Copyright Ⓒ Gerhard Hess / September 2020
 
„Der Narr“ in einem Tarot des 15. Jhs., Norditalien
 
DER NARR IM TAROT
 
Des Gottes Thot Orakelblatt
macht Fragesteller seltsam satt,
der Ibis soll es wissen
was Menschenhirne missen.
 
Der Karten zweimal zehn und zwei,
da ist ein Alphabet dabei,
als wärs der Juden Fanum;
begreifst du das Arkanum ? 
 
Die Null kann keine Ziffer sein,
als Narr springt sie ins Spiel hinein,
mag nicht dazugehören,
doch gerne etwas stören.
 
Ein Narr ist alleweil ein Tor,
trägt beiderseits sein Eselsohr,
am Judenhut, dem gelben,
mit Kugel auf demselben.
 
Ein echter Jude ist er nicht,
gibt einem Sinnbild das Gesicht,
für seiner Wege Irrungen
und geistiger Verwirrungen.
 
Es hängt am Tand der arme Tropf,
rasselnd mit dem Schellenzopf,
sein Narrentum macht Freude,
dass er die Zeit vergeude.
 
Und seine Kinder bei ihm stehn,
die ihn als ihr Idol ansehn,
sie sammeln puren Plunder
und wähnen darin Wunder.
 
Sie lesen Steine aus dem Feld,
das Irdische ist ihre Welt,
sie suchen nichts als Pfründe,
das führt sie an Abgründe.
 
Wohlleben, Wollust, Goldgewinn
beherrschen eines Narren Sinn;
ein Geldbeutel am Schulterstecken,
wird keine Tugenden erwecken.
 
Wer nur im Materiellen lebt,
nie nach höheren Werten strebt,
der steht nach irdischem Wallen
am Abgrund und muss fallen !
 
Beide weltdeutende Sinnbildsysteme, das TAROT und das ODING, sind beide aus sehr alten, aus antiken Zeiten auf uns gekommen. Doch während das Tarot aus ursprünglich orientalischen Überlieferungen herrührend, auch mittelalterlich-christliche Überarbeitungen erfuhr, ist das Runen-Oding in originaler Reinheit bewahrt geblieben. In mehreren Sprachen (u. a. Französisch, Englisch, Spanisch) wird das Wort Tarot auch heute sowohl für die Wahrsage- wie auch für die Tarockspielkarten benutzt. Über die Herkunft des Begriffs Tarot sind viele letztlich ergebnislose Überlegungen angestellt worden, eine Möglichkeit ist seine Entstehung aus den Orakelblättern des altägyptischen ibisköpfigen Mond- und Schreibergottes Thot/Tahuti, der die Weisheit der Magie, aller Wissenschaften und Künste, sowie des Kalenders erfand. Der Ibis ist mit dem altdeutschen, im 17. Jh. ausgestorbenen Waldrapp (Waldraben) verwandt. Möglicherweise gehörte auch er zu Wodans Attributtieren ? Dafür gibt es einen Anhaltspunkt: Der zweiseitig geprägte Goldbrakteat von Tunaland/Uppland/Schweden, aus dem 4. Jh., zeigt das Odin‘sche Gotteshaupt, das im Gestaltenwandel aus einem Vogelbalg hervorgeht, beim Vogeltypus könnte es sich um den gänsegroßen Waldrapp handeln, wie der gekrümmte Schnabel und der lange Hals, mit dem Nackenkamm, ihn ausweisen könnte. Thot galt als der Schreiber des Osiris, war der Protokollant des Totengerichts, notierte also, ob die Verstorbenen würdig sind, in das Reich der Wiederkehr beziehungsweise in das Totenreich aufgenommen zu werden. Wir sehen, wie eng die mythologischen Vorstellungen beisammen sind, mit dem Psychopompos Hermes-Mercurius-Wodan, besonders letzterem als germanischem Schrifterfindergott. Und tatsächlich, Thot wurde in der griechischen Mythologie mit Hermes gleichgesetzt und schließlich in hellenistischer Epoche zum „Hermes Trismegistos“ (Dreimalgrößter) verschmolzen. Und als nichts anderes wird Wodan im Oding-Ring vorgestellt, nämlich als 21-er (3X7). In Platons Dialog „Phaidros“ (274c-275a) erwähnt der Ketzer-Philosoph Sokrates den ägyptischen „Gott Theuth“ und dessen Schrifterfindung. Der französische Schriftsteller Cout de Gébelin behauptete 1781 in seinem Werk „Monde primitif“, die mythischen Bilder des Tarot-de-Marseille gingen auf ägyptische Papyrusrollen zurück, die beim Brand der alten Alexandrinischen Bibliothek als einziges Werk gerettet worden seien. Fest steht, dass fahrendes Volk orientalisches Gedankengut nach Europa brachte. Zigeunerinnen aus der Provence nutzten die Karten für ihre Wahrsagekünste. Ein katholischer Priester, Alphonse Louis Constant, er schrieb unter dem Pseudonym Eliphas Levi, meinte, nicht die Ägypter, vielmehr die Hebräer hätten den Tarot erfunden, was nicht überraschen kann, wo zur Zeit des Hellenismus der ägyptischen Diadochenzeit, unter den Ptolemäern, das Schreibwesen in der Metropole Alexandria fast ganz in hebräischen Händen lag, weil sie sich den Nachfolgern des Eroberers Alexanders des Großen, als joviale Verwaltungsgehilfen angeboten hatten. 
 
