08.10.2021
Abbildungen des Phallusbaumes im „Rosenroman“ (1235) von Guillaume de Lorris
 
DER PHALLUSBAUM
 
Gewisslich war ein Phallusbaum
so mancher Nonnen Wonnetraum.
So ein Ding vom Baum zu pflücken,
müsst‘ der dümmsten Trine glücken.
 
Wer hinter Klostermauern harrt,
leicht von jedem Quatsch genarrt,
glaubt an den Baum im Paradies,
welcher „Baum des Lebens“ hieß.
 
Was Lebensbaumes Früchte sind,
glaubt man an ihn so wie ein Kind,
oder versteht ihn als Symbol,
die Phallen sind es geradewohl.
 
Natürlich hängen für den Mann
am Lebensbaum auch Vulven dran.
Doch welche Früchte sind gemeint,
vom Bibelschreiber, wie es scheint ?
 
Der Dattelbaum an erster Stell‘,
es folgt die Feigen-Pflanze schnell,
denn deren Frucht, die Feige, gleicht
dem Hodensack des Mannes leicht.
 
Als Sinnbild starker Fruchtbarkeit,
schon zur antiken Griechenzeit,
galt dieser pralle Samen-Sack,
dazu von süßem Fruchtgeschmack.
 
Wenn also süß der Samen schmeckt,
die Nonne ihn im Geistbild leckt,
dann wär‘ das Paradies perfekt,
des Phallusbaumes Sinn entdeckt.
 
Dr. Stefan Hammerl, bespricht in seinem Werk „Strange Fruits. Die Geschichte des Phallusbaumes - Versuch einer Annäherung an ein vergessenes Narrativ“, 2018, die diversen Abbildungen eine Phallusbaumes. Ein Textauszug verweist auf einem Umstand der selten beachtet und besprochen wird, nämlich die Zwangseinweisung junger deutscher Frauen in die mittelalterliche Klosterhaft, mit all den lebenswidrigen Nöten denen diese armen Frauenkongregationen ausgesetzt waren.
 
„Wir dürfen dabei eines nicht vergessen, und müssen das auch im Kontext der Zeit betrachten: Klöster (speziell Frauenklöster) waren in früheren Zeiten meist keine von den zukünftigen Nonnen freiwillig aufgesuchte Institutionen. Die Mädchen wurden dorthin meist gegen ihren Willen verbracht und wie in einem Gefängnis eingesperrt, sei es um sich ihrer infolge eines Fehlverhaltens zu entledigen oder um nicht weiterhin bei mangelnder Aussicht auf Verheiratung für ihren Unterhalt aufkommen zu müssen. Das heißt aber auch, diese „Nonnen wider Willen“ suchten jede Gelegenheit, trotzdem das Leben auszukosten, Lust zu erleben, in fleischlicher Weise zu sündigen. Mit anderen Worte: Frauenklöster unterschieden sich, wie durch historische Untersuchungen belegt, mitunter kaum von Bordellen. Mary Laven, eine Historikerin aus Cambridge gab 2002 dazu ein lesenswertes Buch mit dem Titel „Die Jungfrauen von Venedig“ heraus, das im Magnus Verlag erschienen ist. Es trägt den Untertitel „Gebrochene Gelübde - Das wahre Leben hinter Klostermauern“, das sich allerdings auf das Venedig des 16. Und 17. Jahrhunderts bezieht. So besehen: wer weiß, ob der Phallusbaum nicht in einem Kloster steht? Blättert man in Guillaume’s Roman de la Rose weiter, stößt man auf der Seite fol. 160r erneut auf zwei Nonnen, wie sie Phalli von einem Baum abernten. Er ist als Lebensbaum beschrieben, der die „Frucht der Erlösung“ trägt. Ist er somit ewiger Jungbrunnen im Sinne einer Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter, oder der unbeschwerten Jugend, wo es noch uneingeschränkte Freiheit in Bezug auf die Liebe gab? Wir können es nur vermuten, dass die Aussage des Bildes auch einen Hymnus auf die freie Liebe darstellen könnte. Aber letztendlich sind es Frauen, seien es nun Hexen, Jungfrauen oder Nonnen, die dieses Geheimnis pflegen, hüten oder sich darum streiten, was sie nie (und wenn, dann nie ganz für sich) besitzen können: das fascinum oder Faszinosum an sich für jede Frau: der männliche Phallus. Aber ist es wirklich das, was sich als Sujet eignet, für jeden sichtbar, und fast überdimensional die Wand einer Brunnenanlage zu zieren? Sollte es eine Warnung sein oder nur einen Humor der damaligen Zeit darstellen, den wir nicht mehr verstehen? -- Im alten Rom gab es schon das Venusfest, das im Monat April stattfand, wo von römischen Frauen ein immens großer Phallus durch die Straßen Roms getragen wurde, zum Venustempel, außerhalb des Quirinals. Auf den 27. September fällt das Fest von Cosmo und Damian, wo man Phalli aus Wachs in verschiedenen Formen und Größen verkaufte und in Körben feilbot. Dies dürfte auch der Ursprung des Penis-Marktes in Italien zur Zeit der Renaissance sein, wie eine Masterarbeit von Eleanor Re’em zeigt. Im Prinzip waren dies Glückssymbole und keine „Tildos“ im heutigen Verständnis, weil man in ihnen transzendentale Kräfte weitertransportierten wollte, die weibliche Fruchtbarkeit oder männliche Potenz steigern sollten, wie auch von Infektionskrankheiten heilen helfen. Unterhttp://www.keithhunt.com/Sex8.html „Sexuality and the Bible“ nachzulesen, gibt es aber noch einen anderen interessanten Hinweis auf einen heidnischen Brauch: es scheint in der Antike weit verbreitet gewesen zu sein, Brot in der Form männlicher Genitalien zu produzieren. (Das Baguette scheint heute noch ein Ableger davon zu sein). Hastings „Encyclopedia of Religion and Ethics“ (http:// en.wikipedia.org/wiki/Encyclopaedia_of_Religion_and_Ethics) beschreibt den Brauch anlässlich des Thesmophoria-Festes (http:// en.wikipedia.org/wiki/Thesmophoria) zu Ehren von Demeter, welche als Fruchtbarkeitsgöttin neben Ceres eine entscheidende Rolle bei den Eleusinischen Mysterien spielte, auch in Zusammenhang zu sehen mit den orphischen Riten der Liknophoria (http:// www.jstor.org/pss/148477), wo Gebäck in phallischer Form verteilt wurde (siehe auch das griechische „Haloa“ Fest). Dieser Brauch scheint sich bis in alttestamentarische Zeit fortzusetzen, den in Jeremias 7:11;44:9 ist ebenfalls von Brot die Rede, welcher der „Königin des Himmels“ dargebracht wird, welches phallische Form aufweist.“
 
