DIE DISE DENISE

So müde ich war, so matt ich schlief,
als mich der Genius des Abschieds rief.
Ich schreckte auf und sah auf die Uhr,
so endet denn nun meine Lebensspur ?

Rings um mich her, nur eiskalte Gipfel -,
fern in den Tälern die grünenden Wipfel.
Die Stille des Abends lag über dem Land,
ein blutroter Himmel darüber gespannt.

Ich blickte ergeben den Weg nach West,
da bannte die scheidende Sonne mich fest.
Sie geht ihre Bahn in die Tiefen der Nacht,
in gleißender, tanzender Lichtblütenpracht.

Ihre Flammen lechzten verlangend wild,
sie breiteten kochendes Blut ins Gefild’.
Der Stern lacht’ im Tode wie eine Braut -,
da schlug mein Herz nach dem Leben laut.

Und lusttrunken musst’ ich hinüber sehn:
„Du Genius des Endes, ich will nicht gehn,
ich spür’ wieder Durst, so drängend frisch,
ich geh’ nicht zum Tode, ich gehe zu Tisch !“


Und trotzig schritt ich hinab ins Tal,
von meinem Schneeberg zum Abendmahl.
Ich beugte vor Gott im Gebet mein Knie,
aus meiner Seele die Sehnsucht schrie:

„Um Dich nur hab’ ich gedarbt und gelitten,
darf ich als Diener den Dienstlohn erbitten ?
Bevor ich scheide, bescher’ mir ein Weib,
vom Licht des Lebens geläutert ihr Leib !“


In die rot übergossenen Wolken ich sah,
narrt’ mich ein Traum, oder kam es mir nah ?
Es schien, als walle zur Abendmalwiese
eine traumschöne Traute, Denise, die Dise.

Noch steh’ ich geblendet, verwirrt und stumm,
wie geht man mit Himmelserscheinungen um ?
Wär’ her sie geschickt aus heiligem Hort,
dann liebt’ ich die Erde und wollte nicht fort !


PS: Unter „Disen“ verstanden unsere Vorfahren Frauen bzw. Feen, Heilrätinnen, Göttinnen.
 
Morgen 24. Heilmond/Oktober 7006 n.M.