Der alamannische gegossene bronzene Frauen-Haubennadel-Kopf von Elgg, nahe Frauenfeld (südlich Bodensee) mit dem Runenwort „domo“ = ruhmvolle [göttliche] Richterin.
 
Ein Seelenvogel-Haarnadelkopf und seine Runen-Inschrift
 
Über den Fund einer sehr bedeutsamen Runen-Haar- oder Hauben-Nadel gibt es die wissenschaftlich Untersuchung: „Eine Adlerkopfnadel mit Runeninschrift(en) aus Elgg (Kt. Zürich / CH) im „Archäologisches Korrespondenzblatt 46 (2016), S. 379-398. - Martin Graf, Renate Windler, Adina Wicki - Röm.-Germ.-Zentralmus. Mainz. - Es wurden im Jahr 2013, im Verlauf einer Großüberbauung in Elgg, rund 10 km östlich von Winterthur, im oberen Eulachtal (Schweiz/Kanton Zürich) die Grubenhäuser einer mittelalterlichen ländlichen Siedung entdeckt. Die Fundstelle war Florastrasse in der Ebene des Eulachtals. Rund 500 Meter nordöstlich liegt am nördlichen Talrand das frühmittelalterliche Gräberfeld Ettenbühl, das vom zweiten Drittel des 6. bis ins ausgehende 7. Jh. genutzt wurde. Reich ausgestattete fränkisch-allemannische Beerdigungen sind hier ergraben worden. Bei dem zu besprechenden Fund aus dem Grubenhaus Nr. A1059 von Elgg handelt es sich um eine 17,9 cm lange und 13,4 g schwere Bronze-Nadel, deren eines Ende zugespitzt, das andere Ende als stilisierter „Adlerkopf im Tierstil II” ausgestaltet wurde. Die beiden Seiten des Adlerkopfes sind unterschiedlich. Auf der Seite mit dem nach rechts blickenden Adlerkopf sind der Schnabel und das Auge dargestellt. Ist der Adlerkopf nach links orientiert, wird die Runenfolge der Inschrift sichtbar: „domo“. Die Fachleute schreiben: „Mit ziemlicher Sicherheit handelt es sich dabei um einen eingliedrigen Personennamen (Männername) im Nominativ vor-ahd. Dōmo”, ebenso wie: „Der Name wird üblicherweise dem Stamm dōm(a)- zugeordnet wie er in ahd. tuom stm. / n. vorliegt, einem Wort, das die gängigen Wörterbücher mit einer großen Fülle möglicher Interpretamente ausstatten.” Der germanistische Mediävist Rudolf Schützeichel deutet den Begriff erstaunlich breit: Urteil, Gericht; Recht, Gerechtigkeit; Macht, Herrschaft; Fähigkeit; Tat; Ruhm, Ansehen.” In genannter Abhandlung wird ahd. „tuomgot” = der höchste Gott, in die Erwägung eingebracht. Und wenn man got. „dōms” (Urteil, Ruhm) daneben hält, wird leicht ersichtlich, dass sich im Begriff „domo” die Attribute einer Überperson, durchaus auch die eines Gottes spiegeln könnten. Die runenartigen Zeichen auf der anderen Seite des Vogelkopfes - vom germ. Typ Seelenvogel - sind sehr fein, wurden erst nach dem Guss eingeritzt und blieben undeutbar.
 
