27.12.2021
Das isländische Thing-Tal (Parlament) der freien Isländer
 
DAS THING
 
Die freien Germanen hielten ihr Thing,
sei es ein Großer, oder sei er gering,
jeder hatte gleiche, gerechte Funktion
in der alten, besseren Volksreligion.
 
In Germanien herrschte Demokratie,
eine echte, nicht wie die heutige, die
eine scheinheilige nur „indirekte“ ist,
wo der „Volksvertreter“ Diäten frisst.
 
Wo ein Politiker nach vier Jahren schon,
ausgesorgt hat, und mit Spitzen-Lohn,
ganz gleich wie übel er tat oder nichts,
kaum einer wird je ein Fall des Gerichts.
 
In Germanien waren die Männer gleich,
sie stimmten gleich, ob arm oder reich.
Den Besten hoben sie auf den Schild,
dann war er auf Zeit zu führen gewillt.
 
Und fehlte ihm trotzdem das Gottesheil,
dann wurde die Herrschaft wieder feil.
Doch nie durch einer Bestechung Gold,
dem Golde waren Germanen nie hold.
 
Sie verachteten Geld und Güterbesitz,
geachtet wurden nur Weistum und Witz.
Und biederer Tüchtigkeit ehrenden Ruf,
was allein des Menschen Ansehen schuf.
 
Des Mannes Ausweis war sein Schwert,
das Weib galt im Hause als Mutter wert.
Und doch waren die Rollen niemals starr,
man duldete gleichwohl Schalk und Narr.
 
Wer Geist und Mut hatte ging zum Thing,
da saßen die Mannen im Rater-Ring.
Sie tranken zur Ahnen-Ehrung ein Horn
und noch eines gegen der Götter Zorn.
 
Denn Geist wird beflügelt vom Od-Getränk,
bester Rat erwächst aus Männer-Gezänk.
Zum folgenden Tage, in Nüchternheit,
war dann ein Thing zum Entschluss bereit.
 
So funktionierte Sozialleben wunderbar,
jeder Volksgenosse ein Bruder war.
Und die Führer hatten nur so lange Macht,
wie sie Heil und Segen dem Volk gebracht.
 
(Bestechungen und andere Schändlichkeiten begannen in Germanien erst mit der römischen und christlichen Durchseuchung. Siehe dazu: Germanist und Spezialist für altnordische Sprachen Prof. Dr. Bernhard Kummer, „Midgards Untergang - Germanischer Kult und Glaube in den letzten Heidnischen Jahrhunderten“, 1927/72)
 
