NEUDEUTSCHE ERMAHNUNG
 
Üb‘ immer Treu und Redlichkeit
Du bis ans kühle Grab,
Dann bringst du’s sicher nimmer weit,
Denn das wirft gar nichts ab.
 
Drum denke stets an den Profit
Und ramsche tüchtig ein,
Nimm auch das kleinste ruhig mit,
Wie auch die Leute schrei‘n.
 
Es ist nicht gut, dass du reell,
Du wärst ein großer Tor !
Denn gerbst du andern nicht das Fell,
Hau‘n sie dich übers Ohr.
 
Beschränkt und dumm die Welt heut‘ nennt,
Wer ehrlich treu und wahr.
Hab acht, dass man dies Kompliment,
Dir auch nicht mache gar.
 
Drum üb‘ nie Treu und Redlichkeit,
Da kriegst du nie genug,
Und merke dir für alle Zeit
Mein Sohn hier diesen Spruch:
 
„Das ist ein dämliches Gebot,
Ehrlich und treu ins Grab.
Nur, wer ein echter Idiot,
Weicht nie vom Wege ab !"
 
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DER DEUTSCHE MICHEL
 
Die Mütz über’m Ohre,
Das Pfeifchen in Glut,
Sitzt schmunzelnd am Ofen
Der Michel und ruht.
Und lässt sich nicht stören,
Ob’s braust und ob’s schäumt,
Er lächelt behaglich –
Und träumt und träumt.
 
Mag noch so laut krähen
Der gallische Hahn,
Die englische Dogge
Frech kläffend sich nahn,
Die gern aus dem Wege
Ihn längst schon geräumt.
Er lässt sie spektakeln –
Und träumt und träumt.
 
Kommt man nicht zu nah ihm,
Stört nicht seine Ruh,
Kann sonst was geschehen,
Er sieht neidlos zu,
Und hat darum häufig
Sein Vorteil versäumt.
Er kann nie schnell handeln –
Und träumt und träumt.
 
Doch wenn’s ihm zu bunt wird,
Sein Zorn mal entfacht,
Dann fährt er dazwischen,
Dass’s splittert und kracht.
Dann zeigt seine Kräfte,
Er, der sonst nur träumt.
Da wird ganz gehörig
Dann aufgeräumt !
 
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DER WEISSE HIRSCH
 
Es gingen drei Jäger wohl auf die Birsch,
Sie wollten erjagen den weißen Hirsch.
 
Und als sie sich müde gesucht im Wald,
Da machten sie unter 'ner Eiche Halt.
 
Da sprach der erste: „Mir fällt etwas ein,
Kommt Freunde, wir gründen 'nen Jagdverein !“
 
Der zweite sprach  darauf: „Wohlauf und wohlan,
Lasst uns die Ämter verteilen sodann !“
 
Und schließlich der dritte: „Ich halt es für‘s best,
Wir legen auch gleich die Statuten fest !“
 
Und als sie mit alledem just zu End,
Da rannte der Hirsch vorbei gar behend.
 
Dumm guckten und standen verblüfft da die drei:
„Hoch lebe die deutsche Vereinsmeierei !“
 
Verfasser unbekannt (aus 19. Jahrhundert)