Der orientalische Ursprung der ersten italienischen Blätter, zum Ende des 14. Jahrhunderts, ist nicht zu leugnen. Valentina Visconti (1366-1408) war es, die blondschöne Tochter des Herzogs von Mailand, vermählt mit dem französischen Herzog Ludwig von Orléans, die ein Tarotblatt ihrer Familie an den Pariser Hof brachte. Man warf ihr vor, sie trage eine Mitschuld an der zunehmenden geistigen Verwirrung ihres Schwagers, des französischen Königs Karl/Charles VI., dem der Maler Jacquemin Gringonneure im Jahre 1392 drei Kartenspiele anfertigte. Man nahm lange an, um diese Blätter handele es sich, die heute in der Bibliothèque Nationale in Paris aufbewahrt werden, doch man vermutet diese jetzt aus Ende 14. Jhs. und glaubt, sie würden aus Venedig stammen. Oberitalien bleibt also der Brückenkopf des Eindringens der Kartenleidenschaft nach Europa. Der früheste gesicherte Nachweis über die Existenz von Tarotkarten bleibt bei Mailand, aus der ersten Hälfte des 15. Jhs., als Herzog Filipo Visconti (1392-1447) aufwendig gemalte Spielkarten erwarb, die sog. „Visconti-Spiele“ und das „Visconti-Sforza-Tarot“. Schon bald wetterten die Geistlichen gegen das „gottlose Spiel“, die ausbrechende Kartenspielleidenschaft und die damit einhergehende Wahrsagerei. Ein Bischof beschimpfte die Karten als das „Gebetsbuch des Teufels“ und auf dem Nürnberger Hauptmarkt wurden sie vom heiliggesprochenen welschen Franziskanermönch Giovanni Capistran, den man auch „Geißel der Hebräer“ nannte, im Jahre 1452 öffentlich verbrannt. Das wiederholte er am 17.06.1453 in Göttingen, wo gleichzeitig durch den Dominikanermönch und päpstlichen Beauftragten Fridericus Molitor zwei Ketzer, nach vorrausgegangenem Verhör und Disputation, gleich mitverbrannt worden sind.
 
