Rentner Bernhard Jonas, 1872
 
JONAS IM „KÖGLER“
 
In Wiesbaden gibt’s ein Weinlokal,
das älteste am Plätzchen,
da wird im Glas kein Tropfen schal,
wohl auch kein feines Schätzchen.
 
Der Rheinwein perlt in Gläser rein
und schäumt die Kehlen runter,
die Welt verklärt sein goldner Schein,
wer würde da nicht munter ?!
 
Das Weh und Ach der bösen Welt,
vergisst der Gast beim Schöppchen,
das allzeit sein Versprechen hält,
denn Sorgen tilgt ein Tröpfchen.
 
Beim „Kögler“ in der „Grabegass“,
verbracht‘ ich frohe Stunden,
half auszuleeren manches Fass,
ließ auch den Schmaus mir munden.
 
Schon Dostojewski saß hier gern
und Rentner Jonas ebenso -;
man war sich gut, von nah und fern,
kein Weingenießer wird je roh.
 
Das Trinken stimmt die Leute lind,
sie schwätzen und sie lallen,
nicht einer ist auf Streit gesinnt,
so mag die Welt gefallen.
 
Im Rathauskeller an der Wand,
stand sinnvoll einst zu lesen,
ein Spruch für alle Zeit und Land,
dran könnt‘ die Welt genesen:
 
„Ob Heide, Jud’, ob Christ“
herein was durstig ist !“
 
Die Historie des Wiesbadener „Weinhaus Kögler“ besagt, dass in den Jahren zwischen 1715 und 1724 die ersten Häuser in der Grabenstraße gebaut wurden, wo auch besagte Weinstube heute unter Denkmalschutz steht. Der Name der Straße entstand aus dem Umstand, dass sich ein Wassergraben entlang der Straße zog. Unter der gesamten Wiesbadener Altstadt befinden sich die 67 Grad heißen Thermalquellen, aus denen die Brunnen, die in der Altstadt sprudeln, gespeist werden; in der Grabenstraße ist dies der „Bäckerbrunnen“. Schon die germanischen Mattiaker, ein Teilstamm der Chatten, nutzen die heißen Heilquellen. Die römischen Eindringlinge und Besatzer nannten die Siedlung auf Wiesbadener Stadtgebiet „Aquae Mattiacorum“ (Wasser der Mattiaker), aus der „Wisibadi“, das Bad in den Wiesen hervorging. Früh erkannte man die Vorzüge der Quellen, deren Wasser heute noch zum Kuren bei Erkrankungen der Atemwege und für Rheumakliniken die Thermalbäder genutzt werden. Zum Kuren gehörte seit eh und je das Genießen der diversen köstlichen Rheingauer Weinlagen. So war der Wiesbadener Schankbetrieb ebenso von Bedeutung wie die Gesundheitssorge.
 
Im Jahre 1888 wurde die traditionelle „Weinstube Kögler“ von Konrad Knetsch und seiner Frau, einer Schwester von Peter Kögler, wiedereröffnet. Später übernahm Peter Kögler das Lokal und übergab es seinem Sohn Karl und dessen Ehefrau Linda. Karl Kögler verstarb 1948 in Gefangenschaft, sodass das Lokal seitdem immer verpachtet wurde. Lina Kögler verstarb im Alter von 83 Jahren. Sie erzählte immer, dass die Stammgäste schon zum Frühstück kamen und „Wurst, Weck und Wein“ verzehrten. Alles wurde auf einer Schiefertafel angeschrieben und es war Brauch, dass nach dem 12. Glas Wein ein Shoppen gratis ausgeschenkt wurde gemäß dem Motto: „Goldner Wein ist reine Medizin“. Der prominenteste Gast, der russische Dichter Dostojewski, verbrachte hier seinerzeit viele gemütliche Stunden. Er erwähnte das Weinhaus Kögler in seinem Roman „Der Spieler“. Auch der Rentner Bernhard Jonas aus Wiesbaden, den die obige Zeichnung von 1872 darstellt, saß gern und oft beim „Kögler“. Ein Spruch von ihm muss gewesen sein: „Wie geht’s draußen, gewonnen oder verloren.“ Ob sich der Satz auf die große oder kleine Politik oder auf die Aktienkurse bezog, bleibt unbekannt.
 
Der in Wiesbaden wirkende Maler Kaspar Kögler (1838-1923) erhielt den Auftrag zur Ausmalung des Wiesbadener Ratskellers. Er entstammte einer hessischen Bauernfamilie und erhielt seine erste Ausbildung bei dem bedeutenden Maler Leonhard Diefenbach (1814-1875) auf der Gewerbeschule von Hadamar. Gefördert durch die Grafen Wilderich und Eduard von Walderdorff studierte er ab 1857 an der Münchner Akademie bei Moritz von Schwind und dem Porträtmaler Josef Bernhardt. Köglers erfolgreichste Zeit waren die beiden Jahrzehnte um die Jahrhundertwende. 1890 erhielt er von der Stadt den Auftrag, die Wände des Weinkellers (1890) und des Ratsstübchens (1891) im neuen Rathaus künstlerisch zu gestalten. Die witzigen, auf Wiesbaden und seine Bürger bezogenen Szenen mit begleitenden, humorvollen Texten machten Kögler außerordentlich populär. 1894 übertrug man ihm auch die Ausführung der Deckengemälde im Zuschauerraum des „Königlichen Theaters“ (Hessisches Staatstheater Wiesbaden) nach eigenen Ideen. Sie wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs von US-Bombern zerstört. Kögler schmückte den „Weinkeller“ und das „Ratsstübchen“ mit launigen Gemälden und versah seine Malereien mit witzigen Texten. Seine ehemaligen Schüler Wilhelm Weimar und Heinrich Schlitt waren ebenfalls an der Ausmalung des Wiesbadener Ratskellers beteiligt. Er gestaltete den Schankraum mit humorvollen Szenen und Sprüchen. Der sinnige Reim: „Ob Heide, Jud‘ oder Christ, herein was durstig ist“ empfing den Gast am Eingang zum Ratskeller, zusammen mit der Darstellung eines Südseeinsulaners im Bastrock, einem Juden mit Pejes-Locken im Kaftan und einen Herrn mit Frack und Zylinder. Später wurden die Malereien übertüncht und nach dem Krieg - im Zuge einer Modernisierung - unwiederbringlich beseitigt.
 
PS: Das obige Kunstblatt (kein Druck) ist gegen Gebot verkäuflich (Format: 15,5 x 19 cm).