WALDGLÖCKCHEN

Was für die einen giftig ist,
ist für die andern Süße,
so ist’s auch mit dem Fingerhut,
den ich hier herzlich grüße.

Ich traf ihn tief im Fichtenwald,
auf einem Sonnenplätzchen,
trat traulich zu ihm hin alsbald,
als wie zu einem Schätzchen.

Er leuchtete mich lockend an,
ich weiß nicht wie es kam,
er zog mich sanft in seinen Bann,
mir ward das Herz so warm.

Er stand vor mir wie eine Braut,
so frei und ohne Kleid,
hat tief die Augen mir beschaut,
mir ward die Seele weit.

Am liebsten hätt’ ich ihn geküsst,
doch ist’s ja nicht gestattet,
dieweil er doch so giftig ist,
vom Kuss das Herz ermattet.

Da sah ich, wie ein Tierlein klein,
wohl fühlte grad’ wie ich,
es schlüpfte in den Trichter rein,
mir wurd’s ganz wunderlich.

Die schimmernd rosa Blütenhaut
lud wonnig zum Verweilen,
hab’ just mich daran sattgeschaut,
als sollte sie mich heilen.

Ich ward so froh an diesem Bild,
vom emsigen Getriebe,
im sommerlichen Waldgefild’,
an meiner Blumenliebe.

Waldglöckchen ist sie zubenannt,
trägt Giftstoff nur zur Wehr,
verschenkt aus feiner Blütenwand,
die Süße nach Begehr’.