Die tarotische sog. „Kleinen Arkana“ (kleines Geheimnis) bestehen aus 56 Farbkarten, 10 Zahlen und 4 Bildkarten in jeweils 4 Farben (z. B. Stäbe, Münzen, Kelche und Schwerter). Bei den Zahlen 5 u. 6 handelt es sich um die beiden letztlich identischen Welttotalitäts-Sinnbilder der Zahlenmythologie, die in ihrer Quersumme (QS) 11 bzw. 2 zum urgebärenden Zwitter mutiert. Das Tarot des „Großen Arkana“ umfasst einen Satz von 78 Orakelkarten. 7+8=15 mit QS 6, der Zahl der Weltgesammtheit. Im Oding-System steht die 7 für die Weltenmutter und die 8 für den Himmelsvater. Die gleichen zahlenmythologischen Grundverständnisse werden sichtbar. Die tarotische Einteilung der „großen Arkana“ (Geheimnis), von 22 Trümpfen, unter der Nummerierung von 0 bis 21, lässt auf hebräische Beeinflussung schließen, denn die 22 Karten stehen in der Tradition des 22-er des hebräischen Konsonantenalphabets. Nach jüdischen mythologischen Vorstellungen zeigt sich, oder emaniert, der jüdische Stammesgott JHWH-Jahwe-Jehova. Schließlich wurde jede Aussage über dieses Gottesbild mit den 22 Buchstaben verfasst. Im diametralen Gegensatz dazu ist für die germanische Oding-Mystik die Zahl 22 eine Teufelschiffre, unter dem Begriff des Thursen. Die 22. Oding-Rune ist der Thurse, im Zeichen des satanischen Skorpions am Himmel, steht er am Winterbeginn. Der dämonische Riese, in Alpenländern Türst geheißen, gilt - noch aus Heidenzeiten - als der große antigöttliche Widersacher. Im Luzerner Hinterland wird er als „höllischer Jäger“ bezeichnet, vor dem sich die Menschen an stürmischen, von Unwetter begleiteten Jahreszeiten hüten sollten. In der Gegend um den Pilatus  wird erzählt, dass der Türst ein Gespenst sei das den Bauern Schaden zufügt, die ihn begleitenden Hunde laufen auf nur drei Beinen. In Ettiswil ließ man die Tennstore offen, weil man Bedenken trug, der Türst würde sie einreißen. Galt in germ. Heidenzeiten der Wettergott Donar-Thor als der starke Bezwinger der riesischen Unholde und Gott Wodan als der große Heilzauberer, verkehrte sich unter kirchenchristlichem Einfluss diese Sichtweise, so dass der Türst jetzt als niemand anders gilt als der heidnische Wodan, der Beherrscher der Lüfte, der sich zur selbigen Zeit als Jäger unter die Menschen gesellt und die Wälder des Santenberges nach Wild durchstreift. Im Hügelzug des Santenbergs, im Schweizer Kanton Luzern, will der sagenhafte Türst, mit seinen zahlreichen Kobolden, die Jäger auf Biegen und Brechen daran zu hindern, das sagenhafte Einhorn zu fangen oder zu erlegen.
 
ÜBERSICHT - TAROT und ODING:
 
