Die 6: Runenform: - Runenlaut: e -
  Runenbedeutung: Das All
 
Die 6 (vgl. Zahl 24) ist eine Symbolzahl des Alls und dessen Gegensatz­ver­ei­nigung, ähnlich der 5-Zahl. Die 6-Form (Sechseck) lebt die Natur vielseitig vor, wie in der hexagonalen Kristallform der Schne­­e­flocken und dem idealen Baustein der sechs­eckigen Bienenwaben. Träger aller lebendigen Gestaltungen unserer Welt ist der Koh­lenstoff, seine Ordnungszahl ist 6. Sein Atom­kern besteht aus je 6 Protonen und Neutronen, die Atomhülle aus 6 Elek­tronen.
 
Abb. 1    
 
 
Im ur-gallogermanischen Kulturraum Mitteleuropas ist das 6-Eck und der or­namentale 6-Zack früh zu finden. Ein siebentausend Jahre alter Kumpf des Kindergrabes von Goseck /Sachsen-Anhalt zeigt bereits das Sechseck (siehe Abb. 1 mit Dekorabrollung). Sechssterne zieren irdene Kultge­fäße der Bandkeramiker im 4. Jt. v.0, besonders schön auf den Kumpfen von Rhein­dürkheim und Rheingewann (Museum Worms). Einen derar­tigen altkret. Siegelabdruck (2000-1700 v.0) und ein besonders schön gear­be­itetes, durch­brochenes Goldblech (Saal XI, Vitrine 151) aus protogeometrischer Pe­riode (1.100-900 v.0) mit jeweils 2 Sternspitzen, die nach oben und unten weisen, zeigt das Archäolog. Museum von Heraklion/Kreta. In der Frühbronzezeit erscheint das Hexagramm als Zierstern von norddt. Gerätschaften und goldenen Schalen. Schließ­lich lässt sich dies Ursymbol auf merowin­gischen Grabfunden, z.B. einer gro­ßen Perle (Starkenburg/Hessen), einer Ge­wandspange (Museum Nordhau­sen) sowie auf sächs. und ags. Fibeln des 5.Jh., nachwei­sen. Die bisher schönsten Funde die­ser Art sind die völkerwan­de­rungszeitl. silberne Schalenfibel aus einem Frauengrab aus Ostbense (Ldkr.-Wit­t­burg/Weser-Ems), mit verflochtenem Sechsstern sowie der allamannische Fingerring von Esch­enz (Schweiz), mit farbigem Glasfluss eines roten und eines grünen Drei­ecks (Polarität: Feu­er-Was­ser), die sich zum Sechsstern zu­sammenfügen; inmitten des roten Dreiecks sind 2 zentrische Sonnenkreise eingelegt.
 
Der germanische Mythos - im eddischen Vafþrúðnismál erzählt - besagt, dass vor der eigentlichen Welterschaffung der Urriese einen sechsköpfigen Sohn gebar. Im germ. Ritus be­hielt die Zahl ihre Bedeutung: Der arab. Reisende Ahmad Ibn Fadlan beschrieb im 10. Jh. die Bestattungssitten der germ. Waräger an der unteren Wolga. Vor dem Lei­ch­en­­brand an Bord eines Schiffes, voll­zo­gen 6 Männer die letzten rituellen Handlungen.
 
Die älteste idg. Religionsurkunde, der Rigveda 2.27, nennt nur 6 hö­here Götter, de­ren Zahl später auf 12 steigt und bald in ein Göttergewimmel aus­wu­chert.In Zarat­hustras Religion gibt es 6 Gotteseigenschaften des Ahura Mazdas („Weiser Herr“, vgl. Yas­na 44): 1. das gute Denken, 2. die Wahrheit, 3. die Herr­schaft, 4. die Füg­sam­keit, 5. das Heilsein, 6. das Nicht-Sterben. Der Pythagoreer Empedokles ging von insge­samt 6 Urgegebenheiten aus: „Feuer, Wasser, Erde und der Luft unend­liche Höhe“; dazu Liebe und Hass bzw. Anziehung und Abstoßung. Das sind die Ur­kräfte, die so wie sie uns bewegen auch die Elementen beeinflussen, - meinte er. Neupytha­goreische und neu­platonische Schulen, namentlich Jamblichos (6.Jh.n.0), mein­ten, die Form des Welt­alls ist die Kugel; Gott konstruierte das Dodekaeder, das Gebilde aus 12 Fünfecken, und beschrieb dann die Kugel darum. Das Weltallmodell des Dode­kaeders hat 60 Ecken. Noch im spätheidn. hochmittelalterl. germ Ritus be­hielt die Zahl ihre Bedeutung: Der arab. Reisende Ahmad Ibn Fadlan beschrieb im 10 Jh. die Bestattungssitten der germ. Waräger an der unteren Wolga. Vor dem Lei­ch­en­­brand an Bord eines Schiffes, voll­zo­gen 6 Männer die letzten rituellen Handlungen. (H.-J. Graf,Orientalische Berichte des Mittelalters über die Germanen, Eine Quellen­sam­mlung, 1971)
 