Das Dorf namens „Thundorf” bei Frauenfeld liegt nur ca. 10 Kilometer von Elgg entfernt. Weitere Gemeinden gleichen Namens wären: Thundorf des unterfränkischen Landkreises Bad-Kissingen wurde bereits im Jahr 888 als „Tuomsdorf“ erwähnt. Ein weiteres Thundorf gehört zu Ainring des Landkreises Berchtesgadener Land, Bayern. Im Thundorf der Stadt Freystadt (Landkreis Neumarkt, Oberpfalz, Bayern) wurde um 1.000 eine Marienkapelle geweiht, die 1318 zum Stift „Unserer Liebe Frau“, ein sog. „Haus zu Tontorf“. Ein weiteres Thundorf ist Ortsteil der Stadt Osterhofen im niederbayrischen Landkreis Deggendorf, das im 9. Jh. Tuomtorf genannt wurde. Die erste Erwähnung von Thundorf bei Elgg findet sich in einer auf den 1. August 888 datierten Urkunde („in villa, quae dicitur Tuomdorof“), in der Arnolf v. Kärnten die Schenkung eines Hofgutes an das Kloster Reichenau bestätigt. Bei dem Ortsnamen handelt es sich - wie man annimmt - um eine Zusammensetzung aus dem ahd. Personennamen „Duomo/Tuomo“, mit dem Grundwort „dorf“, das in alamannischen Siedlungsnamen sehr verbreitet ist und Weiler, Hof, Dorf, Gut bedeuten kann. Nachdem der unverkennbar sakrale Begriff „domo“ auf der Runen-Haarnadel von Elgg aufgetaucht ist, wird man nicht umhinkommen, die etymologische Wurzel für die Gemeindenamen „Thundorf/Tuomsdorf“ nicht mehr im Begriff „Dorf“, sondern im Begriff „Gerichtsstätte“, aus germ. „dōma”, zu begreifen.  
 
Der Begriff „DOMO“
 
In Anbetracht dessen, dass der hoch bedeutsame Begriff „domo“ in die Haarnadel einer Dame, nicht wie zumeist bei solchen Funden, nur eingeritzt ist, vielmehr gegossen wurde, müssen wir zwingend annehmen, dass es sich bei dem Wort um mehr handeln muss, als nur um eine Besitzer- oder Spender-Inschrift ! Es wurde eine Gussform für das Stück angefertigt, das heißt, es wurde nicht als Einzelstück für eine bestimmte Person geschaffen, sondern zwecks Anfertigung einer Produktionsserie. Die drängende Frage ergibt sich daraus, welche weiterreichende, allgemeingültige Bedeutung könnte dem Begriff „domo“ innewohnen ? Deshalb beleuchte ich das Wort noch einmal: Der Schwedenkönig Dómaldi- oder Dómaldr-Visbursson (320-380) wurde - der Yngling-Sage (1225) zufolge - in Gamla-Uppsala als Gottesopfer (Blót) für bessere Ernten getötet. Sein Sohn und Nachfolger hieß Domar-Domaldisson, unter ihm gab es eine wohlhabende Zeit. Unter „Domaring“ versteht man in Skandinavien einen Gerichtsring, eine kreisförmige Steinsetzung, innerhalb der Gericht gehalten wurde. Im heutigen Schwedisch bedeutet „dom” = Urteil, Gerichtsurteil, Verurteilung; „domarna” = Urteile, „domare” = Richter, aus dem germ. Basisbegriff m. „dōma” = Gericht, Setzung, Zustand. Damit urverwandt wird sein lat. „domus” = Haus, Wohnsitz; lat. „domo” = zähmen, bändigen, bezwingen, überwinden, niederwerfen, untertänig machen, besiegen; „domestizieren“ = häuslich machen; lat. Redewendung „Pro domo“ = für das Haus, in eigener Sache, für sich selbst. Im Germanischen der allamanischen Mundart müsste „doma, domo“ Richter oder Richterin bedeuten, wobei zu beachten wäre, dass bei den germ. zweigliedrigen Personennamen statt der maskulinen Endung -az, die feminine Endung ī/-ijō bzw. -ō antrat. Die Endung -a ist sekundär und zumeist lateinischen Ursprungs. Beispiele für germ. Begriffsanhängungen: -fridō = die Schöne, Angenehme; -neujō = die Junge, Neue; -rūnō = die Raunende, Künderin von Geheimnissen. („Namensforschung”, 1996, XI, 5, S. 1186) Mit „Domo” könnte - das wäre zu erwägen - also auch die Göttin gemeint sein, die Richtende, die hoffentlich gnädig Urteilende, die huldvoll ins Jenseits Aufnehmende. Dann erst bekommt des Weibes Haar- und Haubennadel ihren tieferen, nämlich religiösen Sinn. Denn im Haupthaar erahnte der germanische Mensch einen Sitz seiner Seelenkraft. Und naheliegend ist es, dass die „Domo”-Nadel eine Beschwörung der Göttin zur guten Aufnahme in der Anderswelt bewirken sollte.
 