1. = Der Magier - odalan-Odal-Rune, die Ur-Magie
2. = Die Hohepriesterin - dagaz-Tag-Rune, die Lichtwerdung 
3. = Die Herrscherin - inwaz-Ing-Rune, das Himmelskind, die junge Sonne
4. = Der Herrscher - laguz-Lagu-Lauka-Rune, die Heilkraft
5. = Der Hierophant - mannaz-Mannus-Rune, der Urmensch/Logos
6. = Die Liebenden - ehwaz-Ross-Rune, des Gottesverständnisses
7. = Der Wagen - berkanan-Birken-Rune, die Göttin
8. = Die Gerechtigkeit - tiwaz-Tiu-Thingsus-Rune, der Gerichtsherr
9. = Der Eremit - sowilo-Sonnen-Rune, die erblühte Sonne
10. = Das Rad des Schicksals - algiz-Rune, der Alken-Elchbrüder (Dioskuren)
11. = Die Kraft - pertho-Peratha-Rune, die Mutter/Gebärerin
12. = Der Gehängte - iwaz-Eiben-Weltbaum-Rune, an der Odin im Selbstopfer hing  
13. = Der Tod - jeran-Jahr-Rune (SSW), der Abstieg beginnt
14. = Die Mäßigkeit - isaz-Eis-Rune, das Vergänglichkeitsgedenken
15. = Der Teufel - naudiz-Not-Notwendigkeits-Rune
16. = Der Turm - haglaz-Hagel/Heil-Rune (Schutz vor Hagel)
17. = Der Stern - wunjo-Wonne-Rune, das Glück (Glücksstern)
18. = Der Mond - gebo-Gaben-Rune, der Erntezeit (die Mondspende)
19. = Die Sonne - kinaz-Kienspan-Rune, der Herbstgleiche (Fackel, die künstliche Sonne)
20. = Das Gericht - raido-Wagen-Rune (Rhadamant, der Unterweltsrichter ?)
21. = Die Welt - ansuz-Asen-Rune, Wodan, der Weltgeist u. Zaubermeister
22./ 0 = Der Narr - thurisaz-Thursen-Rune, der dämonische Troll
 
Ich schenke mir die Mühe, die 22 Karten-Sinnbilder, Stück für Stück, mit den 24 Runen-Sinnbildern zu vergleichen. Ich führe sie nur zur groben Betrachtung auf. Ins Auge springt aber unvermeidlich die 21. Tarotkarte, „Die Welt“, sie meint das Universum und sei dem Saturn zugeordnet, was wieder auf den hebräischen Einfluss hinweist. Das ausgerechnet der greisenhafte, bleigraue, kalte, sonnenferne Planet, der als von Zeus in die Unterwelt verbannte Titan, auch als Herr der Schätze fungierte, der Weltenherr sein soll, entspricht jüdischer Sichtweise der Sabbatheiligung (hebräisch: Shabbathai) und auch der gestrenge Jehova ist als Saturn gedeutet worden. Im englischen Tagesbegriff Saturday für Samstag ist der Bezug auf den Planeten Saturn noch heraushörbar. Die Griechen/Römer setzten den Saturn dem Titan Kronos gleich und die mittelalterliche Astrologie malte ihn traditionell mit einer Sichel/Sense und dem Stundenglas, woraus sich die Kennzeichen des Todes ableiten. Er steht für Unglück: Sorgen, Melancholie, Krankheiten und harte Arbeit, jedoch auch für strenge Ordnung und Maß. Dem Bild des „Guten, lieben Gottes“ entspricht er auf diese Weise keinesfalls. Das isländische Runengedicht bezeichnet, ebenso wie das Oding - obwohl zumindest ein halbes Jahrtausend zwischen ihren Aufzeichnungen liegen - den Saturn als Thursen, also Unhold und Antigott. Die Überlieferung des altisländischen Runen-Gedichts verteilt sich auf vier Manuskripte der „Arnamagnäanischen Handschriftensammlung“, die in Kopenhagen unter Signatur „AM 413 fol“ aufbewahrt werden. Ihre ältesten Teile gehen auf das 15. Jh. zurück. Das Isländische Runengedicht nennt den Asen Wodan „Alten Vater“ und „Asgards Anführer“ und „Herrscher Walhalls“ und „Jupiter“ und „Spitzen-Führer“. Den Thursen (dämonischer Troll) aber nennt es „Qual der Frauen“ und „Felsenbewohner“ und „Ehemann Vardhrúnas [Wachrune: Name einer Riesin]“ und „Saturn“ und erstaunlicherweise „Führer des Things“, vielleicht wegen der saturnischen Ordnungsstrenge.
 