 
Verwandtschaftlichkeit von 6 und 5
 
 
Die 6-Zahl stellte die ältere, gleichbedeu­tende 5 in den Schatten. Das ist insofern ver­ständlich, als die 5 zahlen­mythologisch zur vollkommeneren 6 hinführt und somit verborgen in ihr west: 1+2+3+4+5=15= QS 6. Auch ist 6 die Zahl des ewigen Kreis­laufs, denn 6-fache Verdoppelung (1-2-4-8-16-32-64) führt in QS von 64 wieder zum Ur­sprung der 1 (1. Rune: o) zurück. Zwei zum 6-Eck ver­schlungene gleich­seitige 3-Ecke, also zum Symbol der vereinigten weiblichen und männlichen Prin­zi­pien, kennt die dem Veda-Glau­ben entwach­sene Hin­dureligion als heiliges Yant­ra. Eben­so ist das Zeichen im gesamten hellenisti­schen Kulturkreis auffindbar, beson­ders in der hermetisch-mystisch­en Tradi­tion bis - wie erwähnt - ins völkerwander­ungs­zeitliche Ger­ma­nien hinein. Seine Be­deu­tung ist klar als Hochzeit von Oben und Unten bzw. Rechts und Links, Erde und Himmel, Geist und Stoff, Feuer und Wasser zu defi­nie­ren. Des­halb war es, vereinzelt bis heute erhalten, in Deutschland ein mittel­alterli­ches Emblem jener Wirtshäuser, welche „Feuer-­Wasser“ (Branntwein) aus­schenken durften. Im Altind. bedeutete es die Vereinigung des schöpf­er­ischen Vishnu-Dreiecks mit dem zerstörerischen Shiva-Dreieck, also die Schöp­fung und Ver­gänglichkeit der materi­ellen Welt. Die alchemistischen Schriften nutzten zur Erklä­rung der Prozesse ­heidn.-antike Gleichnisbilder. Das „Rosarium Philosophorum“ (Erstdruck Frankfurt, 1550), war eines der beliebtesten Bücher dieser Gattung in früher Neuzeit, mit 21 Holz­schnitten. Es zeigt einprägsam im zweiten Bild (Abb. .....) den Sechsstern als Symbol für die „coniunctio Solis et Lunae“, den Hieros-Gamos, also der Vereinigung der Ge­gensätze von Mann und Frau, Bräutigam und Braut, König und Königin, Apollo und Diana, - als Einkleidungen der Urgegensätze.
 