Abbildung 2: Goldbrakteat Gudme II-B - Fünen/Dänemark,
mit Seelen-/Geist-Attribut-Rabe über Wodin-Haupt (Mittelperson)
 
Bei dem Vogel-Kopf der Nadel, den die runologischen Mediavisten „Adler“ nennen, handelt es sich um den dutzendfach belegten gefiederten Seelengeist, den Geist-Seelen-Raben des Wodin-Odin, dem germanischen Psychopompos. Der standardisierte ikonische Rabe, in Personalunion von Hugin und Munin, den mythischen Geleittieren der Gottheit, ist auf den mittelalterlichen Geleitmünzen, den goldenen Amulett-Brakteaten immerfort neben dem Gotteshaupt abgebildet. Drum lautet ein Beiname des Odin „Hrafnáss“ (Rabengott). Ich frage mich, ob diese hervorragenden Sprachwissenschaftler sich in der germanischen Mythologie und Ikonographie treckenweise so wenig auskennen ? Hugin (Gedanke, Sinn) und Munin (Erinnern) sind eins im göttlichen Heilszentrum eines Seelen-Führers, auf den die Gläubigen ihr Hoffen setzten. Und wenn südwestlich vom Bodensee, in einer Region mit stark mutterkultisch geprägter gallogermanischen Urbevölkerung, eine allemannisch-fränkische Dame das runische „domo“ auf eine weibliche Gottheit gemünzt sah, dürfte dieser Umstand eigentlich auch keine unüberwindbare Verwunderung auslösen. Es mag sein, dass die Dame mit der Segens-Haarnadel einen fränkischen Ritter als Ehemann erhalten hatte, aber sie war von Geburt wohl eine Alamannin, denn die Rabenkopf-Haarnadel entsprach vollkommen dem nordischen Stil, dem der „Brakteaten-Religion“, wie es Karl Hauk (1916-2007) in seinem Werk „Goldbrakteaten aus Sievern-Spätantike Amulett-Bilder”, 1970, klassifiziert hatte. Eine Fränkin des 6./7. Jahrhunderts hätte dieses heidnisch-religiöse Bekenntnis unmöglich getragen. Ihre Vogelkopf-Nadel entspricht dem Typus der sächsischen Vogelkopf-Fibeln von Anderlingen, Liebenau, Barrien, Immenbeck und dem runenbeschrifteten Bernsteinanhänger vom Ostseestrand vor dem Heiligensee, östlich von Warnemünde, einem neuen Fund aus 2013 (Sigmund Oehrl, „Ein völkerwanderungszeitlicher vogelförmiger Bernsteinanhänger mit Runenschrift vom Ostseestrand …“, 2019). Wen und was auch immer der Begriff „domare“ umfasste, was da hineingedacht werden konnte -, ein „Männername“ und nicht mehr, ist mit absoluter Sicherheit zu wenig -, als Hersteller-, Besitzer- oder Schenkerinschrift ist diese Runenfolge nicht zu verstehen !
 