„Der Narr“
 
„Der Narr“ im Tarot wird in den üblichen Tarot-Erklärungen seltsam unvollkommen gedeutet und zwar auch im Widerspruch zu den Tarot-Kartenbildern. Eigentlich handelt es sich um sie 22. Karte, als die sie auf einigen Varianten auch bezeichnet wird, aber da ein Narr nullundnichtig zu sein hat gilt sie als Null. Die Spiel-Karte „der Narr“ galt historisch teilweise sowohl als höchster Trumpf, ebenso auch als eine niedrigwertige Karte. Dem Narren wird das Element Luft zugeordnet, sowie der 1. hebräische Buchstabe „Aleph“ (Rind). Er symbolisiert als Narr die jugendliche Unwissenheit und Unbekümmertheit, das sorglose Ins-Leben-Hineintreten. Doch der Hinweis auf seinen Epikureismus, sein geiles Luststreben, kommt in den Erklärungen zu kurz. Es gibt Blätter auf denen eine Katze von hinten nach seinem Gemächte krallt, oder zumindest ihm die Hosen aufreißt, um sein Geschlecht bloßzulegen, wie im „Tarot de Marseille“, Paris ca. 1650. Der Narr im sog. „Tarot von Charles VI.“, des 15. Jh. aus Norditalien, dessen Herkunft ungeklärt bleibt (siehe Abbildung), wird durch die knappen Unterhosen als Wollüstling gekennzeichnet. Die Christenkirche legte besonderen, nachdrücklichen Wert auf die Verurteilung der Sinnenlust (lat.: luxuria), die sie bekanntlich sogar unter die „Sieben Todsünden“ rechnete. Um seine Nähe zum Laster der Fleischlichkeit abzubilden wird ein Narr halb nackt bzw. mit unzureichender Kleidung dargestellt. Er zeigt damit, dass er sich der fleischlichen Liebe verschrieben hat. Bezogen auf die Bibel ist Nacktheit ein Sinnzeichen für Ehrlosigkeit und Verworfenheit und ein äußeres Zeichen der Abkehr des Menschen von Gott, vom Bibelgott !
 
Bis ins 16. Jh. betrachtete man als weiteres typisches Narrenmerkmal, das kurzgeschnittene Oberteil, mit gezackten oder gefransten Enden, was auf die Unstetigkeit des Narren hinweisen sollte. Auch die Glöckchen, die Schellen gehören dazu, denn der Narr macht für gewöhnlich viel Lärm um nichts. Der Narr auf unserer obigen Abbildung lärmt mit seinem Schellenband von 14 Glöckchen. Im Tarot trägt die 14. Karte den Begriff „Die Mäßigkeit“ und soll das Maßhalten bedeuten, doch das Lärmen mit 14 Glöckchen ist eher unmäßig und als närrisches Gespreize des Auffallenwollens, um jeden Preis, eher unziemlich. In der QS wird die 14 zur 5 - unterstrichen von den 5 menschlichen Gestalten der Karte - also zum tarotischen „Hierophanten“. Es handelt sich um die Zahl des Menschen (5. Rune = Mannaz/Mannus). Ganz unzweifelhaft dürfen Gottesgeist und der daran Anteil habende Menschengeist als die „quinta essentia“, wörtlich „fünftes Seiendes“, über den vier Elementen der unbelebten Natur betrachtet werden. Erhebt sich der Mensch nicht über den Status von Elementen (Erde, Wasser, Luft, Feuer), bleibt er so unvernünftig wie diese. Die vier „Narrenkinder“, die ihm zu seinen Füßen huldigen, ihn förmlich anbeten, sammeln wertlose Steine vom Feld, als seien es Edelsteine. Geradeso benehmen sich so gut wie alle Menschen, sie jagen nichtigem Tand nach, ohne geistige Schätze sammeln zu wollen und ohne auf die Höhergestaltung ihrer „unsterblichen Seele“ zu achten, was wieder ganz dem kirchlichen Duktus entspricht. Doch das 5. Tarotblatt ist „Der Hierophant, oder auch Papst, er soll den Willen Gottes repräsentieren und dessen Auslegung auf der Erde. Der göttliche Aspekt kann als Offenbarung oder auch Erleuchtung gedeutet werden. Im Extrem können die Eigenschaften des Hierophanten bis hin zur Intoleranz oder gar Anmaßung reichen“, heißt es. Durch diese zahlenmythologische Aussage wurde - zumindest von Seiten des lombardischen Kartenmalers - der wollüstige, die Willkürgesetze des Bibelgottes ablehnende „Narr“ zur geheimen menschlichen Norm stilisiert. Wir sehen, wie vielschichtig das Tarot unter seiner Oberfläche sein kann.
 