So ist es nur folgerichtig, wenn in den altertümlichsten Tarotspielen (ca. Mitte 15.Jh.), dem „Venezian.-T.“, „Visconti-Sforza-T.“ sowie „Bologna-T.“, die 6. Karte „Die Lieben­den“ oder „Die Liebe“ heißt, während die Karte dieses Namens im „Minchiate v. Flo­renz“ die 5. ist. Da sehen wir wieder jene Ambivalenz und die Austauschbarkeit zwi­sc­h­en 5 und 6. Auch aus dem gezeig­ten Holzschnitt des „Rosarium Philoso­ph­orum“, ein zah­lenmystisches Schlüsselbild ersten Ranges, ist sie herauslesbar: Drei Grund­kräfte vereinigen sich in den Gestal­ten von Männlichem, Weiblichem, dazu dem Geist­vogel der göttlichen Belebungs­kraft. Er und Sie reichen sich einander den Blü­tenstengel mit jeweils zwei Blüten (4 Elemente: zwei männliche, zwei weibliche) zur Kreuz­ung/Mischung entgegen. Der Geistvogel, der aus dem göttlich-vollkommenen Sechs­stern herabfliegt, gibt die seg­nende 5. Blüte (Quinta Essentia) hinzu, damit sich das hexagonale Stengelgebilde der Allvereinigung bilden kann. (C.G. Jung,Die Psy­cho­logie der Übertragung, 1946, S. 78ff) Dieses sich kreuzende Urpaar entspricht dem Bildkürzel der 5. Mannaz-Rune (m  ) ebenso wie beispielsweise dem 6. Blatt des „Vis­conti-Sforza-Tarot“, auf dem sich Mann und Frau die Hände reichen wäh­rend der Vereinigungsgeist (Cupido) über ihnen seinen Pfeil nach dem Liebespaar abschießt. Unmis­sverständliche Aufklärung über den Sym­bolismus um die Gegensatzver­eini­gung, Mensch und Hexagramm bietet auch eine Darstellung in dem alchemi­stischen Werk von Michael Majer „Scrutinium Chymicum“ (geschrieben 1619, Erstdruck Frank­­furt, 1678), das zur Bibliothek der Leopoldina Halle/Saale gehörte, doch (neben 8.000 anderen dort von Russen gestohlenen Werken) zu den kriegbedingten Ver­lusten zählt. Es handelt sich um das „Emblema XXI“, das die Quadratur des Zirkels, die zwei Geschlechter zur Ganzheit zusammen­fassend, zeigt. Das Menschenpaar steht inmitten des Quadrats (Sinnbild der 4 Ele­mente) und des Dreiecks (Vergeis­ti­gung), rundherum wird ein Zirkelschlag der All­vereinigung geführt; dessen Plange­dan­ke sich im linken Bildvordergrund als „Hexa­gramm im Kreis“ verdeutlicht findet. Das „Rosarium Philosophorum“ verspricht: „Ma­che aus Mann und Frau einen runden Kreis und ziehe aus diesem das Viereck und das Dreieck aus. Mache einen runden Kreis, und du wirst den Stein der Philo­sophen haben.“ (C.G. Jung, Psychologie und Alchemie, 1944, S.182f) Wer diese Gedankengänge durchschaut, hat auch die Grund­age der Runenzahlen­ordnung be­griffen, denn die Alchemie benutzte nichts anderes als die Sprachbilder spätantiker Religion. Ihre Ver­ständnis­kon­tinuitäten be­zog sie direkt und bruchlos aus der antiken Alchemie, die sich vom 1.-7. Jh. n.0 da­tieren lässt. Prakti­ziert wurde sie in Tempeln und deren Werkstätten, aber auch von profanen Männern und Frauen. Bereits hier gab es ein gegenseitiges Durch­drin­gen von Theorie und Praxis: man verband den chemisch-technischen Bereich mit einem religiösen Weltbild. Das prak­tische Ziel war die Transmutation („Umwandlung“) un­edler Metalle in Gold oder zu­mindest Sil­ber -, spirituell wurde gleichzeitig die Ver­vollkommnung des Geistes und die Läuterung und der Seele des Alchemisten an­gestrebt.
 
 
Kosmogonie
 
 
Gilt die 6 als runische Rundzahl, dann muss auch die runische Genesis ih­ren Welt­werdeprozess mit 6 Schritten abschließen können:
 
1. (Rune o)    Aus urstofflicher Substanz der Gottheit selbst entstand die viel­namige Mutter Erde, welche alle Geschlechter der Länder gebiert und wieder aufnimmt.
 
2. (Rune d)  Atmosphäre entwickelte sich: Aer (Luft) - jenes Element, welches die Inder Brahman und die Griechen nach Ausweis Epicharmos (5. Jh.v.0.; Fragm. 53) Zeus/Jupiter nannten. Mit ihm, dem Tag­vater, wurden Licht und Fin­s­ternis.
 
3. (Rune ing)    Der Sonnensohn (aind.: männl.), das Himmelsfeuer, begann, seine heilen­den Kräfte auszusenden, um der Welt Wonne zu künden. Nach indogerm. Sichtweise sind Tag und Sonne zwei verschiedene Wesen: Der „Tag“ däm­mert her­auf, dann erst erscheint die Sonne.
 
