und somit des Lebens und der Lebenslust. Und damit Sie mit Ihren Gefühlen heute abend nicht durcheinander kommen: Betrachten Sie meinen Vortrag als den traurigen Teil dieses Abends und beim Anblick unseres Sonnenwendfeuers lassen Sie sehr bald Ihre Trauer umschlagen in helle Freude ! Auch die „alten maeren“ berechtigen uns dazu: Dem toten Baldur flüstert nämlich sein Vater Odin etwas ins Ohr, was niemand vernahm - was aber dennoch die Eingeweihten wissen: Nämlich, dass er wiedergeboren wird ! Entsprechendes verkündet uns die Seherin im ersten Gesang der Edda: Mit dem Untergang der Welt, ja, selber der Götter ist nicht alles aus ... nach einer Weltnacht wird wieder ein neues Goldenes Zeitalter heraufziehen:
 
„Sie sieht auftauchen zum Andernmale
Aus dem Wasser die Erde und wieder grünen.
Die Fluten fallen, darüber fliegt der Aar,
der auf dem Felsen nach Fischen weidet
 
 
Da werden sich wieder die wundersamen
Goldenen Tafeln im Grase finden,
die in Urzeiten die Asen hatten.
Da werden unbesät die Acker tragen.
Alles Böse bessert sich, Balder kehrt wieder,
In Heervaters Hof wohnen Höd und Balder ...“
 
Durch das alles reinigende Feuer ist auch Höders Tat gesühnt ! Hier gibt es keine ewige Höllenpein ! Hieraus erkennen wir auch, dass sowohl das mittelalterliche Nibelungenlied wie fast alle bekannten Neudichtungen, allen voran Hebbels „Nibelungen“ und Wagners „Ring“ uns eigentlich um den wahren Abschluss betrügen; denn sie enden alle mit Brand und Untergang. Nur einer macht hier eine Ausnahme: der Ostpreuße Wilhelm Jordan, der in Frankfurt seine „Nibelungen“ dichtete - und sie über 300-mal von Kronstadt in Siebenbürgen bis San Francisco andächtig lauschenden Deutschen zu Gehör brachte. Seine Dichtung besteht aus zwei Teilen: „Siegfrieds Tod“ und „Hildlebrands Heimkehr“ und stellt alle bisherige Nibelungendichtung weit in den Schatten, weil sie Form und Geist des Altgermanischen am besten bewahrt und gleichzeitig - wie der mittelalterliche Nibelungen-Dichter - das Lied mit dem Geist seiner, d.h. der Paulskirchen-Bismarck-Zeit vermählt. Nicht als Theater ist es angelegt, sondern dass es in alter Weise vom Sänger einer großen,- alt und jung umfassenden Runde „in epischer Breite“ über viele lange Abende hinweg vorgetragen wird und dabei durch die Gewalt des Wortes die Bilder in der Seele des Zuhörers hervorgezaubert werden, die ein Bühnenbildner nie erreichen kann. Und Jordan ist nicht nur ein Großmeister der epischen Sprache, er hat uns die dem Schrifttum der Deutschen völlig verlorengegangene Stilart der Epik überhaupt erst wiedergeschenkt; dazu zweitens mit einer sprachschöpferischen Fülle, die ihn darin den Größten aller Zeiten und Völker zugesellt. Drittens bedient er sich, und zwar nach selbstgeschaffenem Gesetz, des germanischen Stabreims mit genialer Sicherheit, ebenbürtig der Eddaskaldenkunst und Wagner weit übertreffend. Viertens wird die geballte Dramatik untermalt, begleitet bzw. unterbrochen durch romantisch-innige Naturschilderung und tierbrüderliche Gesinnung als echten Ausdruck deutscher Seele. Und fünftens vor allem schildert eben nach dem Vergehen im ersten Lied, das zweite das Neuentstehen und zwar wie aus dem überlebenden, nornenschicksalhaft zusammengeführten Jungpaar Schwanhild, der Tochter Kriemhilds und Siegfrieds, und Hadubrand, Hildebrands Sohn, im Schwabenlande ein neues Geschlecht (Staufer, Hohenzollern) heranwächst als Grundstock zu neuer Größe des Reiches. Damit erfüllte Jordan nicht nur den „Auftrag“ der Völuspa/ Edda, sondern vereinigte darüber hinaus den altnordisch-österreichischen Edda-Nibelungen-Stoff mit der ältesten deutschen Dichtung, dem Hildebrandslied - in dem übrigens wie im Jung-Siegfried-Lied der Vater-Sohn-„Konflikt“ das bzw. ein beherrschendes Thema ist.., wie zeitlos-aktuell ! Man sieht: unsere uralten Sagen haben auch uns heute noch viel zu sagen. Dies wäre die zweite Pflichtlektüre für junge Deutsche - die man allerdings auf dem heutigen Büchermarkt vergeblich sucht (weshalb ihr Nachdruck bzw. Neudruck wärmstens empfohlen sei !). Und auch hier waltet wieder der höhere Zufall; denn der Todestag W. Jordans am 25.06.1904 - also vor genau 80 Jahren - fällt wiederum in die Tage der Sommersonnenwende: Wir schließen also den bedeutendsten Nibelungen-Dichter in unser heutiges Gedenken mit ein, zumal der 23. Gesang des ersten Liedes, der den letzten Lebenstag Siegfrieds schildert, anhebt: „Im westlichen Abfall des Odenwaldes, wo zum Rheine selber die Bächlein rauschen ...“ und wenig später fortfährt: „Und eben malt der Mitjahrsmorgen die Säume der Wipfel im Süden und Westen mit goldigem Rot … Hier spricht ein Wissender, der den Mordtag an den Tag der Sommersonnenwende legt - und in den westlichen Odenwald, wo wir versammelt sind !
 