Mutterkultische Aspekte beim „Frauenfeld“
 
Der Fundort Eulachtal von Elgg liegt ca. 5 Km südlich von Frauenfeld, dem Hauptort des Bezirks Frauenfeld und Kantons Thurgau. Es war eine der Göttin geweihte Flur, eine Hochfläche, die nach Westen steil in die Thurebene abfällt und im Süden in einem felsigen Hang zur Murg (Nebenfluss der Thur, die zum Rhein läuft) abbricht. Diese Hochebene hieß „Unserer lieben Frauen Feld“. Der altgläubige Mutterkult, der den späteren christlichen Marienkult speiste, ist also in unmittelbarer Nähe des Fundortes des Eulachtals von Elgg nachweisbar. Zum ersten Mal wird in einer Urkunde vom 24.08.1246 im Namen des Ritters „B. von Vrowinvelt“ auf das Frauenfeld Bezug genommen. - „Rune” heißt Geheimnis. Die männlichen und weiblichen Runenkundigen, die Erilari, hatten ein anderes Schriftverständnis als wir heutigen Lateinschriftler. Darüber hat sehr konkret aufgeklärt, anhand vieler Beispiele, der Runologe, Skandinavist Heinz Klingenberg mit seinem epochalen Werk „Runenschrift, Schriftdenken, Runeninschriften“, 1973. Die auf uns gekommenen kurztextlichen Runeninschriften im älteren Futhark sind nie so wie heutige Texte zu lesen, bei denen Buchstabe für Buchstabe zu klar erkennbaren Worten zusammengefasst werden, zum Zwecke der Informationsvermittlung. Sie runischen Botschaften sind verklausuliert, sind vergeheimnist und fordernden dadurch des Lesers Kombinationsgabe heraus, die Ritzer kokettierten förmlich mit ihrer Gabe die Aussagen faktisch niederzulegen und sie trotzdem nicht jedermann sichtbar werden zu lassen, denn das Heilige ist geheim und gehört nicht der Gosse preisgegeben. Wer diese Art des Schriftdenkens nicht begreift - und sei er der Linguistik noch so mächtig - vermag den Geist der Runenschrift bzw. ihrer Inschriften nur schwerlich zu fassen. Der Ausruf des Erdgeistes in Goethes Faust-Drama: „Du gleichst dem Geist den Du begreifst“, trifft im hohen Maße auf Können oder partielles Versagen der runendeutenden Philologen zu. Die Kongenialität des Runenfachmanns Prof. Klingenberg mit Erilar Hlewagast-Holtijar, dem Schöpfer des goldenen Runen-Hornes aus dem 4./5. Jahrhundert, war einer der seltenen Höhepunkte der runologischen Forschungsschichte. Während einer gemeinsamen Studienfahrt zu den Fundplätzen der berühmten Goldhörner, im Frühjahr 1986, hat der meisterliche Heinz Klingenberg auch mich zum Runen-Sinnen inspiriert. Ich darf mich nicht „sein Schüler“ nennen, doch ist er seitdem mein Lehrmeister im Runenlesen geworden.
 
