Abb. 1 - Ausgemaltes Felsbild von Himmelstalund / Norrköping
 
Abb. 2 - Kalydonische Eberjagd auf der Françoisvase, um 570 v.0
 
DER RIESEN-KEILER
 
Die bronzezeitlichen Felsritzungen (1.600-500 v.0) von Himmelstalund (Östergötland) liegen südlich des Freibades an der südlichen Einfahrt der E 4 nach Norrköping (Schweden), zeigen auch eine Wildschweinjagd (Abb. 1). Ein gewaltiger Keiler wird von zwei Jägern mit langen Spießen und Hunden angegriffen. Das Tier ist so gewaltig, es überragt die Figuren der Jäger, so dass man sich fragt, ob es derartige Tiere zur Bronzezeit in den nordischen Wäldern tatsächlich gegeben hat, oder ob der Felsbildritzer einen anderen Gedanken verfolgt haben könnte, indem er den Keiler dämonisierend übergroß ins Bild setzte ?
Es könnte aber sogar eher sein, dass nicht irgendeine gewöhnliche Jagd zur Abbildung gelangte, sondern dass der Felsbildkünstler eine ganz bestimmte Legende festhalten wollte, nämlich eine Jagd-Legende die sich in der griechischen Sagenwelt wiederfindet: Der „Kalydonische Eber“ ist ein Untier der griechischen Mythologie (Abb. 2), das ebenso wie der Erymanthische Eber, ein Abkömmling der gewaltigen Sau Phaia war. Der erymanthische Eber ist nach dem Berg Erymanthos in Arkadien benannt und war der Göttin Arthemis geweiht. Nachdem er das Land verwüstete, wurde Herakles mit der Aufgabe betraut ihn lebendig zu fangen und nach Mykene zu bringen. Dazu trieb ihn der Held aus dem Dickicht des Waldes, in dem der Eber hauste, heraus und tief in ein Schneefeld hinein. Der Eber ermüdete rasch und Herakles hatte somit eine weitere seiner Aufgaben erfüllt. Diese sagenhaften Jagdscenen waren beliebte Motive der griechischen Vasenmalerei und Reliefkunst. 
 
Wildschweine von weit überdurchschnittlichem Ausmaß gibt es noch heute, wie eine Medienmeldung vom 23.11.2015 bekundet hat. Unweit des Uralgebirges hatte ein russischer Jäger der Jagdgenossenschaft „Tsarskaya Ohota“ einen Riesen-Keiler mit einem Gewicht von mehr als 500 Kilo erschossen, womit ein Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde winkt. Der 36-jährig Uraler Geschäftsmann Petr Maximow ist seit seinem 19. Lebensjahr ein leidenschaftlicher Jäger. Seitdem habe er viele wilde und gefährliche Waldtiere erledigt. Aber im Vergleich zur letzten Jagdbeute sei sogar ein Bär ein „ziemlich süßes Tierchen“, berichtet Maximow der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“. Mit dem ersten Schuss in den Kopf vermochte er den Eber nicht erledigen. „Nach einiger Zeit haben wir das Viech doch aus den Augen verloren. Aber dann sahen wir Blutstropfen auf dem Schnee - das Tier war in der Nähe !“, erzählt Maximow weiter. „Wir gingen seinen Spuren nach. Und das war keine gute Idee ! Die Kreatur sprang direkt auf uns zu ! Ich stand hinter einem Baum, und als der Eber näher kam, gab ich zwei Schüsse in seinen Hals ab. Und erst dann brach der Keiler zusammen.“ Das tote Tier sei so schwer gewesen, dass die Jäger nicht in der Lage gewesen seien, seinen Kopf anzuheben. Um den Eber aus dem Wald abtransportieren zu können, musste das Tier an ein Stahlseil gebunden werden – ins Auto habe es ohnehin nicht gepasst.
15.03.2014 - Auch in den USA hatte sich ein Jäger namens Jett Webb in den Wäldern von North Carolina auf die Schweinejagd gemacht und was er vor die Flinte bekam, schockte ihn, so riesig war es. Für die Familie des Jägers war erst einmal gesorgt - rein essenstechnisch. Die Vorräte waren immens, ein Jahr sollten sie reichen, war Webb überzeugt. Wildschwein wird es geben. Der Keiler brachte um die 500 Pfund auf die Waage. Das Tier war Anfang dieses Jahres zum ersten Mal in Bertie County gesehen worden. So ein mächtiges Wildschwein hatten sie bis dato noch nie zu Gesicht bekommen. Die Jagd war eröffnet, und jeder wollte der Erste sein, der den Riesen vor die Flinte bekommt.
 