Die Feige, ein Symbol der Wollust für Weib und Mann
 
Plutarch (um 45 - 125 n.0) beschreibt die Opfergaben an Dionysos: „Ein Krug Wein, eine Rebe, ein Bock, ein Korb voll Feigen, schließlich der Phallus.“ In Hellas trugen junge Mädchen am Fest des Dionysos getrocknete Feigen als Fruchtbarkeitssymbol. Der Feigenbaum wurde als Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips verstanden. Einerseits sahen die Griechen in der Frucht das Abbild des Hodensackes, was im griech. Verbum „sykazein“ - „Feigen pflücken“, aber auch „betasten, erkunden“ der reifen Feigen und ihrer erotischen Analogien zum Ausdruck kommt.
 
In Massa Marittima (Stadt in der Toskana) wurde im Jahr 2000 eine Brunnenmauer freigelegt, auf der sich ein bemerkenswertes Fresko befand - der „L' albero della fecondità“ oder Phallus-Baum. Es handelt sich um einen Brunnen aus dem 13. Jh. an dessen Rückwand sich jenes Fresko mit seiner höchst eigentümlichen Darstellung befindet, mit 25 männlichen Geschlechtsteilen. Ein keineres Fresko eines Phallusbaumes findet sich auf Schloss Moos (Niederbayern), im „Jagdzimmer“, über einem Durchgang zum Nebenraum. Die dort dargestellten „Phallusfrüchte“ sind zwar schematischer, dafür in den verschiedensten Stellungen und Erregungs-Modi abgebildet. Von Laub ist kaum etwas zu sehen. Der Autor Stefan Hammerl schreibt auf Seite 3-6: „Es ist die Zeit des Hexenhammers und der Inquisition. Der Bund mit dem Satan und die Sünde des Fleisches standen im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, zum Nachteil einer perversen Verfolgung Unschuldiger mit Zustimmung und Billigung der offiziellen Kirche, als deren Auftraggeber. Sogenannte „Hexen“, vermutlich alles ehrbare Frauen, oft besonders karitativ tätige, wurden für alles mögliche beschuldigt: für Missernte, Unwetter, Hungersnöte und vor allem auch wegen Behexung des membrum virile oder des männlichen Geschlechtsteiles, wie es in der damals gebräuchlichen Lateinischen Fachsprache heißt, im Speziellen bei unerklärlicher Impotenz. Dafür wurde ihnen der Prozess gemacht und hunderte landeten auf dem Scheiterhaufen.“ Ein im heutigen Sprachgebrauch sogenannter Bestseller seiner Zeit, zumindest unter den Gebildeten sehr bekannt, war der sogenannte „Rosenroman“ aus dem 13. Jahrhundert, um 1235 von Guillaume de Lorris begonnen, reich bebildert, welcher als das einflußreichste Werk der damaligen französischen Literatur gilt, und der die Sehnsucht nach der unerfüllbaren Reinheit der Liebe zu einer fiktionalen Geliebten zum Ausdruck brachte. Erwähnenswert deshalb, weil es sich bei einer darin aufgeführten Illustration um die erste bildliche Darstellung eines Phallusbaumes handelt, wo eine Nonne (!) zu sehen ist, damit beschäftigt, Phalli von einem Baum zu pflücken und in einem Korb zu verstauen. Darüber hinaus finden wir noch eine weitere Darstellung eines Phallusbaumes, wo zwei Nonnen zugleich damit beschäftigt sind, Phalli zu ernten und unter ihrer Kutte zu verstecken. Bemerkenswert vor allem auch der dazu assoziierte Text: „Inutile de résister au désir de nature! Même l’habit monastique ne vous sera d’aucun secours! Cueillez donc les fruits de la vie!