16.05.19 - Johann Reichhart, Bayerns letzter Henker war ein Linker, ein Rotarmist und Pazifist. Die Zeiten waren schwer zu Beginn der zwanziger Jahre. Das Deutschland der Nachkriegsjahre wurde erschüttert von Unruhen, sozialer Not, Putschversuchen. Zu den vielen Kriegsheimkehrern, die sich erst wieder einfinden mussten in einem normalen Leben gehörte auch Johann Reichhart. Als 25-Jähriger war er als überzeugter Pazifist aus dem Krieg aus dem Krieg nach Hause gekommen, vom Arzt wurde ihm attestiert, dass er eine Kriegspsychose erlitten hatte. Er war gläubiger Katholik und Pazifist. Während der revolutionären Unruhen in München 1919 hatte er auf der Seite der Rotarmisten gekämpft. Er versuchte sich in den folgenden Jahren als Metzger, als Betreiber einer Bahnhofsgaststätte in der Nähe von München und später als Vertreter für elektrische Maschinen, mit denen hysterische Frauen „geheilt“ werden sollten. Doch es nutzte alles nichts - stets fehlte es am Geld. Aber Reichhart, der eine Frau und Kinder zu versorgen hatte, hatte noch eine weitere Perspektive, denn er entstammte einer Familie, die seit mehr als 200 Jahren Nachrichter bzw. Scharfrichter waren. Leben konnte man vom Henkerberuf alleine zwar nicht, aber immerhin brachte jede diesbezügliche Tätigkeit ein Zubrot. Und so bewarb sich Johann Reichhart für diesen Posten des Nachrichters, als sein Vorgänger, der zugleich sein Onkel war, in Rente ging. Über sein Leben und sein Wirken hat der Historiker Roland Ernst, ein Experte für die Geschichte der Todesstrafe, ein Buch mit dem Titel „Der Vollstrecker - Johann Reichardt, Bayerns letzter Henker“ verfasst. Beliebt war ein Mensch mit dieser Profession bei den Leuten nicht. Johann Reichhart diente drei Systemen als Henker: der Weimarer Republik, dem NS-Staat und dem Nachkriegs-Sieger-Regime. Am 01.04.1924 trat Reichhart sein neues Amt an, doch schon bald musste er feststellen, dass unter den Bedingungen der Weimarer-Demokratie nur wenige Verbrecher zum Tode verurteilt wurden. Drei bis vier Mal pro Jahr wurde Reichhart bayernweit gerufen, von dem bisschen Nachrichten bzw. Hinrichten konnte man nicht recht leben, so liest man es. Schwere Gedanken darüber, dass er Menschen mit der Guillotine exekutierte, machte sich Reichhart kaum. Als gläubiger Katholik war ihm das Richten mit dem Schwert aus der Bibel höchst vertraut. Auch lehnte die katholische Kirche die Todesstrafe damals keineswegs ab. Die Verurteilten hatte ein reguläres Gericht als Mörder zum Tode bestimmt, was sollte daran nicht in Ordnung gewesen sein ? Er tat seine berufliche Pflicht, mehr nicht.
 
Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten änderte sich vieles in Deutschland, doch für Johann Reichhart blieb alles beim Alten. Der NS-Staat räumte auf, die Straßen und Wälder wurden wieder sicherer, für Schwerstkriminelle begann eine gefährliche Zeit. Meine Mutter, eine Frankfurterin, erzählte einmal über ihre Jugendzeit folgendes: „Kaum waren die Nazis an der Macht, konnten wir Mädchen und Frauen wieder, ohne Angst haben zu müssen, zu jeder Uhrzeit, auch nächtens, durch den Stadtwald gehen. Vorher kamen auch immer wieder Motorradfahrer ums Leben, denen durch über die Wege gespannte Drahtseile die Köpfe abgeschnitten wurden, um sie zu berauben.“ Wer sich gegen den Staat auflehnte, aus Ideologie oder seiner religiösen Anschauungen, bekam die Härte der neuen Ordnungshüter zu spüren. Um den NS-Ordnungsstaat gegen das Chaos der Weimarer aufzurichten bedurfte es mutiger und harter Männer, doch auch auf der Gegenseite gab es nicht nur Lumpengesindel und Verbrecher. Unter den Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Konservative und unpolitische Menschen, die angeblich für das Recht und die Humanität eintraten, gab es jedoch so manche Heuchler, welche eigentlich nicht für die Humanität, sondern einfach nur gegen die nationaldeutsche Erweckung, also grundsätzliche Volksfeinde waren. Denn die Kommunisten-Bolschewiken in Russland betrieben die Eliminierung von sog. Schmarotzern und Volksfeinden zur gleichen Zeit in ganz anderen - geradezu gigantischen - Maßstäben. Für Johann Reichhart, den ehemaligen Rotarmisten, den Katholiken und Pazifisten, änderte sich beruflich nichts. Er tat weiterhin sein Werk, wie es ihm aufgetragen wurde. Nachdem er seine Scharfrichter-Tätigkeit schon vollends aufgeben wollte, erhielt er am 22.06.1933 einen Arbeitsvertrag mit dem Bayerischen Justizministerium, doch erst im April 1937 trat er aus beruflichen Gründen der NSDAP bei. Ein Umstand änderte sich und der verschaffte ihm einen besseren Verdient und Lebensstandard. Seit Mitte der dreißiger Jahre häuften sich die Todes-Verurteilungen. Scharfrichter wurden pro Kopf bezahlt. Reichtümer waren freilich damit trotzdem nicht zu verdienen. Reichhart wurde nicht nur in Bayern eingesetzt, sondern er bekam Aufträge auch aus anderen Teilen des Deutschen Reiches bis zur Reichshauptstadt. Insgesamt erledigte er bis zum Frühjahr 1945 um die 3.100 Aufträge, wobei in die Zeit des Dritten Reiches - mit dem Kriegsgeschehen - 2.800 Todesurteile fielen. Seine prominentesten zum Fallbeil Verurteilten waren offenbar Sophie und Hans Scholl bzw. vier führende Vertreter der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. In der hinlänglich bekannten Nachkriegsmanier musste es bei „Nazi-Tätern“ immer um Superlativen gehen, obgleich Reichhart kein begeistertes und engagiertes Parteimitglied war hängte man ihm den Ruf „Hitlers-Henker“ an. Die „Opfer“-Angaben, bezüglich seiner 23-jährigen Zeit als Nachrichter, schwanken beträchtlich. Vorsicht ist geboten, er soll - laut Wikipedia - 3.165 Menschen hingerichtet haben, 2.805 in jenem heißen halben Kriegsjahrzehnt, zwischen 1940 und 1945. Nachdem Deutschland von den Alliierten niedergebombt und niedergewalzt war, begannen die Sieger ihre Henkersarbeit, um ihre ehemaligen Gegner dafür zu bestrafen, dass sich gewehrt hatten. Jetzt standen die NS-Führer und -Soldaten am Pranger, vor dem Kadi und am Schluss vor dem Henker.
 
Die Amerikaner, zu deren Besatzungszone Bayern gehörte, nutzten nun ebenso die Professionalität von Johann Reichhart. In ihrem Auftrag richtete er offiziell angeblich insgesamt rund 150 verurteilte NS-Täter hin. Über die Anzahl ihrer inoffiziellen Morde an den Besiegten schweigen die US-Besatzer bekanntlich bis heute. Er wurde von den Amerikanern beauftragt, den Bau der Galgen in Nürnberg für die deutschen sog. „Hauptkriegsverbrecher“ anzuleiten. 1944 suchte die US-Army einen Mann, der die Deutschen nach dem Sieg ohne Skrupel killen sollte. Den geeigneten Amerikaner sah man in einem der aus Sicht der Militärs keine reine Weste hatte. Es war John Clarence Woods, der vom US-Flugzeugträger „Saratoga“ desertiert war und nach Aufgriff vors Militärgericht kam. Im Gutachten des Gerichtspsychiaters wurde ihm ein Minderwertigkeitskomplex bescheinigt und ebenso eine geistige Zurückgebliebenheit. Später versuchte er beim Arbeitsdienst der Armee unterzukommen, auch hier machte er Schwierigkeiten, man entließ ihn 1933 ehrlos. Als Deutschenkiller wollte man eine subalterne Kreatur haben. Ab 29.09.1944, übersprang er gleich 6 Dienstgrade, durfte eine persönliche Wache haben und einen eigenen Jeep dazu. Johann Reichhart lernte diesen US-Henker an, der bald den Titel „Henker von Nürnberg“ erhielt. Woods ließ unter Reinharts Beratung in Nürnberg die Galgenanlage bauen. Doch er sah Änderungen vor, von denen man wohl kaum behaupten kann, dass sie aus Versehen geschehen wären. Die Falltürklappen wurden so klein konzipiert, so dass die Köpfe der Todesopfer aufschlugen bevor sie ins Baumeln gerieten. Das schien nicht genug, auch die Fallhöhe war zu gering und die Länge und Dicke des Stricks bemaß er so, dass die Gehängten nicht an einem schnellen Genickbruch starben, sondern sie wurden in einem länger währenden Prozess grausam stranguliert, bis sie erstickten. Die ganze Prozedur war keine saubere Henkerarbeit - wie sie üblich war und J. Reichhart gewohnt war - das war eine Todesfolter ! Genau so verlief beispielsweise die Hinrichtung Joachim Ribbentrops, des NS-Außenministers. Er wird gefragt, ob er noch etwas sagen möchte, er antwortet mit fester Stimme: „Gott schütze Deutschland, Gott sei meiner Seele gnädig.“ Die Falltür ist zu klein, der Verurteilte schlug - ebenso wie die anderen Gehängten - mit dem Kopf auf dem Rand der Luke auf und zog sich schwere Verletzungen zu, so dass die bald kursierenden geschmacklosen Fotos der Hingerichteten entstellt und  blutig aussehen. Das Genick der Verurteilten bricht beim Fallen nicht, so dass sie durch den Strick langsam erwürgt wurden. Bei Ribbentrop dauert es 15 Minuten, bis er schließlich tot ist. Wilhelm Keitel, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, führten die Amerikaner unmittelbar darauf zum zweiten Galgen. Er rief „Alles für Deutschland“, bevor die Falltür entriegelt wird.
 