 
Ein elfjähriger Schüler aus Alabama gab an, am 03. Mai 2015 einen 477-Kilo-Monster-Keiler erlegt zu haben. „Das Tier ist ohne Frage gewaltig”, sagte Michael Wendt, Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover einem Onlinemagazin. Möglicherweise handele es sich um eine Kreuzung zwischen Hausschwein und Wildschwein, und in diesem Fall sei auch das hohe Gewicht vorstellbar. „Eber von Hausschweinen können bis zu 400 Kilo schwer werden”, sagte er. Nun allerdings, so viel steht fest, ist der Riese tot. Am 3. Mai, so schildern es der Junge und sein Vater Mike, waren beide in den Wäldern Alabamas unterwegs, genauer in der „Lost Creek Plantation”, einem Gebiet, in dem kommerzielle Jagden veranstaltet werden. Jamison ist trotz seines zarten Alters ein erfahrener Schütze, brachte mit fünf Jahren seinen ersten Hirsch zur Strecke. Acht Mal, so Jamison, feuerte er mit seinem Smith&Wesson.50-Kaliber-Revolver auf den Alpha-Eber, dem er, sein Vater und zwei Führer dann durchs Unterholz nachsetzten. Drei Stunden dauerte die Hatz, dann stellte man das verwundete Tier in einem ausgetrockneten Flussbett. Mit einem Blattschuss kriegte der Eber den Rest. Um den toten Eber aus dem Wald abtransportieren zu können, mussten etliche Bäume gefällt werden. Auf der Farmer-Viehwaage in Lineville wurde Maß genommen: Der Keiler wog 477 Kilo, war 2,80 Meter lang, sein Nackenumfang betrug 1,88 Meter. Damit winkt ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde: Ein posthum „Hogzilla” getaufter Eber, der 2004 in Georgia erlegt wurde, brachte es „nur” auf 400 Kilo. Der Rest sind Schweine-Würste. „Wir kriegen wahrscheinlich 500 bis 700 Pfund Wurst raus”, sagt Vater Mike Stone.
 
Das Eber-Motiv
 
Dass solche beeindruckenden Eber im Altglauben als Symboltiere für die Befruchtungskraft der Sonne herangezogen wurden, leuchtet ein. Das Attribut-Tier des solaren Fruchtbarkeitsgottes Frō-Freyr ist der Eber Gullinborsti (germ. Gullinbursti = Goldborstiger). In der Dunkelheit versprühen seine goldenen Borsten Feuerfunken, die die Dunkelheit erhellen. Gullinborsti wurde von den kunstfertigen Zwergen Sindri und Brokkr geschaffen. 
 
In das Nibelungen-Epos hat das altgläubige Eber-Motiv auch Eingang gefunden. Während der großen sommersonnwendlichen Jagd im Odenwald, unmittelbar vor Siegfrieds Ermordung, hebt das Epos hervor (Av. 16): „Einen großen Eber fand der Spürhund [...] Von dem zorn’gen Schweine ward der Held da angerannt [...] Da schlug es mit dem Schwerte Krimhildes Mann; es hätt’ ein anderer Jäger so leicht es nicht getan...“ Jener, den Sonnenhelden anrennende starke Eber ist ein bekanntes Motiv aus dem heidnischen Jahreskreislaufgötter- bzw. Adonis-Mythos. Griech.-röm. Sagen erzählten (Ovids Metamorphosen 10, 502-559; 708-739) von zwei Göttinnen die sich um die Gunst des schönen Jünglings Adonis (Ursprünglich Tammuz / Adonis oriental. Vegetations­gott, Sinnbild des Werdens und Vergehens in der Natur), dessen solare Züge unverkennbar sind, stritten. Da war einmal Aphro­dite, die göttliche Patro­nin der Liebe, Schönheit und des Früh­lings, ihre Gegen­spielerin war Perse­phone, die Herrin der Schatten, Unterwelt und des Winters. Nach dem Schieds­spruch des Zeus sollte jede der beiden ein halbes Jahr das Recht auf Adonis bekom­men. Dieser liebte die Freuden der Jagd, und wäh­rend er durch den Wald streifte, wurde er durch den Angriff eines Ebers tödlich ver­wundet. Unter dieser Ge­stalt soll sich aber ein eifersüchtiger Gott verborgen haben, ob es Ares / Mars war ? Auch im irischen Mythos wird der Held Diarmuid von seinem in einen Eber ver­wandelten Wi­dersacher Finn mac Cool getötet. Das Klosterstift Krems­münster in Ober­öster­reich, eine Gründung des letzten Agilolfingers Tassilo III. mit Weihedatum 777, soll der Legende nach an der Stelle stehen, an der ein wilder Kei­ler den Her­zogssohn Gun­ther tötete. Es wird sich um eine bajuwarische bzw. allge­mein kelt.-ger­m. Er­zäh­lung gehandelt haben, die in die Klostergründungslegende ein­­­be­zogen wurde.
 