Mein Besuch des Thingvellir am Standort des Gesetzessprechers, Juni 1985
 
Das Thingvellir (Versammlungstal) ist das wichtigste Kulturdenkmal Islands, es liegt nur 45 km von Islands Hauptstadt Reykjavík entfernt. Hier wurde seit 930 n.0 ein Allthing (Alþingi bzw. Parlament) gegründet, wo sich die Goden (Distrikt-Häuptlinge) und das Volk versammelten, um Recht zu sprechen, Urteile zu vollstrecken, Töchter zu verheiraten und überhaupt Feste zu feiern. Der Druck, das Christentum auf Island anzunehmen, kam vom norwegischen König Ólaf Tryggvason (968-1000), einem über lange Jahre räuberischen und mörderischen Wikingerhäuptling. Im Jahre 997 wurde bei Trondheim von König Tryggvason eine Stadt mit Bistum Nidaros gegründet. Den Protest der dortigen Einwohner ließ er brutal niederschlagen. Von hier aus erfolgte die organisierte Verchristlichung des westlichen Skandinaviens und Islands. Im Jahre 1000 wurde die nicht ganz saubere, eher listenreiche Annahme des Christentums für Island beschlossen. Der heidnische Gesetzessprecher war von den Christen, die in der Minderheit waren, bestochen worden. Das „Islendingabók“ berichtet davon, wie Þorgeir Ljósvetningagoði, selbst Heide und ein angesehener Mann, auf dem Althing verkündete, dass  für alle Isländer sowohl das selbe Gesetz als auch der selbe Glaube verbindlich sein solle, um den Frieden im Land zu bewahren. Zuvor hatten sich Christen und Heiden auf dem Thing heftig zerstritten und jede Seite pochte auf ihre Gesetze. Þorgeirs Schlichtung basierte auf der Idee, dass beide Parteien Teile ihrer Forderungen erfüllt bekämen. Die Heiden mussten das Christentum annehmen und sich taufen lassen, doch die alten Rechte, Kinder auszusetzen (wenn man sie aufgrund von Armut nicht ernähren konnte) und Pferdefleisch (was eine wodinische Kultspeise war) zu verspeisen, sollten bestehen bleiben. Man durfte im Privaten den alten Glauben praktizieren und den Göttern opfern, doch sobald dies beobachtet und angezeigt wurde, drohten drei Jahre Exil, anzutreten innerhalb von drei Sommern nach dem Urteil. Diese Konzessionen wurden allerdings wohl schon nach wenigen Jahren durch christiche Machenschaften wieder abgeschafft. Der Christ Ari Þorgilsson hinn fróði (Ari der Gelehrte, 1067-1148) war der erste der seine Texte nicht im damals üblichen Latein, sondern in der Landessprache schrieb und Autor des „Islendingabók“ wurde. Seine Berichte und andere ähnliche Überlieferungen haben lange das geschönte Bild von der Christianisierung Islands geprägt. Sie können als eine Art „Wundergeschichte“ (hinter allen politischen Wundern liegen ganz weltliche Verschwörungen interessierter Mächte) gelesen werden und als eine legendäre kirchliche Darstellung dessen, was vor der gesetzlichen Festschreibung des Christentums geschah. Man muss sich vergegenwärtigen, dass diese Erzählungen erst in späterer Zeit geschrieben wurden, und zwar von Christen, denen es nie um die Wahrheit ging, sondern um christliche Glorifizierung und um Island mit dem europäischen Christentum in Beziehung zu setzen, das ja bereits seit Jahrhunderten mehr oder weniger existierte, bevor Island überhaupt besiedelt wurde. Die Berichte dieser Zeit legen dar, wie zunächst ausländische Lehrer ins Land kamen, um christliche Bildung zu vermitteln, wobei ihre Schüler besonders Jungen und Männer aus den führenden Familien des Landes waren. Diese mussten lernen, Bücher zu lesen, und zwar sowohl auf Latein, da dies die Sprache des christlichen Kulturraums war, als auch in ihrer eigenen Sprache, denn die Mission erforderte den Gebrauch der Volkssprache, um auch die Allgemeinheit zu erreichen. Mit der Missionierung des eigenen Landes und dem Halten von Messen begannen für die Isländer also die Bemühungen, gedankliche Konzepte aus dem Ausland in die eigene Muttersprache zu übertragen.
 
Man kam zum isländischen Allthing auf dem Thingvellir über einen Zeitraum von mehr als 850 Jahren bis zum Jahr 1798 zusammenkam. Das Allthing war eine Versammlung für das gesamte Island und es gibt schriftliche Belege, die bis in die frühesten Anfänge dieser Institution zurückreichen. Die Versammlung fand jedes Jahr für ungefähr zwei Wochen statt und wurde im Freien abgehalten, wobei man sich hauptsächlich auf zwei Plätze beschränkte: den Lögberg (Gesetzesfelsen) und die Lögrétta (gesetzgebender Rat). Hier wurden Gesetze vorgetragen, Bekanntmachungen veröffentlicht und Vorladungen ausgesprochen. Es wurden Reden gehalten, Ideen vorgestellt und Vorschläge unterbreitet. Bei schlechtem Wetter fanden die Beratungen der Goden auch in einer bescheidenen Behausung statt. Der lögsögumaður (Gesetzsprecher) hatte seinen Sitz am Lögberg und leitete das Thing, prägte sich die Gesetze ein und rezitierte diese. Die Menschen kamen aus ganz Island zu dieser Versammlung und bauten provisorische Hütten oder Unterkünfte, die auch Buden genannt werden. Diese Buden hatten Torf- oder Steinwände und Dächer aus Wollstoff. Noch heute kann man die Ruinen dieser Behausungen in Thingvellir besichtigen. Dokumente aus dem 13. Jahrhundert lassen vermuten, dass sich der Lögberg am östlichen Rand von Almannagjá befindet, wobei Lögrétta möglicherweise im Feld davor zu finden ist, entweder nördlich oder östlich des Flusses Öxará. Es konnten auch Gerichtsverhandlungen und Verurteilungen ausgesprochen werden. Ortsnamen wie „Ertränkungsteich“ und „Galgenberg“ weisen darauf hin. Die Christenkirche auf Island führte eine immer rigorosere Terrormacht aus. Frauen denen eine Abtreibung oder Kindstötung nachgewiesen werden konnte und Frauen die ein unehliches Kind zur Welt brachten, wurden als Hexen ertränkt. Fand man in einem Hause auch nur ein einziges Runen-Zeichen, wurde die Hausfrau oder der Gutsherr erbarmungslos den grausamsten Strafen überantwortet. 
 