“ oder frei übersetzt: es ist sinnlos, den Ruf der Natur zurückzuweisen. Selbst zu leben wie ein Mönch (oder ein Heiliger) würde dich nicht davor schützen. Deshalb ist besser, das Leben und seine Freuden voll zu genießen! Auf einer anderen Seite ein Mönch, der einer Nonne als Präsent oder „Weihgabe" einen überdimensionierten gekrönten Phallus überreicht, dessen „Krönung“ auch als die Kuppel einer Kirche gedeutet werden könnte. – Der Zusammenhang mit einer sakralen Handlung mit Symbolcharakter ist jedenfalls evident. Auf einem dritten wird ein Mönch von einer Nonne an seinem „besten Stück“ wie ein Hund an der Leine geführt. Letzteres Sujet ist auch ein bekanntes Motiv des Mittelalters: das der „Weibermacht". Mit einem eindeutigen Gestus weist die Nonne dem von ihr Geführten den rechten Weg. Es gibt für ihn keine andere Möglichkeit, ihr und ihrer Leitung, dem Ziel ihrer Begierden, die auch die seinen sind, zu folgen. Ihr Gesichtsausdruck dabei ist schon eher der einer Domina, die befiehlt und beherrscht, obwohl sie vorher das Weihegeschenk des rothaarigen Mönches in Form eines stattlichen gekrönten Phallus, der auch fast wie eine Kirche mit daraufgesetztem Kirchturm aussieht, bereitwillig in Empfang nahm. Aber merken wir uns dieses Motiv mit der Leine. Es wird uns bei der Interpretation des Phallusbaumes von Massa Marittima noch einmal beschäftigen. Daß Nonnen Phalli von Bäumen ernten mag zwar noch seltsamer anmuten, aber erstens war das Klischee des Phallusbaumes zu dieser Zeit bereits fest verankerter Bestandteil der Volksmythologie und geriet nur in späteren Jahrhunderten eher in Vergessenheit. Es sagt auch etwas über Tabubruch und Tabuverletzung aus, da gerade die Sexualität innerhalb des Kanons der christlichen Fleischfeindlichkeit stark im klerikalen Bewusstsein verankert war, und hier eine Art Übertetungszauber zum erstmal die aufkommende Individualität einer Leibgebundenheit bzw. -verbundenheit ein triebgeleitetes Ego jenseits von Verbotsbeschränkungen, auch innerhalb der Kirche, manifestiert. Andererseits gab es immer noch konkurrenzierend dazu, und sehr offensichtlich andersartig eine sehr starke und im Volksglauben gelebte orophische, heidnische Tradition, die sich nicht weniger sakral im Sinne einer mystischen Naturerfahrung verstand, - also im Grunde wenig mit Profanem zu tun hatte - und mit ihren tradierten Riten der Fruchtbarkeit und der alljährlichen Erneuerung der Natur im Ganzen, welche durchaus als „Geschenk“ verklärt, nicht ganz so für selbstverständlich genommen wurde, verbunden mit einer immer noch sehr starken Hinwendung einerseits zum Dionysischen, aber auch zur personifizierten Natur, verkörpert in der griechischen Erdgöttin Demeter oder die große Mutter als Lebensspenderin, der große Erneuerin welche als solche im Mittelpunkt der Verehrung stand.“
 