In der kel­tischen Welt war die Eberjagd nicht nur ein Hauptvergnügen der Krieger­gesel­lschaft, die Tötung des Keilers galt „als heroisches Bravourstück, das zur Herr­schaft legiti­mierte", sogar der röm. Kaiser Diokletian soll sich von einer Druidin weis­sagen haben lassen, dass er nur durch Tötung eines Ebers (nämlich, wie sich her­ausstellen sollte, des Prätorianerpräfekten Aper) die Herrschaft erringen werde. Für diese Haltung be­sitzen wir im gesamten keltischen Raum, auch boischen Sied­lungs­gebiet im Wie­ner Becken, das einstmals unter norisch-keltischem Einfluss stand, numis­mati­sche und archäologische Beweisstücke. Da wäre der kelto-iberi­sch­e Bron­zewagen von Merida in hallstattzeitlicher Tradition, der einen Reiter bei der Eberjagd zeigt. (nach H. Birkhan, „Kelten - Bilder ihrer Kultur“, 1999, Abb. 586) Um 45 v. 0 prägte der Boierfürst Biatec eine Didrachme mit gespeerten Keiler auf der Rückseite (Num­is­matisches Institut der Uni­versität Wien); etwa ein Jahrhundert später ließ sich der boische Ritter Apto­mar(us), Sohn des Ilo, an der südöstliche Stadtgrenze Wiens einen Grabstein setzen, dessen Relief  ihn als großen Reiter auf der Eberjagd zeigt. Es scheint erschließbar, dass der zu überwindende Eber für die Kelten das Synonym für einen gegnerischen - also „bösen“ - Fürsten dar­stellte, des­sen Überwindung zur Herrschaft le­gi­timierte. (Helmut Birkhan, „Kelten“, 1997, S. 739-744) Noch Cesare Ripa empfahl in seinem 1593 erschienenen Emblembuch „Iconologia" als Sinnbild des Winters die trauernde Liebesgöttin Venus (griech. Aphrodite / germ. Freija), die im Winter ihren in der Unterwelt bei Proserpina (griech. Persephone / germ. Hel) weilenden Geliebten Adonis vermisst: „Winter - Inverno [...] Man male eine Frau, mit langem (schwarzem) Mantel bekleidet, das Haupt bedeckt, traurig anzusehen; [...] in den Augen habe sie Tränen. [...] Man füge ihr zu Füssen ein Wildschwein hinzu." (Ausgabe von 1630, Teil II, 350/51), denn Adonis wurde durch den unholden Eber getötet. Im besagten Sin­ne trä­fen die kel­tische und griech.-röm. Kernvor­stellung der Eberjagd zu­sam­men und es könnte somit ein noch älterer, sozusagen gemein-indo­germa­nisch­er My­th­en­kern sichtbar werden; auch die bronze­zeit­lichen Fels­bil­der Schwedens zeigen - wie ich angab - die Eber­jagd, so die Felder Håltane/Kville/Bohuslän/Schweden (bogentragender Jäger mit Hunden) und Svin­hällen/Himmelstalund/Norrköping (Speerträger vor Saurudel).