Im Jahr 1930 wurde Thingvellir zum Nationalpark erklärt. Zeitgleich wurde ein Gesetz verabschiedet, dass Thingvellir ausweist als „ein geschütztes Nationalheiligtum aller Isländer, den immerwährenden Besitz der isländischen Nation unter dem Schutz des Parlaments, das nie verkauft oder verpfändet werden darf”. Das Althing in Thingvellir war Teil eines größeren rechtssprechenden Netzwerks, das aus kleineren Regionalversammlungen bestand. Die ersten Regionalversammlungen wurden in Þórsnes (Snæfellsnes, West-Island) und Kjalarnes (Südwest-Island) 900 n.0 gegründet. Es gab wahrscheinlich weitere, die zur gleichen Zeit abgehalten wurden, obwohl diese in historischen Aufzeichnungen nicht erwähnt werden. Um 965 n.0 wurde Island in vier Regionen eingeteilt. In jeder dieser Regionen gab es drei Versammlungen. Eine Ausnahme bildete hier einzig der Norddistrikt, in dem es vier gab, wodurch die Gesamtzahl bei dreizehn Versammlungen lag.Nach der Gründung des Althings wurden die Frühlingsversammlungen in den Regionen eine dauerhafte Einrichtung. Diese wurden zweigeteilt: Es gab nun jeweils eine Versammlung für Strafverfolgung und eine für Schulden, die jeweils für bis zu einer Woche im Mai zusammentraten, um für die Beilegung von Streitigkeiten und das Begleichen von Schulden zu sorgen. Versammlungen zur Sonnenwende oder im Herbst fanden gewöhnlich statt, wenn die Menschen vom Althing Ende Juli oder August zurückkehrten und dauerten einen oder zwei Tage. Die Entscheidungen des Allthings wurden bei diesen Gelegenheiten öffentlich bekannt gegeben und debattiert, es wurden jedoch zunächst keine rechtlichen Maßnahmen ergriffen. Später änderte sich das.
 
Das Thingvellir in den Sagas
 
„An einem Tag ging ein jeder zum Gesetzesfelsen. Die anwesenden Stammesführer waren folgende: Ásgrím Elliða-Grímsson, Gizur Hvíti, Guðmund Ríki und Snorri Goð waren oben beim Gesetzesfelsen, während die Männer vom Austfirðir weiter unten standen. Mörð Valgarðsson stand neben seinem Schwiegervater Gizur Hvíti. Mörð war ein außergewöhnlicher Redner. Gizur sagte, dass er nun Zeugnis über die Tötung geben solle und fügte hinzu, dass er laut genug sprechen solle, dass alle ihn vernehmen könnten. Mörð nannte Zeugen – ‘zu bezeugen, dass ich Zeugnis über eine unerlaubte Tätlichkeit durch Flosi Thórðarson ablege, in so weit als dieser Helgi Njálsson angegriffen hat an dem Ort, an dem Flosi Thórðarson Helgi angriff und ihm eine innere Verletzung zufügt hatte, die eine Hirnverletzung oder Knochenmarksverletzung war und sich als tödliche Wunde erwies und Helgis Tod herbeiführte. Ich verkünde, dass er auf Basis dieser Anklage geächtet werden soll, keine Verpflegung, keinen Transport, keinerlei Hilfe oder Unterkunft erhalten soll. Ich verkünde, dass er seine gesamten Besitztümer verliert, wobei die eine Hälfte an mich geht und die andere Hälfte an die Männer im Distrikt, die ein Anrecht auf sein beschlagnahmtes Eigentum haben. Ich bezeuge diesen Totschlag vor der Versammlung der Region vor welcher dieser Fall ordentlich angehört werden soll. Ich bezeuge dies dem Gesetz entsprechend. Ich bezeuge dies in der Anhörung vor allen am Gesetzesfelsen. Ich bezeuge jetzt eine Tat, die in dieser Sitzung gehört werden soll um die Ächtung Flosi Thórðarson zu erwirken. Ich bezeuge, dass mir die Aufgabe von Thorgeir Thórisson zugeteilt wurde.’“