Als mesopotamischer und orientalischer Lebensbaum galt die Dattelpalme, einmal wegen ihrer himmelragenden, imposanten Größe und zum zweiten wegen ihrer nahrhaft-süßen Früchte von denen ganze Stadtkulturen ihr Leben fristen konnten. Auch der hebräisch-biblische „Baum des Lebens“ (Gen 2,9) in der Mitte des „Garten Eden“ bzw. dem „Paradies“, von dessen Früchten der Judengott den Menschen verbot, zu essen. Ein tieferer Sinn in dieser Verbots-Metapher kann nur als Schmähung der Sexualität verstanden werden, wie sie folgerichtig in den biblischen Texten und späteren judäo-christlichen Predigten der Kirchenväter hervortrat. Die Wollust, als eine der sieben „Todsünden“ (lat. luxuria) des Kirchensystems, wurde immer als aller Verwerflichkeit Grundübel gebrandmarkt, während die sexuelle Enthaltsamkeit geradezu als die größte Chance der Selbstheiligung gepriesen wurde, deshalb die Ehelosigkeit der Priester und deshalb das Keuschheitsgelübde der Nonnen. Daraus geht hervor, dass es als naheliegend zu bezeichnen wäre, wenn man die Erklärung heranzöge, dass der für diese Bibelstelle verantwortliche Schreiber sich den altjüdischen „Baum des Lebens“ als einen solchen gedacht haben müsste, dessen Charakter die verbotene Sexualität in sich schon symbolisieren vermag, nämlich den Feigenbaum. Von den Vorstellungen eines Lebensbaumes zu denen vom Feigenbaum und Phallusbaum bedarf es nur eines kleinen Schrittes gleichgelagerter Assoziationen.
 
Man liest dazu auf einer fachmännischen Seite, von „archäologischen Funden von etwa 11.400 Jahre alten Überresten getrockneter Feigen, die in einer jungsteinzeitlichen Siedlung im heutigen Westjordanland ausgegraben wurden.… Die Feige als Kulturpflanze ist mindestens 1.000 Jahre älter als die ersten Getreidegräser, zudem rund 5.000 Jahre älter als Weintrauben, Oliven und Datteln. Mit Feigenblättern, und da könnten die Bibel sowie zahllose Bildhauer und Maler Recht haben, hätte das aus dem Paradies vertriebene Paar Adam und Eva sehr wohl ihre Scham bedecken können. In ihrer Epoche war der Apfel im Orient nicht bekannt, deshalb war die verbotene Frucht im Garten Eden mit Sicherheit kein Apfel, sondern eine Feige. Wegen ihrer Wichtigkeit als Lebensmittel erlangte die Feige eine große symbolische Bedeutung. Ursprünglich stand sie für Fruchtbarkeit und sinnliche Liebe. Sie wurde wegen ihrer Form mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung gebracht. Im 12. und 13. Jahrhundert tauchen die ersten Feigenblätter in der Literatur und in den Minnegesängen auf. Sie wurden in Rot gezeichnet, der Farbe des Blutes, dem Symbol des Lebens, des Wohlstands und des Glücks. Ende des 15. Jahrhunderts erscheint die stilisierte Feigenfrucht zum ersten Mal in den Spielkarten als Herz, was bis heute auch so geblieben ist.“ Wohl nicht korrekt, aber eine naheliegende Konstruktion, ist die Meinung, die „fica“ oder Feige hätte das Vulgärwort für den Geschlechtsverkehr geprägt. Ficken bedeutet aber im Deutschen den Vorgang des schnellen Hinundherbewegens, wie es beim Kopulieren üblich ist. Enzyklopädien beschreiben die Symbolik des Feigenbaums als Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips. Einerseits sahen die Griechen in der Frucht das Abbild des Hodensackes, andererseits symbolisiert die geöffnete Feige das weibliche Geschlechtsteil, die Vulva (im Ital. hat das Wort „Fica“ diese Bedeutung). Feigen wurden auch mit der weiblichen Brust in Verbindung gebracht bzw. als Baum „der vielen Brüste“. Als Träger so zweideutiger Früchte wurde dem Feigenbaum eine hoch ambivalente Bedeutung zugemessen: Einerseits wurde er als unreines, unheilvolles Gewächs betrachtet. Als zufällig ein Feigenbaum beim Tempel der Göttin Dia, einer alten latinischen Feldgottheit wuchs, die später mit Ceres (Demeter) verschmolz, musste nicht nur der Baum ausgerissen, sondern auch der unrein gewordene Tempel abgerissen und schwere Sühne geleistet werden. Auch Menschen, die als Ungeheuer angesehen wurden und „gottlose“ Bücher wurden in der Antike auf Scheiterhaufen aus Feigenbaumholz verbrannt.“