4. (Rune l)    Der Erde Tochter, die Mondin, wurde geboren, die Herrin der Weltfeuchte. Mit­samt dem aus ihr herabrieselnden Regen fielen die Fruchtbarkeitskeime der Pflan­zensamen zur Erde und riefen Wachstum allen Krautes hervor. „Der Mond ist aus Wasser und Pflanzen zusammengebracht“, sagt der Veda (die iran. Schriften sprechen vom „Pflanzenregen“); der Mond ist die Quelle des Lebens und Beherr­scher der Gewässer. Von ihm kommen Tau und Regen, die zum Saft der Pflanzen werden. Seine eindrucksvollsten, wohltätigsten Manifestationen auf Erden sind 4 große Ströme.
 
5. (Rune m)    Manu/Mannaz/Mannus, der doppelgeschlechtliche Urmensch nach dem Grundbild der kos­mischen Urkraft, hervorgegangen aus den Wassern, zerfiel in seine Teilwesenheiten Mann und Männin; nach der Edda wurden sie Asker und Embla geheißen.
 
6. (Rune e)    Niemals kann in dieser Welt etwas geschaffen sein, bevor nicht der Gedan­ke davon vorhanden war, so lehrte Platon. Deshalb muss das Musterbild, al­so die Planidee vom Menschen (dem empfin­dungsfähigen, vernünftigen, sterb­lichen Lebewesen), am Anfang ste­hen. Nachgeordnet, an 6. Stelle, folgt mit dem stellvertretenden Ross (edelster und hilfreichster Gefährte des Menschen), die ir­dische Tierweltentwicklung.
 
Zwar signalisierte der Runenschöpfer erkennbar, dass 5 und 6 un­tereinander aus­tauschbar sind, und doch setzte er ganz bewusst das Ross auf die 6. und nicht auf die 5. Wer­destufe des gegensatzvereinten Urmenschen. Seine Be­weg­gründe sowohl für die Deutlich­machung der Austauschbarkeit wie auch für die von ihm fest­gelegte Reihenfolge könnten zusätzlich von indogerm. Urmythen bestimmt gewesen sein. Die Veden lassen aus den Wassern (Rune l  ) den Urmenschen (Rune m) geradeso wie das Ross (Rune e  ) entstehen. Beide wurden als kosmogonische Gleichnisbilder verwendet. Die Kör­per­teile des Urmenschen beschrieb man ebenso als Bausteine der Welt wie die des Rosses. Das Pferde­opfer (Asvamedha), mochte es noch so heilig sein, musste hinter dem noch erhabeneren Symbol des Gott-Menschenopfers (Purushamedha) zurück­treten. Bei allen vedischen Aufzeichnungen führt der Mensch die Reihe an, unmit­telbar gefolgt von der Ross-Allegorie. Ein weiterer Grund aber ist der ethisch gar nicht hoch genug zu veranschlagende Veda-Mythos von der Entstehung der Tie­re. Die Tiere sind hier nicht jene fremden, schlecht gelungenen, deshalb auch leicht zu verwerfenden „Probestücke“ der Entwicklung, die zur „Krone der Schöpf­ung Mensch“ füh­ren, son­dern der Urmensch selbst, als personifizierte Idee sterblichen Lebens, er­schafft seine Menschenkinder ebenso, wie er in einem spie­lerischen An­flug die gan­ze bunte Welt der Mitgeschöpfe hervor­bringt, die der Mensch also als seine ei­genen - wenn auch unvollkommeneren - Kinder an­sehen darf.
 
Solch eine Perspektive, von hohem pädagogischem Wert, könnte schon zum Grund­verständnis eines ehrwürdigen Verhältnisses zwischen Menschen und Tieren ver­hel­fen. Nach dem Rigveda (10. 90,10) folgten als erste Geschöpfe nach Erzeu­gung des Menschen­paares Stute und Hengst. Darüber hinaus galt das Ross schon ur-id­g. als heiliges Tier der Licht­got­theit und von gleicher Sub­stanz wie des Schöpferherrn Pra­japati eigene Natur (Sa­­ta­patha Brahmana 13.1,1,1). Ent­sprechend der göttlichen Raum-Zeit-Identität musste der Runenvater in der Gesamtheit seiner 24 (bzw. keim­haft quer­summen-ver­dich­te­ten 6 Kosmosele­mente das geistige Bild des rasenden galakti­schen Hen­gstes (Rune e ) gesehen haben, wie er schon im bronzezeitl.-skand. Fels­bildgut als son­nen-zeit-spi­raliges Allross erscheint.