Ende Mai 1946 erfuhr Reichhart, dass er infolge einer Namensverwechslung zwei unschuldige Deutsche für die Besatzungsbehörden hat töten müssen. Seitdem vollstreckte er keine Hinrichtung mehr. Im gleichen Jahr geriet er selbst ins Visier der neuen Saubermacher von der US-Militärregierung. Es war einer der zahllosen Willkürakte der Besatzer. Es wurde geprüft, ob der Henker ein „Nazi“ gewesen sei, also - nach Sieger-Duktus - zwangsläufig ein Verbrecher ? Er wurde zu zweijährigem Arbeitslager, zehnjähriger Gefängnisstrafe und dem Einzug seines halben Besitzes verurteilt. Nach einem Berufungsverfahren wurde die Strafe auf anderthalb Jahre reduziert und ein dreißigprozentiger Vermögenseinzug angeordnet. Erst Ende 1948 ist er als „belastet entnazifiziert“ worden. Es ging den US-„Humanisten“ primär ums Abstempeln zum „Nazi-Täter“, denn die brauchte man für die Reeducations-Propaganda. Reichhart blieb sozial geächtet, seine Ehe scheiterte, sein Sohn Hans starb 1950 durch Selbstmord; der Beruf des Vaters und dessen langes Entnazifizierungsverfahren hatten ihn stark belastet. 1967 verstarb Reichhart vereinsamt. Sein Leben sei tragisch gewesen, schreibt der Historiker Roland Ernst in seinem Buch, aber es habe noch viel mehr Tragik ausgelöst. Ein unsinniger Kommentar, wie viele zu diesem Thema, denn kein öffentlich ins Amt gesetzter, jederzeit austauschbarer Henker ist verantwortlich für seine Berufsarbeit. Und die Henker von Siegermächten - egal was sie tun - werden nie zur Verantwortung gezogen.
 
 
DER SCHARFRICHTER
 
Es geht nicht ohne Fegebesen,
auch gehts nicht ohne Henker.
Das sag‘ ich jedem vor den Kopf,
und mosert auch ein Zänker.
 
Der Besen macht die Stube rein,
der Henker, Stadt und Länder.
Weg mit Schmutz aus gutem Haus,
fort mit dem Frauenschänder.
 
Ein Kerl der sich nicht zügeln kann,
ein Untermensch der mordet,
gehört nicht in die Welt hinein,
dass Schmutz nicht überbordet.
 
Ein Henker der ist ehrenwert,
er tut nur seine Pflichten,
auch Johann Reichhart war so wer,
von ihm ist zu berichten:
 
Er war ein linker Pazifist,
tat in drei Zeiten Dienste,
im „Weimar-Staat, im Nazi-Staat,
dann folgte der ruinste.
 
Im ruinierten Bayernland
  musste er den Henker stellen,
als vorerst letzter seine Art
in dergleichen heiklen Fällen.
 
Schuldlose hänkte er für Sieger
an der Sieger Rache-Balken,
denn ihr Ziel war auszumorden
letzte deutsche NS-Falken.
 
Ein Killer-Henker folgte Reichhart,
der sollt‘ quälen, nicht nur henken,
wollte Opfer langsam würgen,
blutig in den Schacht versenken.
 
Henker gab’s und muss es geben,
doch aber keine Folter-Schergen -,
töten sollt‘ man echte Mörder -;
Schande sei noch ihren Särgen !