Der erste Teil erschien 1867, der zweite 1874 - er verlieh der Freude über die Reichseinigung 1871 Ausdruck und lieferte ihr die mythische Grundlage. Dennoch warten wir heute in der schrecklichen Endphase der Götternacht auf den neuen, endgültigen Nibelungen....Dichter, der nicht nur das Lied bis in unsere Zeit fortsetzt und stabreimt wie Jordan und Wagner, sondern gewissermaßen eine Synthese bringt dieser beiden: Jordans zuversichtlichen Ausblick auf den Wiederaufstieg und Wagners klare Erkenntnis um das wesentliche Leitmotiv, sozusagen den grünen Faden der gesamten Nibelungen-Dichtungen: Der Raub des Goldes - der Fluch des Goldes - die Erlosung von diesem Fluch auch die Rückgabe des Goldes an den Fluss und dadurch an die Mutter Erde. Damit verbunden ist eine völlige Umwertung der Rolle Hagens, der als Schwarzalben - Abkömmling das Gold dem Rheine zurückgibt und so in sein Reich zurückholt, wo es hingehört. Er ist also der Erlöser der Menschheit vom Fluch des in den Händen weniger weitmachtbesessener Parasiten befindlichen Goldes. Er ist dadurch der Retter. unseres ganzen Heimatplaneten. Sein Denkmal steht in Worms am Rhein: An diesem Denkmal wird sich das Schicksal der Welt entscheiden. Sein Rettungswerk wird nun - was uns bislang alle Nibelungen-Dichter vorenthalten haben - ergänzt und überhöht auf der Ebene der Götter durch WIDAR, den Rächer Wodans, den Überwinder des allesverschlingenden Fenriswolfes, den schweigenden Asen, den Waldgott. Er ist in der Endzeit der eigentliche Widerstandsgeist gegen die Machte der Zerstörung und gleichzeitig der Garant der Wiederkunft einer neuen jungfraulich-reinen Erde und eines neuen Himmels.
 
Sein Wirken spüren wir schon mächtig: Das Waldsterben leitet die Bewusstseinswende der Menschheit ein. Die Große Grüne Weltrevolution, die erste wahre Revolution auf Erden, weil sie dem Leben dient, ist in unaufhaltsamem Vormarsch, wird die Not wenden, wird siegen und dem Goldenen Friedenszeitalter den Weg bereiten; so tritt zutage der tiefste Inhalt des Helden der Deutschen in einem Worte: Sieg-fried ! Und diese frohe Zukunftsgewissheit wollen wir von diesem Fest auch mit in den Alltag nehmen: Keine Nacht währt ewig, einst wird es wieder Tag - auch für unser leidgeprüftes, zerstückeltes, verblendetes, fremdbeherrschtes und fremdüberflutetes Volk - und diesen Tag mit herbeiführen zu helfen sei unser Feuerschwur !
 
Aus den Tiefen deines Unbewussten bist du, deutsches Volk, aufgerufen zum Wandel von Hödur zu Widar, zum Handeln wie Hagen und Siegfried.
 
Es lebe unser heiliges Deutschland, unser geliebtes Vaterland !
 
Es lebe die göttliche Mutter Erde, die befreit von der Macht- und Profitgier weniger Goldparasiten, wieder Heimstatt werde reiner Luft und reinen Wassers, freier Pflanzen und Tiere, reiner und freier Rassen und Völker.
 
In diesem Sinne: „Flamme empor !“
 
 
Das Welt-Denk-mal zu Worms am Rhein an dem sich das Schicksal des Planeten entscheiden wird.
 
Der Fluch des Goldes, der an allem dem Fluss, der Erde Geraubtem haftet und seine Besitzer zugrunde richtet, wird nur gelöst durch die Rückgabe des Raubes an den Rhein, an die Mutter Erde.