Schon die Antike, wie auch die Kirchenväter, unterstellten dem Esel Dummheit und Geilheit, so dass noch Hildegard v. Bingen den Genuss von Eselsfleisch strikt ablehnte, weil das Tier von Geilheit und Dummheit beherrscht sei. Ein deutsches Sprichwort meint: „Er ist voller Wollust, wie der Esel voller Fürze“. So ist es nicht verwunderlich, dass auf den Narrenabbildungen oft Eselsohren zu sehen sind, wie es auch bei der bezeichneten spätmittelalterlichen Narren-Abbildung der Fall ist. Auch sein Judenhut, mit dem Knauf, verwundert nicht, wurden den Juden seitens der Kirche ähnliche Untugenden wie dem Esel unterstellt. Juden galten als unwissende, irregeleitete Menschen, die nichts von Christus gehört haben oder hören wollen. Bereits der aus reichem jüdischen Elternhaus stammende Konvertit Hermann von Köln (1107-1181), der auch bezeichnet wurde als Hermann von Scheda und „Hermannus quondam Iudaeus“, zeichnete ein negatives Judenbild in seiner Bekehrungsgeschichte. Gegen 1130 half er Bischof Ekbert von Münster in Mainz mit einem Darlehen aus. Hermann wurde erster Probst (Vorsteher) eines neu gegründeten Klosters in Scheda an der Ruhr/Sauerland. Ähnlich vorwurfsvoll ließ sich später der jüdische Konvertit Joseph/Johannes Pfefferkorn (1469-1521) aus, der antijüdische Schriften verfasste und die Verbrennung des Talmud empfahl, worin ihm der deutsche Humanist Johannes Reuchlin (1455-1522) heftig, auch in schriftlicher Form, widersprach. Pfefferkorn veröffentlichte, mit Unterstützung der Kölner Dominikaner, des päpstlichen Inquisitors Jakob van Hoogstraten (1460-1527) und der „Pariser Universität“, seine Schmähschriften: „Judenspiegel“, „Judenbeicht“, sowie „Judenfeind“. Die negative Beurteilung des Juden ist allerding keine christenkirchliche Erfindung, sie geht vielmehr auf die Antike zurück, schon der griechische Historiker und Schriftsteller Plutarch (45-125) gibt in seinem Werk „De Iside et Osiride“ ein unschönes Bild. Der Judaios sei ein Kind des Dämons Typhon-Seth, das er mit einer Eselin gezeugt hätte. Natürlich verstärkte die Kirche ihre antijüdische Haltung wegen des angeblichen Mordes an ihrer zum Gottessohn erhobenen Hauptfigur, dem galiläischen „Tekton“ (Zimmermann) Jeschuha bzw. „Jesus Christus“, der auf einem Esel in Jerusalem einritt (Matthäus, 21,1-22).
 
