„ROSA MYSTICA“
 
Fünf Wege führen ins heilige Tal,
fünf Blätter zieren den Blüten-Gral,
fünf Stufen geleiten hinan zum Altar,
fünf Pforten beschirmen bei Gefahr.
 
Fünf ist der Frauen geheime Zahl,
sie raunt ihnen zu von Glück und Qual,
sie birgt den Schlüssel der Rätsellast,
sie lockt die Sucher zur seligen Rast.
 
Die Fünf verführt zum irdischen Fall,
und kann erblühen zum Kosmos-All.
Die Fünf verbirgt, die Fünf erklärt,
aus ihr hat sich die Welt beschert.
 
Das Größte trägt des Kleinsten Form,
die Werdung folgt der gleichen Norm:
Fünf-endig scheint der Mensch gebaut,
die Fünf aus aller Schöpfung schaut.
 
Nie lieblicher ein Geheimnis war,
als Fünf der „Rosa Mystica“ -;
und wer es rät und wer es weiß,
verschweigt es als des Glückes Preis.
 
Minnige Feine, mein Mädchen, hold,
hab’ immer der Fünf meine Lieb’ gezollt.
Und jenes Wunder das Du vollbracht’,
erleb' ich wenn unser Kindlein lacht.
 
 
Bei den Germanen galt die fünfblättrige heimische Hag- oder Heckenrose (Rosa canina) als ein Symbol des Geheimnisvoll-Heiligen, möglicherweise auch des Feuers. Sie war, wie es aus altnordischen Bezeichnungen ablesbar ist, der Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin Freya zugeordnet. Deshalb war bis in die Neuzeit der Freitag ein beliebter Hochzeitstag. Eine einzelne Rosenblüte soll ein Sinnbild des Todes, zugleich aber auch das Sinnbild der weiterlebenden Seele nach dem Tode gewesen sein. Jedenfalls wurden die Weiheorte mit Heckenrosenwällen gegen das Profane abgeschirmt, weshalb es zu dem Begriff der Rosengärten als heilige Stätten  kam. Sowohl bei den Ägyptern wie auch bei den Griechen und Römern galt die weiße Rose als Siegel der Verschwiegenheit, sie war - wie ein Autor schreibt - Harpokrates, dem Hüter des Schweigens, geweiht. Bei Versammlungen wurde eine weiße Rose über den Anwesenden aufgehängt, um diese daran zu erinnern, dass das Gehörte nicht weitergetragen werden soll. Darauf ist die Redewendung „sub rosa dictum“ (das unter der Rose gesagte) zurückzuführen. Im deutschen Mittelalter hing eine fünfblättrige Rosenskulptur an den Wänden hinter den Beratungstischen, um den dort Versammelten die Mahnung zur Verschwiegenheit erinnerlich zu machen. Wegen der starken Bedeutung der Rose in der heidnischen Mystik übernahm sehr spät auch die Christenkirche das Symbol und ordnete es ihrer erfundenen „Maria-Gottesmutter“ zu. Verbindet man die übernächsten Kelchblätter einer Rosenknospe miteinander, dann erhält man einen Drudenfuß, ein Pentagramm, ein zumindest seit pythagoräischen Zeiten bekanntes Symbol für die Verschwiegenheit, vielleicht in Anlehnung an die „Verschwiegenheit der Natur“, denn vieles in der Natur ist fünfeckig und der weibliche Geburtskanal - der mythische Lebensborn - wird real-anatomisch von fünf „Rosenblättern“ geschirmt. -- In der germ. ODING-Mystik ist die 5 die Zahl des Menschen „Mannus“, der in Realität aus Frau und Mann besteht. Auch die Gesamtwelt ist aus menschlicher Gestaltung des Urriesen Ymir gebaut. Hier klingt der hermetische Lehrsatz an: Mikrokosmos gleich Makrokosmos. Die Zahlen 5 und 6 waren schon in Zeiten des ur-arischen Veda, bis in die alchimistische Mystik des europäischen Mittelalters, die Chiffren für die kosmische Gesamtheit -; durch Aufsummierung (Theosophische Addition) wird aus 5 die 15, also ebenso - nach Quersummenziehung - die Kosmoszahl 6.