Der Erilari mystisch-symbolistisches Runen-Denken
 
Die Runeninschriften beinhalten, neben im modernen Sinne „normalen“ Wortbildungen, bekannte oder unbekannte Metaphern, Kennings (Paraphrasen) und Sinnzeichen-Runen, die nicht als buchstabige Wortanteile, sondern als für sich allein stehende Symbole eingesetzt wurden. Immer ist das Runeninschriftenlesen also ein Rätselraten. Zweifellos verhält es sich beim Begriff „domo“ der Seelenvogelkopf-Nadel von Elgg nicht anders. Naheliegend und anzunehmen wäre, dass in der Umschreibung des Kultnamens der Schicksals- und Richter-Göttin, eine nähere Kenntlichmachung versteckt sein könnte. Als Große Mutter - wie Frija, Hera, Juno, Isis - wird sie zweifellos verehrt worden sein. Könnte es sich bei „domo“ um ein Palindrom handeln, eine inhaltlich sinnvolle „rückwärts laufende“ Runenfolge ? Zu den Palindromen zählen auch Wörter, die rückwärts gelesen ein zweites deutbares Wort ergeben, wie z. B. Lese und Esel. In der linksläufig gelesenen zweisilbige Buchstabenfolge „domo“ wären die möglichen Lese-Varianten: „omod“, „o-mod“, „om-od“, „omo-d“. Den gleichen Seelenvogel zeigen die Brakteaten von Skrydstrup (Nordschleswig), Skonagar u. Ölst (Nordjütland), Maglemose u. Kidnaes (Seeland), Hesselager (Fünen), Simmonsnes (Norwegen), wobei der letztaufgezählte ein Schlüsselbild liefert. Er zeigt die beiden Seelenvögel mit angehängten Odhala-Runenschlingen (dazu: Detlev Elmers, „Zur Ikonograpie nordischer Goldbrateaten“, 1972). Er zeigt damit, wie auch weitere gleichartige Beispiele, dass die Odal-Rune - ob in runischer Kanten- oder kursiver Schlingenform - in germanischer Mythologie bzw. in der mittelalterlich-germanischen „Brakteaten-Religion” - im Konsens von Skandinavien bis zum allamannischen Bodensee-Gebiet - als Sinnzeichen für das Seelenleben galt. Die „o“-Rune, der Bezeichnung germ. ōthala, hatte definitiv eine umfänglichere Bedeutung als nur „Erbbesitz“ im Sinne von Bodenbesitz, wie es stereotyp angegeben wird; dazu gehörte im altgermanischen Bewusstsein offensichtlich auch einer von uns Heutigen kaum abschätzbaren Dimension des Erbbesitzes um den Begriff der Sippenseele und ihres reinkarnationsfähigen, dauerhaften Jenseitslebens. Der germanische Begriff für dieses komplexe mythisch-religiöse Vorstellungsfeld war „od, oð, ot” -, etymologisch aus idg. audʰ- = Glück, Besitz, Reichtum, germ. auda-, audaz = Gut, Glück, Habe; got. auds, auðs = Habe, Gut, Glück, Vermögen, Wohlstand; an. auðlegð = Reichtum. Altnordisch „ōd-“ und ags. „ead-“ entstanden durch Monophthongierung aus „aud(a)-“, wie PS: Greutungenführer got. Audaðius, westgerm. Odotheus; Gotenkönig got. Audawulf, westgerm. Odvulf; got. Audain, westgerm. Odoin, ags. Eadwine. Der Wörterbücher dürre Begriffsausdeutungen waren nie in der Lage, schon wegen dem Verstummen heidnischer Erklärungsversuche, die Bereiche zu erfassen, die bei den aktiv Gläubige ins Numinose hineinreichten. So vermögen wir allein anhand von Darstellungen von aussagestarken Kleinkunstfunden auf die sensiblere religiöse Bedeutung der Seelenvögel-, Raben- und Odal-Schlingenzeichen hochschließen. Das angelsächsische Wort „mōd” n., der Bedeutung: Herz-Verstand-Geist. Der Kernsilbe „od“ hat sich der anschmiegsame konsonantische „m“-Laut davor geschoben. Dass ags. „mōdig“ = Stolz bedeutet, zeigt, dass dieser Aspekt abgeleitet wurde aus der breiten Od-Ausdeutung bei Personen von starkem Gemüt, also eines selbstbewussten Seelenlebens. Ebenso wie das deutsche m. „Mut“, ahd. „muot“, engl. „mood“, got. „mōðs“, schwed. „mod“ = Gefühl, Wille, Kühnheit, also Seelengewalt. Altenglisch „mód“ = Herz, Gemüt, Geist, Temperament, Wagemut, Hochmut, Stolz. Auch im altengl. „módglæd“ (frohgesinnt) oder „módglómor“ (niedergeschlagen, bekümmert) tritt der Seelenbegriff klar hervor, ob froh oder traurig, es kommt aus dem „mód“ bzw. „ōd“. Und ags. f. „mōdor“, ahd. „muoter“, Plattdeutsch „Moder“, niederl. „moder“, Insel Sylt „mooter“, dän. „moder, mor“, Oberschwäbisch (zwischen Alb und Bodensee) „Moddr“ = Mutter, aus idg. „mātér“, verwandt mit lat. „māter“, formte sich immer mehr zur „o“-Lautung, möglicherweise, weil die Seele - für mutterkultisch empfindende Gläubige - aus der „Großen Mutter (-Göttin)“ kommend, geglaubt wurde, wie ja schon die Griechen die Erdmutter Gaia als Summe aller Seelen ansahen. Zurück zum Ausgangspunkt: Unsere Seelenvogel-Inschrift „domo“ könnte linksläufig gedeutet werden, beginnend mit dem für sich alleinstehenden Seelensinnzeichen der Rune „o“ und dem folgenden Begriff „mod“, mit dem der Kultnadel-Hersteller den umfänglichen Beschwörungsbegriff „o-mod“ = „Seelenkraft- Seelenmutter“ geformt haben mochte.
 