Der Judenhut des Narren muss keinen wahren Juden bezeichnen, vielmehr ist er ein Symbol für die dem Judentum zugeschriebenen Unarten. Der Judenhut, mit der in einer beknauften Spitze endenden, breitkrempigen Form, gehört zur selbstgewählten jüdischen Tracht, welche ab dem 13. Jh. in manchen Regionen dann behördlich vorgeschrieben worden ist. Beim Narrenbild im „Tarot von Charles VI.“ sind die Eselsohren mit dem Judenhut fest verbunden, sie wachsen aus ihm heraus. Das Judentum, in seiner Mehrheit, war immer darauf bedacht, seine, sich von der übrigen Masse abgrenzende Besonderheit, zur Schau zu stellen, auch durch Auftreten und Kleidung. So trug eine Rabbinerversammlung im Rheinland, zu Anfang des 13. Jahrhunderts, ausdrücklich als „Tagganot“ (bindende Verordnung) die religiöse Pflicht auf, Haar und Bart in „jüdischer Fasson“ zu tragen und „keinesfalls christliche Barttracht zu imitieren.“ Erst unter Papst Innozenz III. wies das „Vierte Lateralkonzil“ von 1215, das bedeutendste des Mittelalters, die Behörden an, Juden und Muslime zum kennzeichnenden Tragen eines Zeichens, damit man diese nichtchristlichen Bevölkerungsgruppen sogleich erkennen könne. Kirchliche Konzilien mahnten in der Folgezeit mehrfach diese Einhaltung an. Seitdem erst war auch eine Bestrafungsart möglich, die das zwangsweise Tragen des Judenhuts gegen nicht-jüdische Bürger anordnen konnte, nämlich bei Wucher oder intimer Beziehung zwischen Juden und Christen. Im großdeutschen Raum, also auch in der norditalienischen Lombardei (wo das besprochene Tarotblatt entstand), trugen Juden noch bis ins 15. Jahrhundert überwiegend ihre traditionelle Kleidung und insbesondere ihren Judenhut. Im kirchlich bearbeiteten Bild vom „jüdischen Narren“ schlechthin, wie demjenigen im Tarotblatt, musste sich die verengte christlich-fanatische Auffassung vom „trotzig-ungläubigen Antichristen“ niederschlagen, der die Gnaden- und Erlösungsangebote der „alleinseligmachenden Kirche“ verschmähend, so er ohne Reue und Taufe verharre, nach seiner Erdenwanderung, allein mit dem Absturz in die höllischen Abgründe zu rechnen habe. Dieser, vor dem Schritt des Narren sich auftuende Abgrund, ist von mehreren Tarotbild-Gestaltern dargestellt worden. Die heutigen dazu angebotenen Erläuterungen, wie, „der Narr steht für das Kindliche und das Weltoffene“, treffen den Kern des Sinnbildes jedenfalls unzureichend. Man liest beispielsweise: „Mut, Furchtlosigkeit, Narrenfreiheit“, „der Narr tanzt ausgelassen in den neuen Tag“, „Neugierde, Weltoffenheit, Spontaneität“, „der Narr im Tarot ist ein unschuldiger Geist“, oder es heißt: „Unbekümmert umschifft der Narr die Hürden des Lebens. Sein untrüglicher Instinkt schützt ihn vor Gefahren. Erscheint der Narr im Tarot, geht es nicht um Rationalität oder Vorschriften. Treuherzig macht er sich auf den Weg, um sich seinem Ziel spielerisch anzunähern. Der Narr zeigt uns das innere Kind und lehrt uns selbstironischen Humor.“ Der Narr wird in solcherlei Wendungen wie Parsifal beschrieben, der, vom unwissenden Jüngling im Narrengewand, über einen gefahrvollen, läuternden Weg der Bewährungsproben, zum Gralskönig emporsteigt. Diese Interpretationen sind aber ins Narrenbild frei hineinprojiziert. Denkbar wären sie durchaus, wenn sich der Narr zum Nichtmehrnarr bekehren könnte, dann hätte er sein Narrentum überwunden, dann wäre er aber kein Narr mehr, d.h. er entspräche der festgelegten Metapher nicht mehr.