„Om-od” - „Das große Od”
 
Zur runischen Geheimniskrämerei gehörte der Doppelsinn, die Schichtung einer versteckten, aber verstärkenden bzw. präzisierenden Paralleldeutungvarianten. Auch im linksläufig zu lesenden „omod” ist eine weitere Ausdeutungsmöglichkeit auffindbar. Ob bei rechtsläufiger Leserichtig des Runenwortes „domo“ = „Richter/Ratgeber“ ein weiblicher oder männlicher göttlicher Hilfsgeist, beschwörend angerufen wurde, muss offen bleiben. Bei linksläufiger Lesung „omod“ ergeben sich verschiedene semantische Möglichkeiten. im „Heliant“ erscheint as. „metod“ = „Schicksalsfügung“, ags. me(o)tōd = „unpersönliche Fatum“, ags. „upōd“ (oben-od) meint „himmlische Seligkeit“, mhd. „Kleinōt“ = „kleines Gut“. Meinte „omod“ das „große Gut“ ? Gab es eine germ. Substantivierung „Oberer/Großer“ aus einem Adjektiv „om“ für „groß, erhaben, mächtig“ ? Das eddische Grimnismal, Str. 49, lässt Odin sprechen: „Bei den Göttern hießen sie mich Óski ok Ómi”, also Wunscherfüller und Oberster. „Omi” kommt aus einer älteren Sprachschicht als Altnordisch (Klaus Düwel, „Runeninschriften als Quellen interdisziplinärer Forschung“, 1995/98, S. 311). Das stehengebliebene an. „ōmun” (Laut, Stimme) erklärt sich wohl daraus, dass der oberste Mann im Thing und sonstwo, die schwerwiegendste bzw. - im übertragenen Sinne - die stärkste, gewichtigste, lauteste Stimme hatte. Aber das im hochmittelalterlichen Altnordischen veralterte „om“ = groß, ist offenbar nicht ganz spurlos untergegangen. Einer der suebisch-wandalischen Volksstämme im Oder-Weichel-Raum waren - neben Rugii, Burgundi, Silingi, Marsingni, Burgiones, Wandiler - die „Lugii-Omani“ (Tac. Ann. XII). Ein Führer der Kimbern und Teutonen hieß Lugi(us). Lugi/Lugii wäre als Begriff der Eigenbezeichnung im Sinne von „die Eidgenossen“, also „lugi-Omani“ = „Vereinigung der Großen/Oberen“ zu erklären. Ein anderes Beispiel: Das germanische Volk der Ombronen (auch Ambronen), schloss sich um das Jahr 120 v.0 den Kimbern und Teutonen auf ihrem Zug nach Süden an. Ihre Stammsitze lagen im nordfriesischen Inselraum um Amrum (fries. Oomram). Ihre Selbstbezeichnung könnte als „die hervorbrechenden Großen/Oberen“ gedeutet werden, aus germ. „brunadō“ = aufwallen, sich heftig bewegen, hervorsprudeln. 0der „Ober-Brüderschaft“ aus späturgerm. brōðēr, got.  brōðar = Bruder ? Claudius Ptolemäus (ca. 100-160) verortete Ombronen an den Weichselquellen, im südöstlichen Schlesien, dem alten Wandalenland, so dass die Überlegung berechtigt erscheint, ob die von Cornelius Tacitus (ca. 58-120) genannten Omani nicht identisch sein könnten mit den Ombronen des Ptolemäus ? Wenn Gott Odin sich mit einem seiner Kultnamen als „Omi“ (Großer/Oberer) outet, mit dem maskulinen „i“-Suffix, dann käme auch eine weibliche Form der Oberin „Omo“ mit einem „o“-Suffix in Betracht. Denn im Urgermanischen, Späturgermanischen und Gotischen enden die Personennamen beim Maskulinum im „i“- oder „o“-Suffix und auch Feminisierungen können im „o“-Suffix auslauten -, wie z.B.: got. widuwō , ahd. wituwa = Witwe; agot. qinō (später ahd. quena, an. kona) = Frau und got. gum, ahd. gumo, an. gumi = Mann.